Test: Royal Enfield Shotgun 650 – Waffenscheinpflichtig?

Mit Hightech vollgestopfte Motorräder machen das Fahren leicht, aber es geht auch ohne, wie ein Zweizylinder aus Indien zeigt.
Test: Royal Enfield Shotgun 650 – Waffenscheinpflichtig?
Test: Royal Enfield Shotgun 650 – Waffenscheinpflichtig? Es gibt verstellbare Handhebel
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14.07.2024
| Lesezeit ca. 5 Min.
Ulf Böhringer/SP-X
fbn
Bei der Marke Royal Enfield handelt es sich, mit europäischen Augen betrachtet, um einen Nobody am Markt. Weltweit ist das anders: Mehr als 900.000 Motorräder von Royal Enfield fanden im vergangenen Jahr den Weg in die Hände von Kunden, viermal so viele, wie BMW absetzen konnte. So ist die indische Marke aktuell der neuntgrößte Motorradhersteller der Welt. Mit der Shotgun 650 haben die Inder nach der Himalayan 450 für dieses Jahr eine zweite Neuheit gebracht. Die kann, was andere nicht können oder wollen, und gewinnt damit mit ihrem günstigen Preis von rund 7.600,-- Euro große Sympathien bei vielen Interessenten.

Reduziert aufs Wesentliche

Royal Enfield Shotgun 650
Mit der Shotgun 650 hat die indische Marke Royal Enfield nach der Himalayan 450 für dieses Jahr eine zweite Neuheit gebracht
Gestaltet ist die Shotgun als Bobber: reduziert aufs Wesentliche. Weshalb sie zusätzlich sehr einfach von ihrem Soziussitz „befreit“ werden kann, wie das beim Testfahrzeug der Fall war. Wer sich die Shotgun zwischen die Beine klemmt, erblickt nicht mehr, als zum Fahren unerlässlich ist: das Zündschloss, einen markanten Drehschalter fürs Starten/Stoppen auf der rechten Lenkerseite und einen zweiten fürs Licht auf der linken sowie ein rundes Zentralinstrument mit Tachoanzeige – aber ohne Drehzahlmesser.

Ergänzt mit sinnvollen Details

Royal Enfield Shotgun 650 – Lenker
Der Fahrer erblickt nicht mehr, als zum Fahren unerlässlich ist: das Zündschloss, einen markanten Drehschalter fürs Starten/Stoppen auf der rechten Lenkerseite und einen zweiten fürs Licht auf der linken sowie ein rundes Zentralinstrument mit Tachoanzeige
Ein zweites, viel kleineres Rundinstrument zeigt so lange nur die Uhrzeit an, bis man das mit einer Royal Enfield-App ausgerüstete Smartphone gekoppelt hat; ist dies erfolgt, dient es als Signalgeber einer Pfeilnavigation. Trotz aller Sparsamkeit ist die Shotgun nicht ärmlich bestückt: Es gibt verstellbare Handhebel, ein prima Tankschloss, gute Spiegel und auch sonst alles, was zum entspannten Fahren nötig ist.

Royal Enfield Shotgun 650 Hebel
Die Handhebel sind verstellbar

Schöne heile Welt, die sich dreht, wie es ihr gefällt

Bewegt man die Shotgun 650, zeigt sich schon bald, dass das indische 47-PS-Bike mehr bietet als vermutet: Es transportiert ein Lebensgefühl. Schon bald, nachdem der luft-/ölgekühlte Paralleltwin die Arbeit aufgenommen hat, gewinnt beim Fahrer Gelassenheit die Oberhand. Nicht deshalb, weil die Shotgun eine lahme Mühle wäre, sondern weil ihr Charakter auf den Fahrer ausstrahlt. Mit ihr macht beschauliches Fahren Freude. Die Welt um den Fahrer herum wirkt irgendwie heile. Mit ihr sind auf freien, verkehrsarmen Landstraßen oft 80 oder 90 km/h genug, obwohl mehr erlaubt und weit mehr möglich wäre. Doch wozu? Sonor läuft der Paralleltwin, wie Musik wird der Sound der beidseitig verlegten Auspuffanlage empfunden. Hohe oder gar höchste Drehzahlen sind nur was für Eilfälle, wobei, wie schon gesagt, eine Anzeige für die aktuelle Zahl der Kurbelwellenumdrehungen ohnehin nicht existiert. Wozu auch?

