Bei der katalonischen Motorrad-Rally 100 Colls gilt es, in drei Tagen möglichst viele Pässe zu befahren. Das touristische Event ist kein Rennen, sondern eine kalkulierbare Herausforderung mit grenzenlosem Fahrspaß.
Einmal rund um die iberische Halbinsel – meinen seit langer Zeit gehegten Traum wollte ich endlich realisieren. Und als dann Anfang April die Ausschreibung der Motorrad-Rally 100 Colls 2023 in meiner Mailbox landete, realisierte ich, dass dies die perfekte Challenge ist, um anschließend zur geplanten Spanien-/Portugal-Rundfahrt zu starten. Nachdem ich meinem langjährigen Motorradkumpel Peter mit den wichtigsten Eckdaten die 100 Colls schmackhaft gemacht hatte, war klar: Da sind wir dabei, zumal bereits die Anreise durch den Schweizer Jura und die französischen Cevennen Motorrad-Fahrgenuss vom Feinsten versprach.
Unterwegs als internationales Team
Die eigentlichen Herausforderungen der 100 Colls sind nicht das Fahren an und für sich, sondern das Planen der optimalen Routen für die drei Fahrtage sowie die Suche nach geeigneten Unterkünften für die beiden Nächte. Und weil uns beiden diesbezüglich sowohl die Zeit als auch das Know-how fehlten, gelang es uns, mit Guy und Eric zwei erfahrene und vor allem auch ortskundige Motards ins Boot zu holen und zusammen für die Teilnahme an dieser Challenge ein internationales Team zu bilden. Als französischer Ex-Motorrad-Flic und Katalonien-Kenner sollte Guy die Routenplanung und die Rolle des Guide-Riders übernehmen, der belgische Moto-Journalist Eric das Fotografieren en route.
Durch den Jura südwärts
Mittwoch, 8 Uhr morgens, Autobahnraststätte Gunzgen Nord. Am mit Peter vereinbarten Treffpunkt signalisiert mir das Display der Africa Twin, was ich seit der Abfahrt in Zürich am ganzen Körper spüre: frostige 5 Grad. Um die Lebensgeister bei Laune zu halten und nicht völlig einzufrieren, beschließen wir bei einem wärmenden Kaffee, über Landstraßen durch den Jura und nicht wie geplant via Autobahn in Richtung Genf aufzubrechen. Weil wir exakt dem Verlauf der sanften Jura-Hügelketten von Nordost nach Südwest folgen, kommen wir nur selten in den Genuss der kurvenreichen Übergänge. Am Lac de Joux verlassen wir den Jura Richtung Nyon, umfahren Genf auf der Autobahn und folgen auf der Schnellstraße via Annecy bis Chambéry. Die anschließende Route über Landstraßen Richtung Süden via Voreppe und Die bietet bis Privas weder fahrerische noch landschaftliche Highlights.
Das ändert sich jedoch am Donnerstag, welcher uns am frühen Morgen zwar mit bedecktem Himmel, aber angenehmen Temperaturen empfängt. In jeder Hinsicht besonders reizvoll wird die Fahrt durch die Cevennen, entlang des Flüsschens Le Tarn, welche wir auf einer Strecke von über 100 Kilometern von St. Enimie bis Brousse-le Château in vollen Zügen genießen. Nach der weitgehend flachen, aber zeitweise kurvenreichen Strecke ist das anschließende Teilstück über kleinste Nebenstraßen durch die Hügelketten von Lacaune und Languedoc eine erfrischende Abwechslung. Nicht allzu weit entfernt vom morgigen Treffpunkt der anderen Kollegen, finden wir gerade noch rechtzeitig vor dem einsetzenden Regen im Provinzdörfchen Lagrasse eine Bleibe für die Nacht.
