Rund 1.300 oder mehr, je nachdem welcher Berechnung man Glauben schenkt, sogenannte Baustellen gibt es derzeit auf Deutschlands Autobahnen. Auf allen Straßentypen insgesamt und Brücken eingerechnet sind es deutlich mehr. Streng genommen führt das Wort „Baustelle“ aber doch in die Irre, denn gebaut wird nur selten. Was vor wenigen Jahren noch emsige Arbeiter und eine baldige Erledigung der Probleme mit sich brachte, ist heute im besten Sinne einfach nur ein für den Verkehr „gesperrter Bereich“. Bauen oder Sanieren tut dort regelmäßig keiner. Wie viel Geld kann ein Staat für Straßenschilder und Absperrungen aufbringen und wo landen die alle, sobald die ganzen Baustellen eines Tages fertiggestellt sind, mag manch einer denken. Sicherlich wird es immer Baustellen geben, aber in der Hülle und Fülle dürften sich diese Utensilien hoffentlich eines Tages meterhoch türmen. Aber vielleicht reden wir hier auch nur über einen Tropfen auf den heißen Stein – denn die bis zu 50.000 Tagesbaustellen, laut Focus-Online, dürften weitaus mehr Material verschlingen.
Eine exakte Aussage, wie viele Baustellen in welchem Jahr existierten, kann alleine aufgrund der Tatsache, dass gelegentlich auch Streckenabschnitte wieder für den Verkehr freigegeben werden, nicht getroffen werden. Der ADAC kommt auf bis zu 1.500 parallel betriebene Baustellen auf Autobahnen für 2023. Laut ADAC sind im Juli 2024 1.268 Autobahnbaustellen ausgewiesen.
Unsere Hochrechnung zeigt die Entwicklung der Anzahl der Baustellen seit 2015 insgesamt pro Jahr und ist geschätzt und ohne Gewähr.
Hochrechnung Jahr | Autobahn | Bundesstraße | Landstraße | Kreisstraße | Stadtstraßen |
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2015 | 1,200 | 1,800 | 2,000 | 2,500 | 3,000 |
2023 | 1,600 | 2,200 | 2,400 | 2,900 | 3,400 |
2024 | 1,650 | 2,250 | 2,450 | 2,950 | 3,450 |
Über 4.000 Autobahnbrücken sind derzeit in Deutschland sanierungsbedürftig oder müssen neu gebaut werden. Statt einer Kürzung der Haushaltsmittel für den Autobahnausbau, wie sie gegenwärtig in der Bundesregierung diskutiert wird, müssten die dringend benötigten Finanzmittel für das Brückenmodernisierungsprogramm um rund eine Milliarde Euro aufgestockt werden. Das fordert der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe.
„Die hierfür erforderlichen Finanzmittel leistet der Straßenverkehrssektor bereits durch ein Vielfaches an Steuereinnahmen und Abgaben in Höhe von rund 70 Milliarden Euro pro Jahr“, sagte ZDK-Präsident Arne Joswig zur Finanzierung. Nach Einschätzung des ZDK wird sich Mobilität mittelfristig, weiterhin zu einem Großteil auf der Straße abspielen. Die jährlich über den Straßenverkehr generierten Einnahmen müssten daher dringend in Straßenprojekte reinvestiert werden. „Wer heute nach Investitionslücken beim Systemträger Straße ruft, beschwört massive Infrastrukturprobleme herauf und verkennt die tägliche Lebensrealität von Millionen Menschen. Wenn trotz der gewaltigen Einnahmen aus der Lkw-Maut, der Kfz-Steuer sowie der Steuern und Abgaben auf Kraftstoffe die Investitionen für marode Brücken und Straßen ausbleiben, dann muss wieder zum Prinzip Straße finanziert Straße zurückgekehrt werden“, betonte Joswig.
Motorrad & Reisen kann die Ausführungen des ZDK aus eigener Recherche bestätigen. Waren in den Vorjahren noch viele spezialisierte Firmen für Brückensanierungen aus dem Ausland vor Ort, so sind deren Verträge vonseiten des Bundes zuletzt mitunter nicht verlängert worden. Unterschätzt werden darf auch nicht der zeitliche Aufwand der tatsächlich sanierten Brücken und die begrenzte Kapazität der verfügbaren Firmen, die diese Aufgaben übernehmen können. Mitunter sind Firmen an ihrer Kapazitätsgrenze lediglich mit rund ein Dutzend Brücken pro Jahr beschäftigt.
