Auf der Startseite der KTM-Homepage steht in dicken Lettern „KTM is here to stay“. Es soll Zuversicht in die eigene Zukunft ausstrahlen, doch die Realität sieht eher düster aus. Seit dem 29. 11. 2024 ist
KTM in der Insolvenz in Eigenverantwortung und es kommen immer mehr unerfreuliche Fakten ans Licht. Die Geschäftsführung unter dem CEO Stefan Pierer hat drei Monate Zeit, also bis Ende Februar, um einen Sanierungsplan zu erstellen, der die Gläubiger zufriedenstellt. Ein sehr schwieriges Unterfangen, doch der Schuldenberg der KTM AG beläuft sich auf rund 1,8 Milliarden Euro. Der Hersteller benötigt dringend Geld, allein die Übernahme der Mehrheit an der italienischen Traditionsmarke MV Agusta, aus der sie inzwischen wieder ausgestiegen sind, hat etwa 220 Millionen Euro gekostet.
Am 19. Januar könnte KTM zerschlagen werden
Die Geschäftsführung von KTM hat in ihrem Sanierungsplan den Gläubigern eine Quote von 30 Prozent (das heißt, sie würden 30 Prozent ihrer Forderungen bekommen) in Aussicht gestellt, doch die Summe kann KTM aus eigener Kraft nicht aufbringen. Allein den Banken schuldet die österreichische Firma rund 1,2 Milliarden Euro und deshalb bestehen die Gläubigerbanken auf der Rückabwicklung eines firmeninternen Immobilienverkaufs, was 35 Millionen Euro einbringen würde. Doch selbst wenn die drei Vertriebstöchter die zusätzlich erforderlichen 38 Millionen Euro an KTM überweisen, würde die Summe nur bis zum 19. Januar reichen. Sollte bis dahin kein frisches Geld aufgetrieben werden, wird die Firma KTM zerschlagen. Dann könnten die Gläubiger aber nur noch mit einer geschätzten Quote zwischen 17 und 22 Prozent rechnen.
Drei Investoren haben Interesse
Deshalb ist die Suche nach Investoren in vollem Gang, die ihr Angebot bis Mitte Januar abgeben müssen. Nun wurde bekannt, dass es drei Interessenten gibt, die bereit wären, Geld in die KTM AG zu pumpen. Der langjährige Partner Bajaj Auto Ltd. aus Indien (dort werden bereits die kleinen Duke-Modelle zwischen 125 und 390 ccm Hubraum gefertigt), einer der weltweit größten Motorradhersteller, wäre bereit, bis zu 300 Millionen Euro Eigenkapital einzuschießen. Bajaj hält seit einigen Jahren 37 Prozent am KTM-Mutterkonzern Pierer Mobility AG. CFMoto aus China – seit 2018 Joint-Venture-Partner von KTM – würde mit 350 bis 700 Millionen Euro gerne die Mehrheit an der Pierer Mobility AG übernehmen. CFMoto baut die 790er-Modelle für KTM und vertreibt die österreichische Marke auf dem chinesischen Markt, umgekehrt vertreibt KTM die Motorräder von CFMoto in Europa. Als dritter Interessent ist Fountainvest im Spiel, ein privater Investmentfonds aus Hongkong.
265.000 Motorräder stehen auf Halde
Eine neue, gewaltige Zahl erschütterte die Sachlage, es stehen nicht wie bisher kommuniziert 130.000 Motorräder, sondern sogar 265.000 Motorräder auf Halde, wie der Insolvenzverwalter Vogl bei der Gläubigerversammlung am 20. Dezember mitteilte. Wie das sein kann, ist noch unklar, es wird spekuliert, dass KTM bislang vielleicht nur die in Europa befindlichen Motorräder angegeben hat. Auch wenn sich darunter wohl etliche Motocross-Modelle befinden, die keine Zulassung brauchen, macht die ab 1. 1. 2025 geltende Euro5+-Norm den Abverkauf von Neumotorrädern, die eine Straßenzulassung benötigen, in der EU unmöglich. So waren die Händler gezwungen, bis Ende 2024 die Motorräder mit heftigen Rabatten in den Markt zu drücken und die noch immer bei ihnen im Lager befindlichen Modelle mit Tageszulassung zu versehen.