Die ersten Punkte einfahren
Nun soll es also losgehen. Lediglich rund 80 Kilometer sind es bis zum vereinbarten Treffpunkt und Startort zu den 100 Colls. Dieses kurze Stück sollte problemlos in anderthalb Stunden zu schaffen sein. Da bleibt nach dem Frühstück noch genügend Zeit für einen kurzen Rundgang durch das als „Plus beaux villages de France“ klassifizierte Städtchen mit der imposanten Sainte-Marie-Abtei und der schmucken, mittelalterlichen Altstadt. Nebel und fieser Nieselregen – und das genau jetzt, wo wir starten wollen – das kann ja heiter werden. Glücklicherweise klart das Wetter bis zum Treffpunkt auf. Die Kollegen sind schon da und so bleibt bis zum Start Punkt 13 Uhr noch Zeit für eine Pizza und um uns gegenseitig kennenzulernen. Die Straßen sind mittlerweile trocken und es geht von Anfang an mit flottem Tempo voran. Ein kurzes Stück auf einem Schottersträßchen führt zum ersten kleinen Hügel, dem Coll del Boix. Nach rund einer viertel Stunde sind die ersten 381 Punkte eingefahren. Die Reifen sind mittlerweile schon richtig warm gefahren, als kurz nach St. Paul de Fenouillet auf einer kurvenreichen Zusatzschlaufe zwei weitere Pässe eingesackt werden. Mittlerweile ist Guy auf den nahezu verkehrslosen Nebenstraßen so richtig im Flow und uns dreien fällt es zunehmend schwerer, das ganz schön sportliche Tempo zu halten. Über die Hügel im Wald von Boucheville ziehen wir Richtung Süden nach Prades, vorbei am markanten Roc Cornut, der uns weitere 820 Punkte einbringt.
Touristisches Etappenziel Andorra
Unterwegs, weiter westwärts, kreuzt sich unser Weg nun immer häufiger mit freundlich grüßenden Motoradfahrern, deren Frontscheibe ebenfalls der markante 100-Colls-Sticker ziert. Kurz vor Llívia überqueren wir erstmals die spanische Grenze. Doch kurz nach der Ortsdurchfahrt haben wir bereits wieder französischen Asphalt unter den Rädern. Dass wir heute, mit Ausnahme dieser kurzen Fahrt durch die Exklave Llívia, nie in Spanien, sondern ausschließlich in Frankreich gefahren sind, bemerke ich erst am Abend nach unserer Ankunft in Andorra. Bereits um zirka sechs Uhr fahren wir in das von Tagestouristen stark frequentierte Zollfreigebiet ein. So bleibt genügend Zeit, mit diversen Abstechern in diesem größten der sechs europäischen Zwergstaaten vier weitere Pässe zu überqueren und mehr als 3.000 zusätzliche Punkte zu verbuchen.
Pässe rauf, Pässe runter
„Wenn wir die Route wie geplant fahren, sind es heute etwas mehr als 580 Kilometer“ meint Guy am Samstagmorgen kurz vor der Abfahrt um 8 Uhr. Dass am Abend aufgrund eines Umweges zu einer Tankstelle 630 Kilometer auf der Uhr stehen werden, wissen wir zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht. Und weil wir am Port de la Bonaigua, dem mit über 2.000 Metern höchsten Pass Kataloniens und einem der höchsten in den Pyrenäen schlechthin, noch Fotos und Videos machen wollen, geht es gleich von Anfang an wiederum zügig los. Blauer Himmel und Temperaturen im tiefen zweistelligen Bereich – die meteorologischen Bedingungen sind perfekt.
Wir verlassen Andorra in südlicher Richtung nach La Seu und weiter nach Sort über den ersten Pass des Tages, den Port del Canto. Unseren digitalen Konten werden damit 1.051 Punkte gutgeschrieben – die zweithöchste Punktezahl des Tages. Am vereinbarten Treffpunkt auf dem Bonaigua ist die Foto- und Video-Crew noch nicht da. Die Temperaturen sind im einstelligen Bereich. Und weil wir nicht frierend warten wollen und die Reifen nicht abkühlen sollen, heizen wir die traumhaften Kehren mehrmals rauf und runter, dass die Funken fliegen. Nach einer knappen Stunde ist hier, am nordwestlichsten Punkt unserer Route, alles im Kasten. In Erwartung angenehmerer Temperaturen ziehen wir weiter Richtung Süden, um in einer großzügig angelegten Schlaufe weitere Pässe zu erklimmen, Punkte zu sammeln und vor allem, um auf diesen herrlich verkehrsarmen und meist gut ausgebauten Landstraßen den Fahrspaß und die abwechslungsreiche Landschaft zu genießen. Von Senterada nach Puebla sind es auf direktem Weg über die N 260 lediglich 10 Kilometer. Die Route über Gerri de la Sal und zwei Pässe ist zwar mindestens doppelt so weit, sie bringt jedoch weitere 750 Punkte und vor allem neue Eindrücke dieses faszinierenden Landes. Gleiches erleben wir etwas weiter südlich, wo wir die Hauptroute bei Tremp Richtung Westen verlassen, um wiederum auf kleinen Nebenstraßen bis Balaguar zu fahren, um anschließend Richtung Norden zurück nach Tremp die Runde zu schließen. Dieses Abweichen von den Hauptstraßen, das Erkunden des Landes über Nebenstraßen, die kleinen Übergänge zu finden, das Land neu zu entdecken, genau das sind Argumente von 100 Colls. Selbst spanische Teilnehmer, die der Ansicht waren, Katalonien gut zu kennen, und glaubten, in dieser Region schon alles gesehen zu haben, bestätigten uns, dass sie Katalonien auf dieser Rally neu erlebten. Mittlerweile ist es bereits bald 18 Uhr und bis Solsona, unserem Etappenziel, sind es noch 120 Kilometer, vier Pässe und etwas mehr als 3.000 Punkte. Wobei uns Letztere mittlerweile weit weniger interessieren als das ersehnte Feierabendbier.
