Es war eine Gepäckbrücke, die den Ausschlag gab. Suzuki V-Strom und Honda Africa Twin standen zur Wahl für eine 850-Kilometer-Tour, 200 davon auf ungeliebten Autobahnen. Zur optisch aggressiveren Africa Twin zog mich mein erster Impuls, doch die stand gänzlich nackt da. Ohne Koffer, ohne Haltegriffe und ohne freiliegende Rahmenrohre im hinteren Bereich des Hecks hätte ich nicht einmal gewusst, wie ich meine Tasche auf dem Soziusplatz der Honda festzurren soll. Die V-Strom mit ihrer Gepäckbrücke ruhte siegessicher auf dem Seitenständer, bis auch bei mir der Groschen fiel: „Gut, dann nehme ich diesmal die Suzuki...“
Ausgereift: Suzuki V-Strom 1050XT
Wie glücklich diese Fügung sein sollte, weiß ich erst seit meiner Rückkehr. Ich kann mich nicht erinnern, in letzter Zeit auf einem bequemeren Polster gesessen zu haben. Selbst nach zehn Stunden im Sattel, völlig abgekämpft und hungrig, ist der Allerwerteste diesmal mein kleinstes Problem. Dazu bietet die V-Strom ein brillantes Fahrwerk. So komfortabel, so gelassen und doch stabil und zielgenau – ich wüsste nicht, was ich daran ändern würde. Charmant wirkt hierbei die Tatsache, dass sich das V-Strom-Fahrwerk elektronische Spielereien verkneift. Natürlich sind die Komponenten einstellbar, aber ihre Abstimmung ist so gelungen, dass ich die Schräubchen nicht anrühre. Leichtfüßig fällt die V-Strom mit minimalem Krafteinsatz von einer Schräglage in die andere und zeigt selbst beim Griff zur Bremse kein Aufstellmoment. Samtweich spricht ihre Federung an – auch auf schlechtem Belag. Binnen kürzester Zeit fühle ich mich auf der 1050XT zu Hause. Nichts was auf mich zukäme, könnte sie aus der Ruhe bringen. Und diese Gelassenheit überträgt sich auf den Fahrer. Hervorragend harmonieren die aufgezogenen Bridgestone AX41 mit der V-Strom, führen sie sauber und mit sattem Grip bis in tiefe Schräglagen und lassen niemals Zweifel am sicheren Kontakt zur Fahrbahn aufkommen. Die Bremswege fallen, auch dank des fein regelnden ABS, kurz aus. Zwar taucht währenddessen die Front tief ein, die Suzuki bleibt jedoch gelassen – wie immer.
Souveräner Druck ab 1.500 Touren
Ein höhenverstellbarer Windschild, Handprotektoren und die breite Front schützen effektiv vor Wetter und Fahrtwind. Selbst zügiges Tempo fährt sich damit anstrengungsfrei, wobei es dann um den Helm herum laut wird. Die stufenlose Höhenverstellung der Scheibe zu nutzen, ändert daran wenig. Eine noch höhere Scheibe oder ein kleiner Spoiler könnten den Windschutz perfektionieren. Dem 1.037 ccm großen Twin fällt es trotzdem nicht schwer, die kantige V-Strom durch die Atmosphäre zu drücken. 107 PS bei 8.500 U/min und 100 Nm bei 6.000 U/min klingen beinahe nach Untertreibung. Ab 1.500 Touren schiebt die V-Strom souverän an, setzt dabei Befehle der rechten Hand mit feinem Ansprechverhalten druckvoll um. Von Vibrationen bleibt der Fahrer dabei verschont. Eher unterschwellig vorhanden sind die Lebensäußerungen des V2 von der angenehmen Sorte. Eine mögliche Höchstgeschwindigkeit von 205 km/h weist der Fahrzeugschein aus. Lässt man sich vom spurstabilen Fahrwerk auf Autobahnen zu zügigem Tempo verleiten, genehmigt sich der große Zweizylinder bis zu 7 Liter pro 100 Kilometer. Auf Landstraßen genügen dank saftigem Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen auch 5 Liter E10.
Für die Statistik: Tempomat & Fahrmodi vorhanden
Am sparsamsten fährt die große Suzuki unter Verwendung des Tempomaten. In den Gängen vier, fünf und sechs und ab einer Geschwindigkeit von 50 km/h lässt er sich aktivieren. Seinen Dienst nimmt er leicht verzögert auf, lässt die V-Strom während einer Gedenksekunde zunächst langsamer werden, bevor er sanft ans Gas geht. Zur Steuerung belegt Suzuki die wenigen Tasten der sehr aufgeräumten Armaturen teils doppelt.