Händler und Mitarbeiter sind die Leidtragenden
Leidtragende sind neben den Händlern die rund 3600 Mitarbeiter in Mattighofen. Nachdem sie schon im November keinen Lohn von ihrem Arbeitgeber bekommen haben und der österreichische Insolvenzentgeld-Fond einspringen musste, hielt sich die KTM-Geschäftsführung nicht an ihre Zusage und verweigerte den versprochenen Gehaltsvorschuss im Dezember, was die Mitarbeiter in arge finanzielle Nöte drängen dürfte. Unter ihnen herrscht zurzeit große Unsicherheit, denn es sollen weitere Leute entlassen werden, dabei traf es im Jahr 2024 schon über 500. Zudem wurde bekannt, dass manche Mitarbeiter massiv gedrängt wurden, zu kündigen. Auch für viele Zulieferer sieht es ernst aus, KTM hat ihnen gegenüber 360 Millionen Euro an Verbindlichkeiten. Die ersten Zulieferer haben bereits Mitarbeiter entlassen oder sogar Insolvenz anmelden müssen. Das Vermögen von CEO Stefan Pierer wird auf 1,6 Milliarden Euro geschätzt. Noch im April, als die Katastrophe schon im vollen Gang war, hat er sich und seinen Mitgesellschaftern eine Dividende von 17,1 Millionen Euro ausschütten lassen. Angeblich machen die Banken Druck, dass sich Pierer aus der Firma zurückziehen soll.
Redy to Race vor dem Aus – Kein Motorsport mehr bei KTM?
Das KTM-Firmenmotto lautet „Ready to Race“, doch die zukünftige Teilnahme an sportlichen Wettbewerben ist fraglich. Den Ausstieg aus der Moto3 und Moto2 hat KTM bereits zu Beginn der Insolvenz in Eigenverantwortung verkündet. Wenig später kam die Ansage, dass auch die Hard-Enduro-WM betroffen sei – was für die Serie möglicherweise das Aus bedeuten könnte, da KTM als einer der Hauptsponsoren auftrat. Auch in der Motocross-WM, einer Keimzelle des KTM-Erfolgs, könnte ein Ausstieg bevorstehen, obwohl die Geschäftsführung das bislang nicht verkündet hat. Ein Ende seines Engagements in der MotoGP dementiert KTM und will seinen Zwei-Jahres-Vertrag mit der DORNA bis einschließlich 2026 einhalten. Allerdings hat KTM erklärt, dass die RC16 nicht mehr weiterentwickelt wird, was die Frage nach dem Sinn ihrer Teilnahme aufwirft. Vor kurzem tauchte jedoch ein Bericht des Alpenländischen Kreditorenverbands (AKV) auf, in dem es heißt: „Um Kosten zu reduzieren, ist der Ausstieg aus MotoGP, Moto3/Moto2 geplant.“ Tatsächlich ist ungeklärt, wie KTM in Anbetracht der hohen Schulden die kostenintensive MotoGP finanzieren will. Die jährlichen Einsparungen bei einem Ausstieg aus dem Straßenrennsport lägen bei 46 Millionen Euro.
Verhalten optimistisch – Marktanalyse für KTMs Kernmärkte
Die Boston Consulting Group (BCG) hat eine Analyse durchgeführt und gibt KTM in seinen Kernmärkten eine verhalten optimistische Prognose. Dem Offroad-Segment, wo KTM Marktführer ist, sagte BCG eine Wachstumsrate von etwa 3,5 Prozent voraus. Die Analysten sehen ein Einsparpotenzial bei den Lieferketten. Die meisten Zulieferer sitzen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, was hohe Produktionskosten mit sich führt und empfehlen eine Globalisierung. Verbesserungsmöglichkeiten sieht BCG zudem bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit – was bedeutet, dass sie manche Modelle für schlicht zu teuer hält.
