M&R-PlusTest: BMW R 1300 GS Adventure – Schaf im Wolfspelz

Wie meistert die R 1300 GS Adventure im ersten Fahrtest den On- und Offroad-Härtetest in Sachen Fahrkomfort und Langstreckentauglichkeit?
Test: BMW R 1300 GS Adventure – Schaf im Wolfspelz
Test: BMW R 1300 GS Adventure – Schaf im Wolfspelz Hier die Trophy-Variante. Die recht weit auskragenden Zylinderschutzbügel fallen genauso auf wie der voluminöse Motor-Unterschutz
16 Bilder
21.10.2024
| Lesezeit ca. 9 Min.
Markus Jahn
Es stecken eine Menge Überlegungen in der neuen R 1300 GS Adventure, die nur im Zusammenhang mit der vor einem Jahr präsentierten R 1300 GS verständlich werden. Denn letztere ist gegenüber der Vorgängerin deutlich verschlankt, hat Gewicht und auch sichtbar Masse verloren. Zwar ist sie nicht gerade klein, aber doch deutlich zierlicher und auch fühlbar sportlicher als zuvor die R 1250 GS. Das hat zur Folge, dass die 1300er für Soziusfahrten nicht mehr ganz so gut
M&R-Plus
tauglich ist wie die Zwölffünfziger und auch die Komfortsüchtigen nicht mehr so stark anspricht. Die Basis-GS und deren Adventure-Schwester sind nun also weiter auseinandergerückt, die Spreizung zwischen ihnen ist größer. Aufgrund dessen überlappen sie weniger und ihre jeweiligen besonderen Stärken werden deutlicher: Für die R 1300 GS Adventure heißt das in erster Linie Fahrkomfort und Platz, was sich in einer herausragenden Langstreckentauglichkeit manifestiert.

Erste Testfahrt in Andalusien

BMW R 1300 GS Adventure Tes

Die Probe aufs Exempel fand im Süden Europas statt, im Südwesten Andalusiens. Nachdem es einen Tag vor der Ankunft noch kräftig geregnet hatte, stellte Petrus rechtzeitig die Wetterampel auf „Grün“, was eine genussvolle, nicht zuletzt staubfreie Reise von Benalmádena nahe Málaga bis nach Tarifa ermöglichte. Einen ganzen Zehnstundentag ging es auf kurvigen Straßen und auch auf langen Offroad-Abschnitten zum südlichsten Punkt Festlandeuropas; 285 Kilometer kamen so zusammen. Und da am Folgetag weitere 140 Kilometer Rückweg zu absolvieren waren, ist jetzt klar, wovon bei der R 1300 GS Adventure die Rede ist.

Dank Absenkautomatik – nicht nur für „Riesen“ geeignet

Von einem wirklich ausgezeichneten Touren- und Erlebnismotorrad nämlich. Und zwar von einem, für das man nicht mehr wie früher mindestens 1,85 groß sein muss. Nein, selbst mit weniger als 1,75 Metern funktionieren das Fahren wie auch das Anhalten dank der Absenkmöglichkeit des Fahrwerks schon gut. Der Autor weiß, wovon er spricht, gehört er doch in diese Kategorie. 30 Millimeter senkt sich das Fahrwerk bei geringer Geschwindigkeit ab, sodass Anhalten sowie Ab- und Aufsteigen und auch das Aufrichten vom Seitenständer deutlich leichter fallen.
Natürlich ist das kein Kaufargument für Zweimeter-Kerle. Aber auch heute noch sind viele Motorradfahrer eben ein ganzes Stück kleiner und für viele kam eine GS Adventure eben bislang niemals infrage. Jetzt schon. Die Probleme, die Fahrer unter 1,85 Meter Körpergröße mit allen Adventure-Generationen vor dieser zwangsweise hatten, existieren dank der optionalen Fahrwerksabsenkung nicht mehr. Denn bei jedem Anhalten ist das Motorrad schon um 30 Millimeter heruntergefahren, die Stiefel finden also gut auf den Boden (auf Wunsch ist auch eine Komfort-Absenkung mit weiteren 20 Millimetern Absenkung erhältlich). Auch Wenden auf engem Raum mit rauer, felsdurchsetzter Oberfläche wird damit wesentlich weniger nervenaufreibend. Dass es möglich ist, die Absenkfunktion außer Betrieb zu setzen, kann vorteilhaft sein: Wenn man nämlich irgendwann mal unter 25 km/h langsam war und anschließend die Schwelle zum Hochfahren (50 km/h) wegen schwieriger Passagen nicht knackt, bleibt die Bodenfreiheit um die schon genannten 30 mm niedriger. Das ist jedoch nicht hilfreich für die Traktion auf ruppigem Untergrund. Hier haben wir – um den Preis der schlechteren Boden-Erreichbarkeit beim nächsten Stopp – mechanisch eingegriffen.

Wenn die Masse erst mal in Bewegung ist …

BMW R 1300 GSA Test

Dass sich ein erheblicher Anteil der „Pfunde“ einer Boxer-GS gleich nach dem Losfahren in Nichts auflöst, ist ein bekanntes Phänomen. Für die neue Adventure gilt das mehr denn je. Man hat als Fahrer zwar mächtig viel Motorrad um sich herum, aber „es tut nicht weh“, die Masse zu bewegen. Nicht einmal dann, wenn Straßen zu Wegen verkümmern und schließlich zu groben Karrenwegen oder gar Single-Trails mutieren, die von Rinnen und jungen Felsen durchsetzt sind. Vorausgesetzt, es ist ein guter Stollenreifen montiert. Adventure fahren macht uneingeschränkt Spaß!