Motorräder: Yamaha FJR1300, Dauertest Teil 1: BMW F 850 GS, Triumph Rocket 3 GT, Ducati Scrambler 1100 Pro, Suzuki V-Strom vs. Honda Africa Twin, Motorrad-Neuheiten 2021
Reisen: Böhmische Dörfer: Nachbarschaftsbesuch in Tschechien, Burgen & Burgruinen auf der Spur: Durch den Odenwald & den Spessart, Litauen & Kaliningrad: Weitesmehr unbekanntes Land, Wein- & Salzhandelsroute: Radstädter Tauern & Sölkpass
Preis: 5,90 €
Die Menütasten auf der linken Seite dienen nach Aktivierung des Tempomaten zur Geschwindigkeitsregelung. Ist der Tempomat deaktiviert, wird über dieselben Tasten das Multifunktionsdisplay bedient. Dabei fällt auf, dass die Modi der V-Strom-Assistenzsysteme keine selbsterklärenden Namen tragen. Das Regelverhalten des ABS kann in den Stufen 2, 1 und OFF justiert werden. Für die Traktionskontrolle stehen 3, 2, 1 und OFF zur Wahl. Dass Stufe 1 vergleichsweise spät eingreift, erschließt die Logik. Dass sich hinter der Anzeige SDMS A, B und C die Fahrmodi des „Suzuki-Drive-Mode-Selektor“ verbergen und Modus A die kräftigste Leistungscharakteristik serviert, verrät erst der Blick ins Benutzerhandbuch. Für intuitive Bezeichnungen wie Sport oder Rain fehlt schlicht der Platz im klar strukturierten Suzuki-Cockpit. Der Verzicht auf einen Quickshifter für kupplungsfreies Schalten gerät aufgrund des perfekten Getriebes zur Randnotiz. Gering fällt die Handkraft der sauber dosierbaren Kupplung aus, problemlos und mit minimalem Impuls am Fußhebel rasten die Gänge ein und auch der Leerlauf findet sich stets im ersten Versuch.
Rallye-Dakar-Feeling auf der Honda
Bei meiner Rückkehr wartet die Africa Twin noch immer auf ihren Einsatz. Nach der verpassten Chance auf ein Wochenende mit der 1100er-Honda wächst auch bei mir die Neugier. Groß wirkt sie. Hoch und schmal, obwohl sich ihre Sitzhöhe mit 850 Millimetern nicht von der Suzuki V-Strom unterscheidet. Bei Bedarf lässt sie sich an der Honda auf 870 mm verstellen und beim Austausch der Sitzbank sogar zwischen 825 mm und 895 mm variieren. Für die V-Strom sind ebenfalls alternative Sitzbänke mit 820 mm oder 870 mm Höhe erhältlich. Ein Hauch von Rallye-Dakar-Abenteuer-Feeling kommt auf, sobald man auf der Africa Twin Platz nimmt. Als Erstes springt das Cockpit mit seinen zwei Displays ins Auge. Im unteren LCD-Panel werden pragmatisch die während der Fahrt wichtigen Parameter angezeigt. Links und rechts davon versammeln sich die üblichen Kontrollleuchten. Den Inhalt des oberen, 6,5 Zoll großen Farbdisplays bestimmt der Fahrer, nutzt es zur Steuerung von Navigation und Android-Smartphone oder verbindet es mit Apple CarPlay. Auch die Fahrmodi Offroad, Schotter, Stadt, Tour Benutzer1 und Benutzer2 werden über den Bildschirm gewechselt. Die Darstellung der Informationen im Display passt sich jeweils den Fahrmodi an. So wird der Drehzahlmesser mal prominent im Mittelpunkt platziert, mal vergleichsweise klein an den Rand verschoben. Bedient wird all das über die linke Lenkerarmatur mit ihren zahlreichen Schaltern. Rechts finden sich die Tasten für den Tempomaten. Auch bei der Honda regelt er in den Gängen vier, fünf und sechs ab einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h. Im randvollen Testprotokoll findet sich zum Tempomaten lediglich ein Eintrag: „perfekt“.
Rallye-Feeling auch in Fahrt
Nimmt man die Africa Twin vom Ständer, setzen sich die ellenlangen Federwege der Fahrwerkskomponenten unter dem Gewicht des Fahrers spürbar und bergen trotzdem weit mehr Reserven, als europäische Straßen ihnen abverlangen könnten. Lässig hinterm hohen, breiten Lenker thronend, benötigt die Africa Twin nur wenig Kraft beim Einlenken und wedelt flink durch Wechselkurven. Seidenweich sprechen die volleinstellbaren Federelemente an. Gutmütig und unempfindlich gegen Störimpulse zieht die Honda bei jedem Tempo ihre Bahn. Lediglich in extrem tiefen Schräglagen lässt der 90 mm schmale 21-Zöller an der Front etwas an Stabilität vermissen. Ebenfalls mit Bridgestone AX41 besohlt, zeigt sich hier der Unterschied zur V-Strom, die sich von den gängigen Enduromaßen distanziert und von einem 19-Zoll-Vorderrad in 110 Millimeter Breite führen lässt.
