Zu Beginn der Motorradsaison sorgte ein
Fahrverbot auf beliebten Motorradstrecken in Tirol, von dem
Motorräder mit einem eingetragenen Standgeräusch von mehr als 95 dB(A) betroffen waren, für Aufregung unter den Motorradfahrern. Nur zwei Wochen später,
am 15. Mai 2020, formulierte auch der deutsche Bundesrat Maßnahmen gegen Motorradlärm, sprach offen über Fahrverbote und Streckensperrungen an Sonn- und Feiertagen sowie eine generelle Senkung der Lärmgrenzwerte und wandte sich an die Bundesregierung, um über den Beschluss abstimmen zu lassen.
Bundesweite Motorraddemonstrationen waren die Folge.
Inzwischen bestimmt das Thema die Tagesordnung des Bundestags. Am 28.10.2020 kamen gleich zwei Anträge zur Abstimmung. Sowohl AfD (
Link zum Antrag 19/22553) als auch FDP (
Link zum Antrag 19/20778) hatten gefordert, den Beschluss der Länder abzulehnen. Keiner der beiden Anträge fand eine Mehrheit auf Bundesebene.
Die Grünen greifen die Gedanken der Länder hingegen auf und stellte ihrerseits am 29.11. einen
Antrag unter dem Zeichen 19/23731. Unter dem Titel "Motorradfahren ohne unnötigen Lärm" ist erneut die Rede von einer Dezibel-Grenze von 80dB(A) in allen Fahrzuständen, Frontkennzeichen für alle Motorräder und der Möglichkeit, auch in Deutschland einzelne Strecken nach dem sogenannten "Tiroler Modell" für Motorradfahrer sperren zu dürfen.
"Streckensperrungen sind nur eine Verschiebung des Lärmproblems"
Die SPD sieht Streckensperrungen "äußerst kritisch", sagte ein Vertreter der Fraktion. Sie würden das Problem lediglich auf andere Streckenabschnitte verlagern und seien keine Lösung des Lärmproblems. Eine Klärung auf europäischer Ebene zu erzielen, begrüßt die SPD hingegen. Nur so seien Geräuschsenkungen bei Neufahrzeugen durch Änderungen der Konstruktion zu erreichen. Verkehrssündern, die sich hingegen bereits heute schon illegal verhalten, müsse mit einem ausreichenden Kontrolldruck der Behörden begegnet werden. Die Anträge von AfD und FDP lehnte die SPD-Fraktion jedoch ab.
Um "schwarzen Schafe" zu bestrafen, die sich an keine Regeln halten, müssten nach Ansicht der Unionsfraktion der Polizei bessere Instrumentarien an die Hand gegeben werden. In den kommenden Wochen werde man dazu gemeinsame Vorschläge erarbeiten, die Union lehnte generelle Fahrverbote jedoch ab. Den Anträge von AfD und FDP stimmte die Union nicht zu, weil sie jegliche Bemühungen auf eine europäische Vereinbarung außer acht ließen, heißt es.
Ein verschleiertes Verbot für Motorräder mit Verbrennungsmotor
Der AfD-Vertreter befand die Initiative des Bundesrates als „fehlgeleitet“. Deshalb müsse der Bundestag deutlich Stellung dagegen beziehen. Andernfalls würden die weitreichenden Einschränkungen das Motorradfahren "faktisch unmöglich" machen, befürchtet die AfD. Die Ideen des Bundesrates seien aus Sicht der AfD-Fraktion "ein rein ideologisch motiviertes verschleiertes Verbot für Motorräder mit Verbrennungsmotor". Es entstehe der Eindruck, dass versucht werde, einen Technologiewechsel zu erzwingen, der ohne dieses Verbot nicht erreichbar sei.
Neue Messmethode der "Vorbeifahrmessung" soll Lärmsünder identifizieren
Zu weit geht der Entschluss des Bundesrates auch der FDP. Der Fraktionsvertreter sehe die Forderung nach der Begrenzung der Geräuschemissionen "in allen Fahrzuständen" auf einen Grenzwert von maximal 80 dB(A) am kritischsten. Dies würde einen Technologiewechsel erzwingen und sei falsch. Als sinnvoll erachtet die FDP hingegen eine Datenbank für Motorradzubehörteile, die der Polizei als Unterstützung bei Kontrollen dient. Ähnlich eines Blitzers solle eine "Vorbeifahrmessung", die derzeit bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) entwickelt wird, zeitnah umgesetzt werden.