Attraktive Sierra de Montserrat
Als am Sonntagmorgen die Kollegen ihre Tracker aktivieren, stellt sich meiner tot – Kontrolllampe aus. „Hätte man nachts ausschalten und laden sollen! Steht in der Anleitung!“ Genau das habe ich leider nicht gemacht – schwerer Fehler. Wann das Kontrollgerät am Vortag den Geist aufgegeben hat, werde ich heute Nachmittag am Zielort in der Endabrechnung sehen. Und weil das Kabel der Powerbank nicht passt, kann ich das Teil leider nicht mehr zum Funktionieren erwecken. Nun, das ist nicht weiter schlimm. Ich weiß ja, dass ich die gleiche Strecke und dieselben Pässe wie meine Kumpels gefahren bin und ebenso viele Punkte wie sie auf dem Konto haben müsste. Die acht Kontrollpunkte, die heute auf den letzten rund 180 Kilometern anstehen, sind eigentlich eher Hügel als wirklich anspruchsvolle Pässe und dementsprechend auch mit einer geringeren Punktezahl bewertet. Hier, im Hinterland von Barcelona, ist die Route jedoch weiterhin äußerst attraktiv. Ganz besonders das Teilstück über und durch die Sierra de Montserrat.
Ausgelassene Stimmung im Ziel
Kurz vor 12 Uhr haben wir es geschafft und gehören damit zu den Ersten, die im Ziel in Món Sant Benet bei Manresa eintreffen. Doch kurz danach wird der Andrang riesig und es scheint, als ob viele die vorgeschriebene Ankunftszeit bis zur letzten Minute ausnützen wollen. Lachen, Schulterklopfen, Gratulationen – die glücklichen Gesichter und die angeregten Gespräche zeugen von der ausnahmslosen Begeisterung der über 270 Teilnehmenden aus acht Nationen. Nach dem gemeinsamen Essen werden die Besten der verschiedenen Kategorien geehrt und Anstecknadeln in Gold, Silber und Bronze sowie Diplome verteilt. Obwohl die Motorradchallenge 100 Colls kein Rennen ist, gibt es einen Gesamtsieger. Und der ist überraschenderweise kein Spanier wie die meisten Teilnehmer, sondern Italiener. Davide Sirocchi hat seine Route perfekt geplant und damit bewiesen, dass genau das mindestens ebenso wichtig ist wie eine gute Kenntnis der Region Katalonien. Obwohl wir gefühlt alles gegeben haben, rangiert unser Team irgendwo im Mittelfeld. Doch das ist schlussendlich weit weniger wichtig als das gemeinsam Erlebte, der Fahrspaß und die entstandenen Freundschaften. Am späten Nachmittag trennen sich unsere Wege. Während Guy noch beim Aufräumen hilft, fährt Eric zurück nach Belgien, Peter heimwärts in die Schweiz und ich starte endlich zu meiner vierwöchigen Spanien-/Portugal-Rundfahrt – doch das ist eine andere Geschichte.
Darum geht es bei 100 Colls
Die 100 Colls sind eine kalkulierbar anspruchsvolle Motorradchallenge, bei der es gilt, in 48 Stunden – verteilt auf drei Tage – möglichst viele Pässe zu fahren und damit eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen. Weil jeder Teilnehmer von einem x-beliebigen Punkt zu dieser Rallye starten kann, sind Routenplanung und Strategie von entscheidender Bedeutung.
