M&R-PlusVergleichstest: Gold Wing GL1800 vs. Triumph Speedmaster

Hondas Flaggschiff ist doppelt so teuer wie Triumphs Reiseklassiker. Aber auch doppelt so gut?
Vergleichstest: Gold Wing GL1800 vs. Triumph Speedmaster
Vergleichstest: Gold Wing GL1800 vs. Triumph Speedmaster
17 Bilder
14.09.2018
| Lesezeit ca. 6 Min.
Brian J. Nelson, Andreas Kleiberg, Alessio Barbanti, Honda, Triumph
An zwei Fragen kommt kein Biker vorbei, will er sich einen modernen Tourer zulegen: Wie viel Luxus soll es denn sein? Und wie viel darf es denn sein, so rein kohlemäßig?
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An Auswahl mangelt es nicht: Der Markt der großen Cruiser ist bekanntlich breit aufgestellt. BMW Motorrad beispielsweise schickt mit der komfortablen R 1200 RT (ab 17.750,-- Euro) und der luxuriösen K-1600-Familie (ab 21.900,-- Euro) gleich zwei Baureihen in den Reisehimmel, Indian lockt US-Fans mit Chieftain (ab 26.900,-- Euro) und Roadmaster (ab 30.600,-- Euro), Harley-Davidson fährt ohnehin in seiner eigenen Liga, Rüttel-Schüttel-Langstrecken-Massage inklusive.
Honda Gold Wing GL1800 Motor
Hondas 1.800-ccm-Boxermotor

Hightech-Sänfte oder Custom-Klassiker?

King of the road bleibt die Honda GL1800 Gold Wing. Seit 1975 steht das japanische Flaggschiff für First-Class-Trips auf zwei Rädern. Mehr als 800.000 „Goldflügel” wurden allein in Amerika verkauft. Als technisch überlegene Alternative zu Hardtail-Harleys & Co. Großbritanniens Antwort darauf ist die Neuauflage der Triumph Bonneville Speedmaster, einst die „best-selling” Triumph in den USA – und heute die Bobber für zwei mit nach vorn verlegten Fußrasten. Preislich trennen die beiden Welten: Die Gold Wing startet bei 25.990,-- Euro, das Topmodell mit Topcase, Airbag und neuester Generation der „Double Clutch Transmission” (DCT) kostet noch mal 10.000,-- Euro mehr und damit so viel wie ein BMW 3er Touring. Die Bonneville Speedmaster gibt es ab 13.750,-- Euro. Gefühlt ein Bruchteil. Was die Frage aufwirft: Fährt man diesen Preisunterschied wirklich raus? So viel vorweg: Reine Typfrage – in puncto Fahrspaß sind beide erste Sahne.
Triumph Speedmaster Motor
1.200-ccm-Zweizylinder-Reihenmotor der Speedmaster

Honda Gold Wing: Technik wie im Auto

Die neue Generation des Nippon-Raumschiffs stellt technisch so ziemlich alles in den Schatten, was derzeit auf zwei Rädern unterwegs ist. Das samtweich schaltende 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (DCT) harmoniert perfekt mit dem bis zu 383 Kilogramm schweren Bike. Beim Rangieren hilft der Rückwärtsgang. Der legendäre Sechszylinder-Boxer gibt mit elektronischer Unterstützung wahlweise den elitären Athleten (Sport-Modus), den souveränen Gran-Turismo (Tour), den Öko-Gleiter (Economy) oder den erfahrenen Schlecht-Wetter-Kapitän (Rain).
Honda Gold Wing GL1800 Fahrbild

7’’-TFT-Farbdisplay

Im Cockpit prangt ein vollfarbiges 7”-TFT-Farbdisplay. Groß wie im Auto ist es ausgezeichnet ablesbar. Apple CarPlay zaubert per Lightning-Kabel eine abgespeckte iPhone-Oberfläche darauf. Wer ein Headset koppelt, kann mit seinem Apple-Smartphone telefonieren, Textnachrichten checken, Playlists hören. Navi und Audioanlage sind eh an Bord.
Honda Gold Wing GL1800 Cockpit
Das integrierte Navigationssystem an der Gold Wing

Triumph Speedmaster: zeitlos & authentisch

Ein vergleichbares Connectivity-Feuerwerk wird bei einem Custom-Klassiker wie der Bonneville Speedmaster keiner erwarten. Eingefleischte Triumph-Classic-Fans schätzen ganz andere Sachen an ihrem Bike: Das Mensch-Maschine-Interface bilden hier Sound, Drehmoment und Lässigkeit. Authentisches Motorrad-Feeling eben; Brit-Biker scheren sich nicht die Bohne um Vernetzung und zu viel Elektronik. Der runde Tacho informiert unaufgeregt über Basisdaten wie Geschwindigkeit, Ganganzeige und Restreichweite. Fürs Audio-Doping sorgen die neu entwickelte doppelte Airbox und die extrakurzen Auspufftöpfe.
Triumph Speedmaster Tacho
Dezenter Retro-Look bei der Speedmaster

Zeitgemäße Technik bei beiden

Voll-LED-Licht inklusive Tagfahrlicht, E-Gas-Technologie, Ein-Tasten-Tempomat, abschaltbare Traktionskontrolle – zeitgemäße Technik ist natürlich wie bei Honda an Bord, hält sich aber dezent im Hintergrund. Zwei Fahrmodi (Straße, Regen) spendiert Triumph, dazu auf Wunsch Heizgriffe. Bei Honda gibt es zusätzlich Sitzheizung für Fahrer und Beifahrer. Die opulente GL1800-Sitzbank trägt beide vermutlich ohne Beschwerden bis hinter den Ural. Eingebettet in die Kofferburg kann der Beifahrer die Aussicht genießen. Trotz der erhöhten Sitzposition lebt es sich hinter dem Gold-Wing-Fahrer erstaunlich zugfrei.
Triumph Speedmaster Fahrbild