Gegenüber Autofahrern kommt keiner auf die Idee, grundsätzliche Verbote zu verhängen
Die Linke stimmte dem Antrag der FDP-Fraktion zu. Unter den Motorradfahrern gäbe es in der Tat schwarze Schafe, doch existierten diese auch unter Autofahrern. Gegenüber Autofahrern käme jedoch keiner auf die Idee, "grundsätzliche Verbote zu verhängen". Das müsse anders gelöst werden, verlangte er.
Grüne wollen Motorradfahrern nicht ihr Hobby verbieten
Die Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen kritisierte, in ihren Anträgen suggerierten AfD- und FDP-Fraktion, es handle sich um flächendeckende Fahrverbote, die dazu führen würden, dass der überwiegende Teil der Motorradfahrer ihr Hobby aufgeben müssten. Das entspreche aber nicht den Vorstellungen ihrer Fraktion und sei der Bundesratsinitiative so auch nicht zu entnehmen. Vielmehr stellten AfD- und FDP-Fraktion die Dinge auf den Kopf und machten das Hobby einzelner Menschen zum Maß aller Dinge. Dass dies für andere Menschen zu unerträglichen Situationen führe, würde billigend in Kauf genommen, kritisierte sie.
Weiter heißt es, für Motorräder würden Lärmgrenzwerte gelten, weil viele Menschen in ihren Wohnungen und Gärten sowie viele Erholungssuchende in landschaftlich attraktiven Regionen durch Motorradlärm empfindlich beeinträchtigt würden.
Eine Blaupause des Abgasskandals
Obwohl Lärmgrenzwerte "auf dem Papier" eingehalten würden, häuften sich Klagen über Motorradlärm. Grund dafür sei, dass die Prüfzyklen für die Typzulassung oft nicht den realen Fahrsituationen entsprächen. Motorradhersteller hätten zudem verschiedene teils elektronisch gesteuerte Bauelemente entwickelt, mit denen Motorräder - unter Einhaltung der gesetzlich geltenden Grenzwerte auf dem Prüfstand - auf der Straße sehr laut unterwegs sein könnten. "Dieses Prinzip ist eine Blaupause des Abgasskandals", urteilen die Grünen. Ebenfalls erhältlich sei diverses Zubehör, das teils legal, teils illegal den Lärm verstärke.
Motorräder dürfen nicht lauter sein, als zum Erbringen der Fahrleistung notwendig
Angestrebt wird eine Überarbeitung der Typzulassungsvorschriften, mit dem Ziel, neben einem Lärmgrenzwert von 80 Dezibel für alle Motorräder in allen Betriebszustände und über den gesamten Geschwindigkeitsbereich. Darüber hinaus soll der aktuell bestehende Grenzwerts von 77 Dezibel für die Fahrbereiche des gegenwärtigen Testzyklus natürlich beibehalten werden. Es gelte, alle technischen Möglichkeiten, Motorräder und Pkw lauter zu machen als zum Erbringen der Fahrleistung nötig ist, zu verbieten.
Grüne fordern "Tiroler Modell" als Vorstufe zu Sonn- und Feiertagsfahrverboten
Die Grünen verlangen, die Verantwortlichen in die Lage zu versetzen, für schwerstbetroffene Orte zunächst für eine Saison das sogenannte "Tiroler Modell" mit Streckensperrungen für Motorräder mit einem Standgeräusch von zunächst mehr als 95 Dezibel anzuordnen. Die Lärmminderung während der Testphase müsse dann laufend evaluiert werden. Falls die Lärmminderung nicht zufriedenstellend ausfällt, seien lärmbedingte Geschwindigkeitsbegrenzungen sowie Sonn- und Feiertagsfahrverbote zu verhängen, "solange bis wirksame Maßnahmen zum Ausschluss besonders lauter Maschinen spürbar Abhilfe schaffen".