Gemeinsam mit 20 anderen Wirtschafts-, Verkehrs- und Logistikverbänden hat der ZDK daher zu Recht einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, die Investitionslinien im Bundeshaushalt 2025 wieder auf das ursprünglich geplante, dringend notwendige Niveau anzuheben und dieses auch in den Folgejahren fortzuschreiben. Denn ohnehin wird es ein viele Jahre dauernder Prozess sein, die Straßen wieder auf ein akkurates Niveau zu bringen oder zumindest einen Zustand zu bringen, sodass sie vollständig befahrbar sind.
Einer Studie diverser Institute zufolge, die die Tagesschau erwähnt, beläuft sich der Sanierungsstau der Straßensparte bereits auf rund 300 Milliarden Euro. Der Bundeshaushalt 2024 nennt auf der eigenen Website 12,8 Milliarden Euro, vor allem für Planung, Bau, Erhaltung und Betrieb von Autobahnen und Bundesstraßen, als Investitionsvolumen. Die Rechnung an der Stelle erspare ich euch, einfach, weil die Fehlsumme derzeit stetig anwächst und somit kein Jahr ermittelt werden kann, in dem die Straßen instand gesetzt sein werden.
Was wir schon alle wussten, hat sich während der Europameisterschaft in Deutschland in diesem Jahr besonders deutlich gemacht – die Bahn ist keine zuverlässige Alternative. 13 Milliarden Euro gingen im Jahr 2024 aus dem Bundeshaushalt an die Deutsche Bahn. 7,5 Milliarden dafür zur Erhaltung der Schiene. Die Realität offenbart – nicht einmal 20 % ihrer Kilometerleistung legen die Deutschen laut Greenpeace mit der Bahn zurück. Nur 64 % aller ICE-Züge erreichen pünktlich ihr Ziel. Pünktlich ist an der Stelle noch großzügig definiert und mit fünf Minuten Verspätung klassifiziert. Der Deutsche ist dementsprechend jedes dritte Mal krass verspätet. Beim TGV in Frankreich sind es 91 % Zuverlässigkeit. Von zehn Reisen kommt der Franzose also im Schnitt nur ein einziges Mal verspätet am Ziel an, wählt er den TGV als Reisemittel.
Wenn wir bei uns vor der Haustür kehren – und das ist bekannterweise der Harz – so sind diese Zahlen besorgniserregend und absolut keine Theorie. Von zwei Zufahrtswegen unserer Heimatstadt in den Harz, ist eine Straße entlang der Sösetalsperre seit Monaten voll gesperrt, die zweite Variante, eine vierspurige Schnellstraße in den Oberharz, ist derzeit von Tempo 100 auf Tempo 30 reduziert und auf je eine Spur je Richtung für den Verkehr reduziert. Brücken im Harz sind mitunter „dauerhaft“ oder zumindest für viele Jahre gesperrt. Aus Verzweiflung haben wir damit begonnen, unsere beliebtesten Harztouren (M&R 122) neu zu planen, weil diese nicht mehr fahrbar gewesen wären oder eben erst wieder im Jahr 2028. Seit 2006 und unserer ersten Ausgabe im Januar 2007 hat es so etwas bislang nicht gegeben. Deutlich schlimmer dürfte es für Motorradfahrer in den Regionen Deutschlands aussehen, wo Baustellen und Brückensperrungen von diversen Motorradfahrverboten flankiert werden und eine Routenplanung weiter erschweren.
Verfolgt man aufmerksam die Presseberichte und Aussagen von Experten – und das muss man machen, wenn man in diesem Segment arbeitet – wird wiederholt von der Sperrung von maroden Autobahnabschnitten gesprochen. Abseits von Autobahnen ist das ohnehin schon der Fall und wird zuletzt immer schlimmer. Wir haben also keine Kohle mehr, um unsere Straßen instand zu halten und das trotz Rekordeinnahmen und Rekordausgaben. Alles, was es dazu zu sagen gibt, gerne unten ins Kommentarfeld.