Sehr stylisch, aber nichts für Endlos-Trips

Zumindest der Sozius auf der Speedmaster sollte sich echte Fernreisen gut überlegen: Er/Sie sitzt auf einem kleinen separaten Sitzkissen, kaum größer als ein aufgeklapptes Baguettebrötchen. Sehr stylisch, aber trotz der erstaunlich guten Schaumstoff-Polsterung nichts für Endlos-Trips. Dafür kann das Lederkissen samt verchromtem Haltebügel einfach demontiert und zum Beispiel durch eine verchromte Gepäckbrücke ersetzt werden. Für noch mehr Abwechslung sorgen die Inspiration-Kits Maverick (unter anderem brauner Einzelsitz, schwarze Auspuffrohre) und Highway. Letzteres erhöht den Reisekomfort: gewachste Gepäcktaschen aus Baumwolle und Leder, verstellbare Touring-Windschutzscheibe, Fahrersitz mit integrierter Steißlehne und passendem Soziussitz, dazu jede Menge Chrom-Elemente wie Motorbügel, Sozius-Rückenlehne und polierter Öleinfülldeckel – hier dürften vor allem eingefleischte US-Fans zuschlagen.
Triumph Speedmaster Sitzbank
Das Soziuskissen (Serie) mit Rückenlehne (Zubehör) der Triumph

Überragende Schalteigenschaften

Fahrdynamisch sind beide Bikes ganz weit vorn. Fluffig wie ein Pancake manövriert Hondas DCT durch die sieben Fahrstufen. Der eine Gang mehr im Vergleich zum Schaltgetriebe senkt die Drehzahl im Highway-Betrieb um 100–200 Touren ab. Das wirkt sich beruhigend aufs Langstrecken-Gemüt aus. Beim Fahren mit der 6-Gang-Schaltbox zuckt ab Tempo 110 unwillkürlich der linke Fuß und sucht nach dem höchsten Gang. Der ist aber schon drin.
Honda Gold Wing GL1800 Sitzbank
Die komfortable Sitzbank der GL1800

Enormes Sicherheitsgefühl

Wie viel Unruhe und Asphalt-Blessuren die neue Doppel-Querlenker-Vorderradführung vom Fahrer fernhält, sieht man eindrucksvoll an den rhythmisch hüpfenden Köpfen des Lenkgestänges. Sie lugen rechts und links zwischen Cockpit und Tank hervor und tanzen aufgeregt rauf und runter. Im Lenker kommt absolut nichts davon an. Gleichzeitig folgt der Goldflügel den Lenkimpulsen schneidig wie eine Fregatte und geht erstaunlich leichtfüßig um die Kurven. Man muss sich ganz schön beherrschen, um nicht permanent das Tempo- und Schräglagenlimit auszuprobieren. Das Sicherheitsgefühl ist enorm, auch dank der auffallend guten Hinterradbremse, die den Griff zur vorderen Doppelzange nahezu erübrigt.
Honda Gold Wing GL1800 Seitenkoffer
Schlankere Seitenkoffer als beim Vorgängermodell

Sicher, fahraktiv und drehmomentstark

Auch die Bonneville Speedmaster bedient die US-Vorliebe für Hinterradverzögerung. Mit 710 mm Sitzhöhe ist der Fahrer dem Asphalt hier etwas näher als auf dem 745 mm hohen Honda-Gestühl. Vier Zylinder, 64 Nm und 50 PS weniger machen sich natürlich bemerkbar, aber die Triumph fällt nicht wirklich ab im Vergleich zur mindestens 100 kg schwereren Honda. Der 1200-HT-Zweizylinder leistet in der Speedmaster logischerweise die gleiche sagenhafte Arbeit wie in der Bobber. Zwischen 3.000 und 5.000 Touren beträgt das Drehmomentplateau durchgehend über 100 Nm. Ein Topwert in dieser Leistungsklasse. Kurven muss man allerdings sauber anfahren, sonst kratzen die Fußrasten lautstark den Asphalt auf. Das Getriebe wechselt die Gänge geschmeidig und präzise. 4,3 Liter auf 100 Kilometer gibt Triumph als Durchschnittsverbrauch an, 5,5 l/100 km sind es bei der Honda Gold Wing. Bei den US-Testfahrten kam das ganz gut hin. Im Tempo-relaxteren Deutschland dürften es ein paar Deziliter mehr sein.
Triumph Speedmaster Gepäcktasche
Triumphs gewachste Gepäcktasche aus Leder und Baumwolle

Schlanker Look und coole Performance

Die um mindestens 40 kg abgespeckte „next generation“ der GL1800 sieht für ihre Größe schnittig aus. Niedrigeres Topcase, zierlichere Seitenkoffer, schlankere Silhouette. Das Ganze gerahmt von klaren Kanten. Modern, technisch, nicht zu protzig, aber extrem präsent steht Hondas Flaggschiff auf der Straße, auch als Basisversion ohne Topcase. Die Speedmaster wirkt dagegen fast zierlich. Aber saucool in ihrer verchromten Nacktheit. Ein feines ehrliches Reise-Bike alter Schule mit betörendem Motor und Old-School-Gepäckraum. Ein Statement, fraglos. Aber das ist die Hightech-Honda auch. Wer es sich leisten kann, bekommt mit der DCT-Variante den perfekten Luxustourer. Schade, dass Honda dieses Getriebe nur dem sündteuren Topmodell gönnt. Vorerst jedenfalls.
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Triumph Bonneville Speedmaster - Baujahr: 2018
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