Offroad-Gene bei der Africa Twin
Nach reinrassiger Enduro-Manier taucht die Africa-Twin auch beim Bremsen tief ab, um sich beim Beschleunigen wieder aufzubäumen. Und doch spürt der Fahrer, dass das sensibel ansprechende Fahrwerk jede noch so kleine Unebenheit der Fahrbahn exakt nachzeichnet. Da stempelt nichts, da rutscht nichts. Selbst auf zerklüfteten Oberflächen halten die Reifen Kontakt, während der Fahrer eine Etage höher wie auf einem Luftkissen schwebt. Nur gut, dass das Feedback nicht darunter leidet. Das Gefühl für die Front und den Grip am Heck sind jederzeit gegeben. Großen Anteil daran hat die Ergonomie der Africa Twin mit ihrem kurzen Tank, die den Fahrer nahe am Lenkkopf positioniert. Mit reichlich Bewegungsfreiheit und einer hervorragenden Sitzposition geht es nicht ganz so komfortabel wie auf der V-Strom zu. Die etwas zierlichere Front mit ihrer nicht höhenverstellbaren Scheibe und kleinere Handprotektoren setzen den Fahrer stärker den Elementen aus.
Kernig & sportlich
Der extremere Kurs der Africa Twin setzt sich beim Motor fort, der sich mit Vibrationen nicht ganz so vornehm zurückhält wie die Suzuki. Obwohl er nicht lauter ist, fällt sein Klang eine Spur kerniger aus. 102 PS bei 7.500 U/min und 105 Nm bei 6.250 U/min produziert der 1.084 ccm große Reihenzweizylinder. Spontaner als die V-Strom hängt er am Gas, setzt die Befehle der rechten Hand direkter um, verlangt für sauberen Rundlauf aber mindestens 2.000 Touren. Lässt der Fahrer sich darauf ein, lernt die Africa Twin das Fliegen und verwandelt sich in ein famoses Spaßgerät. Im kalten Zustand noch etwas ruppig, glänzt der betriebswarme Honda-Motor mit geringen Lastwechselreaktionen und sauberem Ansprechverhalten. Seinen vergleichsweise knackigen Charakter verliert er aber nie. Einen Quickshifter gibt es ebenfalls nicht ab Werk, er findet sich aber in der Aufpreisliste der Africa Twin (698,92 Euro). An unserem Modell funktioniert er bei flüssiger Fahrt am besten, geht in den kleinen Gängen jedoch zu zaghaft zur Sache. Spürbar unterbricht er dann den Vortrieb, um die Leistung nach dem Schaltvorgang sanft wieder freizugeben. Insbesondere beim zügigen Ampelstart ist man den Autos manuell kuppelnd schneller enteilt. Nur wenig Handkraft ist dafür nötig, die Leerlaufsuche gelingt spielerisch und der Weg durchs Getriebe wird dank kurzer Schaltwege zum Vergnügen.
Welche ist die Richtige?
Vor einer schweren Entscheidung steht derjenige, der sich nur eine von beiden in die heimische Garage stellen kann. Bei nahezu identischen Leistungswerten unterscheiden sich Honda CRF1100L Africa Twin und Suzuki V-Strom 1050 XT auch beim Preis nur um wenige Euro. Reifendimensionen und Bodenfreiheit sind das deutlichste Indiz für ihre Zielgruppen. Während die V-Strom mit 16 Zentimeter Luft unterm Motor und ihren 19- und 17 Zoll großen Felgen eher die Nähe zum Asphalt sucht, ist die Africa Twin mit 25 Zentimetern Bodenfreiheit deutlich offroad-lastiger.
Dass ihre Räder klassische Endurodimensionen in 21 und 18 Zoll aufweisen, ist kein Zufall. Zudem führt sie einen Gewichtsvorteil von 21 kg ins Feld, der – Tourenfahrer aufgepasst – einer 27 kg höheren Zuladung zugutekommt. Wer aufs Abenteuerflair verzichten kann, findet in der V-Strom das harmonischere Gesamtkonzept und derzeit eines der besten Fahrwerke auf dem Markt. Zumindest für den Einsatz auf befestigten Wegen.