100 Colls: anmelden – planen – genießen
Der Start zu den 100 Colls 2024 erfolgt am Freitag, 26. April, um 13 Uhr von einem frei wählbaren Ort. Die Ankunft am gemeinsamen Zielort Mon Sant Benet (nahe Manresa) im Herzen Kataloniens muss zwingend bis spätestens Sonntag, 28. April, um 13 Uhr erfolgen. Ebenfalls zwingend eingehalten werden müssen die beiden nächtlichen Ruhezeiten von Fr./Sa. und Sa./So. jeweils von 22 bis 7 Uhr. Weitere Ruhezeiten, Pausen, Tank- und Verpflegungsstopps können die Teilnehmer frei einplanen.
Auswahl von rund 130 Pässen
Nach der Anmeldung erhalten die Teilnehmer vom Organisator eine rudimentäre Karte Kataloniens, auf welcher rund 130 Pässe eingezeichnet und deren unterschiedliche Punktzahl aufgelistet sind. Hohe und schwierig zu erreichende Übergänge sind mit einer höheren, einfach zu befahrende Pässe mit einer geringeren Punktezahl bewertet.
Individuelle Routenplanung
Zu beachten ist dabei, dass jeder Pass nur einmal gewertet wird, selbst wenn er mehrmals befahren wird. Es gilt also, die mögliche Punktzahl jedes Passes ins Verhältnis zu seiner Erreichbarkeit und der Entfernung zu weiteren Pässen zu setzen und so eine ideale Route zu planen. Und weil die Fahrzeiten aufgrund unterschiedlicher Witterungsverhältnisse zuweilen ziemlich schwierig einzuschätzen sind – in den katalonischen Pyrenäen kann es Ende April herrlich warm sein, aber durchaus auch mal kurz regnen oder gar schneien –, empfiehlt es sich, mögliche Abkürzungen oder Zusatzschlaufen einzuplanen. Zur Navigation dürfen entsprechende Geräte, Karten und Roadbooks eingesetzt werden. Ebenfalls frei wählbar sind zudem Ort und Art der Übernachtungen.
GPX-Tracker zur Kontrolle
Zusätzlich zur erwähnten Karte erhalten angemeldete Teilnehmer einen GPX-Tracker, welcher die gefahrene Route, die Ruhezeiten, vor allem jedoch auch die erreichten Pässe aufzeichnet und gleichzeitig die entsprechende Punktzahl ermittelt. Kontrolliert wird damit auch, dass die Teilnehmer am Folgetag vom Zielpunkt des Vortages aus starten. Über eine entsprechende App kann jeder Teilnehmer während der Rallye seinen aktuellen Punktestand abfragen.
Preise – Trophäen – Urkunden
Die 100 Colls ist eine spannende Challenge, die sich jeder Teilnehmer nach seinen eigenen Ansprüchen, Fähigkeiten und Bedürfnissen planen und gestalten kann. Sie ist kein Rennen, aber eine anspruchsvolle Rallye, bei welcher die Teilnehmer nach unterschiedlichsten Kriterien mit Trophäen und Urkunden ausgezeichnet werden. Es kann einzeln, zu zweit oder im Team, mit oder ohne Beifahrer gefahren werden.
Anmeldung und Kosten
Das Onlineportal zur Anmeldung ist seit dem 1. März 2024 offen. Eine Teilnahme kostet für den Fahrer 220,-- Euro. Inkludiert in diesem Preis sind Karte, Trackerverleih (exkl. 50,-- Euro Kaution), Identifikationsaufkleber fürs Motorrad, Ankunftsapéro und Lunch am Zielort, Auswertung, Preise, Trophäen und Urkunden gemäß Platzierung – und vor allem jede Menge Fahrspaß.
Wow, das klingt nach einer unglaublichen Erfahrung! Ich finde es toll, dass die 100 Colls Rally kein Rennen, sondern eine Herausforderung ist, die den Fahrspaß in den Vordergrund stellt. Das gemeinsame Planen der Routen und das Finden von Unterkünften macht es zu einem echten Abenteuer. Die Vorstellung, mit einem internationalen Team unterwegs zu sein, klingt nach einer fantastischen Möglichkeit, neue Freundschaften zu schließen und von der Erfahrung der anderen zu profitieren. Dieses Event ist definitiv auf meiner Bucket-List!