Made in China zu unterschiedlichen Preisen
Ein Paradebeispiel ist die
CFMoto 800NK Advanced, die den Reihenzweizylinder der 790 Duke trägt, aber rund 1.000,-- Euro günstiger als die KTM ist, obwohl beide in China gefertigt werden und auch ihr Design von Kiska stammt. Die von Stefan Pierer gewollte Plattformstrategie von drei Marken (KTM, Husqvarna, Gasgas) empfehlen die Analysten zu reduzieren. Keine rosigen Aussichten für Husqvarna und Gasgas. Auch bei der Abteilung Forschung & Entwicklung sehen sie Einsparpotenzial, die Kosten haben 2023 fast 200 Millionen Euro betragen. Für den Motorsport seien 95 Millionen Euro ausgegeben worden und das sei „außergewöhnlich hoch“ für ein Unternehmen in der Größe von KTM.
Weitere Entlassungen und Reduktion der Arbeitszeit
Das Sanierungskonzept von KTM sieht einige schmerzhafte Einschnitte vor: Es sollen im Januar und Februar 391 Arbeitsplätze abgebaut werden. Zudem ist die Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche für 83 Prozent der Belegschaft bis März vorgesehen. Der zweimonatige Produktionsstopp in Mattighofen im Januar und Februar könnte um vier Wochen verlängert werden. Mit Zulieferern soll neu über die Preise verhandelt werden, und KTM beabsichtigt vermehrt außerhalb der EU Teile einzukaufen. Allein durch die beiden letzten Maßnahmen sollen ab 2027 zwischen 61 und 77 Millionen Euro eingespart werden. Fast schon ein wenig zynisch klingt die Vorgabe, die auf Halde stehenden Motorräder von KTM, Husqvarna und Gasgas abzuverkaufen. Dabei versuchen die Händler schon, mit irrsinnigen Rabatten, die Bestände zu reduzieren.
Neue Modelle sollen kommen
KTM hält daran fest, dass 2025 neue Modelle auf den Markt kommen sollen, wie die 1390 Super Adventure,
1390 Super Duke GT,
990 Duke R, gleich drei 390er-Modelle und zwei 125er. Doch wenn von Januar bis mindestens Ende Februar die Bänder in Mattighofen stillstehen und danach nur im Einschichtbetrieb produziert wird, werden zumindest die großen Modelle des 2025er-Jahrgangs ab 690 ccm (die 125er und 390er kommen aus Indien, die 790er aus China) erst spät ausgeliefert werden können. Dabei ist der Verkauf stärkste Monat, zumindest im wichtigen deutschen Markt, traditionell der März. Zudem stehen die Händler vor dem Dilemma, dass sie versuchen müssen, ihre Altbestände mit reichlich Rabatt loszuwerden, was aber den Verkauf der 2025er-Modelle bremsen dürfte.
Die Zukunft von KTM: offen
Vieles an der Zukunft von KTM ist zurzeit noch offen. Dass die Marke bestehen bleibt, dürfte allerdings durch das Interesse von finanzstarken Firmen wie Bajaj und CFMoto gesichert sein. Hinter allem anderen steht aber ein Fragezeichen: Werden in Mattighofen weiterhin Motorräder gebaut oder wird die Produktion ins günstigere Ausland verlegt? Werden noch mehr KTM-Zulieferer pleitegehen? Werden die Marken Husqvarna und Gasgas liquidiert? Wird KTM weiter an der MotoGP teilnehmen? Näheres wird sich spätestens am 19. Januar herausstellen.
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