Verbrauch, Bremsen und Gasannahme

Kein Wunder, dass sich die Shotgun verbrauchsgünstig fahren lässt. Verbrauchswerte um 4,2 Liter sind kein Problem, wer’s zügig angeht, muss nur einen geringen Zuschlag aufbringen. Wir lagen meist unter der Normangabe von 4,5 Litern. Angesichts des knapp 14 Liter großen Tanks sind fast 300 Kilometer Reichweite möglich, wobei das Reserve-Warnlicht je nach Fahrweise nach 200 bis 240 Kilometern anspringt.

Mühelosigkeit ist das Hauptwesensmerkmal der Royal Enfield Shotgun. Sie ist so vorzüglich austariert, dass man das für eine 650er richtig hohe Leergewicht von 240 Kilogramm nur beim Rangieren spürt. Selbst langsames Fahren geht leicht von der Hand, genau wie Schalten, Kuppeln und das Einlenken in Kurven. Auffällig bei der Bedienung ist das ungewöhnlich große Spiel im Gasgriff; man gewöhnt sich aber an diesen Störfaktor. Bei den Bremsen setzt sich die vordere Einzelscheibe eher dezent in Szene, während die hintere sehr kräftig verzögert. Es empfiehlt sich bei der Shotgun also besonders, stets mit beiden Bremsen zugleich zu arbeiten.

Fahrwerk

Das Fahrwerk macht angesichts der doch beschränkten Federwege seine Sache immerhin gut: Nur sehr grobe Stöße werden durchgereicht, die Fahrstabilität ist voll in Ordnung. Angesichts des eher gemütlichen Grundcharakters der Shotgun fällt ihre begrenzte Schräglagenfreiheit nicht ins Gewicht, reichlich Kurvenspaß ist dank der Mühelosigkeit des Einlenkens und Ihrer Zielgenauigkeit absolut gegeben. Tempi jenseits der 140 km/h mag die Shotgun zwar bewältigen, aber ihr Fahrer wird diese nur in den seltensten Fällen mögen. Denn ein Windschutz ist konzeptionsbedingt nicht vorhanden, sodass der Winddruck angesichts der aufrechten Sitzposition stark ansteigt.

Royal Enfield Shotgun 650
Wer möchte, kann sie leicht nach eigenem Gusto umgestalten und mit entsprechendem Zubehör nicht nur mit wenigen Handgriffen vom Zwei- zum Einsitzer, sondern auch zum Tourer machen
Der aus dem Modell Continental bekannte luft-/ölgekühlte Twin ist ein charmanter, deutlich kurzhubiger Motor; Vibrationen sind spürbar, aber nicht lästig. Seine Kraftentfaltung ist bei mittleren Drehzahlen gut, aber auch im niedrigen Drehzahlbereich ist er bestens fahrbar. Oben rauslegt das Triebwerk eher verhalten an Kraft zu, was gut zum Gesamtcharakter der Shotgun passt.
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Fazit – Royal Enfield Shotgun 650

In ihrer Massivität erinnert die Royal Enfield Shotgun 650 ein wenig an die nur kurze Zeit gebaute Harley-Davidson Street 750. Der ist die Inderin aber in allen Punkten überlegen. Insofern könnte sie ein idealer Einstieg ins Harley-Modellprogramm sein. Aber ein solch stimmiges kleines Motorrad haben die Amis 2014 nicht realisieren können, weshalb die Street längst wieder aus dem Programm genommen worden ist. Das wird der Shotgun kaum passieren: Sie überzeugt unter dem Strich und wirkt trotz Reduktion aufs Wesentliche wertig und nicht spartanisch. Wer möchte, kann sie leicht nach eigenem Gusto umgestalten und mit entsprechendem Zubehör nicht nur mit wenigen Handgriffen vom Zwei- zum Einsitzer, sondern auch zum Tourer machen. Und ihr einen speziellen Touch verpassen, wie es Custombikes eben zu eigen ist. Als solches sieht sie der indische Hersteller nämlich. Für uns ist sie ein gelungenes, leicht fahrbares und insgesamt sympathisches, ja liebevolles kleines Motorrad.

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Royal Enfield Shotgun 650 - Baujahr: 2024
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