Stollenreifen überzeugt offroad und überrascht onroad

BMW R 1300 GS Adventure Offroad

Der neue Metzeler Karoo 4 hinterließ bei diesem Fahrtest einen herausragenden Eindruck. Offroad tat er, was er sollte: Er sorgte bei einem Luftdruck von 2,3 Bar vorne und hinten für massig Traktion. Doch dass er zugleich auf Asphalt „Grip ohne Ende“ zu liefern imstande war, überraschte. Auf den sehr kurvigen Straßen zwischen Málaga und Ronda und weiter Richtung Algeciras vergaßen wir schlicht und einfach, dass die GS Adventure auf Stollenreifen rollte: Maximal 41 Grad Schräglage zeigte das Kontrollinstrument für Linkskurven an, gar 42 für Rechtskurven; bei 45 Grad ist die technische Schräglagenfreiheit des Fahrzeugs aufgebraucht … großes Kompliment für die Fahrwerksentwickler und die Reifeningenieure!

Der Motor kommt unverändert

Zum Motor ist nicht viel zu sagen; der 1300er-Boxer ist vollkommen identisch mit dem der normalen R 1300 GS. Die rund 30 Kilogramm Mehrgewicht gegenüber dem Basismotorrad lassen das Triebwerk gänzlich kalt; das Drehmomentgebirge reißt die Adventure nach Belieben vorwärts. Abgehakt. Der Verbrauch freilich steigt bei quirliger Fahrt ein wenig; unter fünf Litern geht normalerweise nichts, es können bei forscher Fahrt auch fünfeinhalb Liter werden. Die 30 Liter im mächtigen Spritfass sind aber dennoch stets für 450–500 Kilometer gut.

DSA serienmäßig

Für entspanntes, wirklich komfortables Fahren über Land auf Straßen aller Kategorien sind die Fahrwerksqualitäten entscheidend. Sie sind im Falle der Adventure schlicht herausragend: straff genug, um nie in unbotmäßiges Schwingen zu geraten, und auf der anderen Seite so elastisch, dass die 210/220 mm Federweg alles absorbieren, was Straßenbauer oder -erhalter versäumen. Hier muss erwähnt werden, dass das DSA, also die semiaktive Federung/Dämpfung, in jeder Adventure serienmäßig ist, was einen nicht unerheblichen Grund für die gegenüber dem Vormodell größere Preisdifferenz zwischen Basis-GS und Adventure darstellt. Ebenfalls zur Serienausstattung zählen Heizgriffe, ein größerer Windschild und die neu entwickelten rechteckigen Zusatzscheinwerfer sowie Keyless Ride.
Dass eine GS hervorragend bremst, ist allgemein bekannt; für die Adventure gilt das ebenfalls. ABS Pro, also das volle, schräglagentaugliche Programm an Fahrassistenzsystemen, ist ebenfalls Serie.

Automated Shift Assistant ASA

Die nächste funktionale Neuentwicklung von BMW bedarf ebenfalls näherer Erläuterung, der Automated Shift Assistant, mit ASA abgekürzt. Das ist mitnichten ein Automatikgetriebe, sondern ist und bleibt eine mechanische Schaltbox. Der erste Unterschied ist, dass Neutral, also der Leerlauf, nicht mehr zwischen den Gängen eins und zwei liegt, sondern sich unterhalb des 1. Ganges befindet. Ein zweiter Unterschied liegt darin, dass die Kraftschlusstrennung, also das Auskuppeln, stets automatisch erfolgt, und zwar dann, wenn der linke Fahrerfuß den nach wie vor vorhandenen Schalthebel betätigt (der Kupplungshebel ist Geschichte). Grundsätzlich schaltet also der Fahrer und es bleibt der Gang eingelegt, den der Fahrer gewählt hat. Außer beim Anhalten – vergisst man, beispielsweise im vierten Gang, herunterzuschalten, und bremst bis zum Stopp, wird automatisch Gangstufe eins eingelegt. Das Abwürgen des Motors ist also ausgeschlossen, komme, was wolle. Die Funktionsweise beim manuellen Gangwechsel entspricht derjenigen beim bekannten Schaltassistenten (Quickshifter), allerdings verlaufen die Gangwechsel in der Regel geschmeidiger, mitunter sogar deutlich geschmeidiger.

Die Automatikfunktion im Gelände

Auch hier gilt: Abwürgen des Triebwerks ist unmöglich. Die sonst stets nötigen zwei Finger am Kupplungshebel haben ohnehin Pause. Im Fahrmodus „Enduro Pro“, abgestimmt auf grobstollige Reifen, funktionieren die automatisierten Gangwechsel in jeder Art Gelände, das unter die Räder kam, ohne Beanstandung. Sehr häufig ist man in einem relativ hohen Gang mit sehr niedrigen Drehzahlen unterwegs, doch kaum „spürt“ die Elektronik, dass mehr Power nötig ist, schaltete sie blitzschnell zurück.

Für Cracks am Lenker, die sich im normalen Leben mit einer 250er oder 350er auf Crosspisten tummeln, wird ASA uninteressant sein. Die haben all die Probleme nicht, mit denen sich „Normal-Enduristen“ abgeben müssen, die nur alle paar Monate mal in tieferen Schotter, in Sand oder Sonstiges kommen. Angehörige der letztgenannten Gruppe werden vom ASA beim Fahren auf Wald-, Wiesen-, Schotter- und Geröllwegen deutlich unterstützt und diese Fahrertypen werden aus ASA echten Nutzen durch Entstressen ziehen – von höherem Fahrkomfort im dichten Stadtverkehr mal ganz abgesehen.

ASA-Einsatz auf Bergetappen

Die Schaltpunkte setzt die Elektronik einerseits in Abhängigkeit vom gewählten Fahrmodus (Eco, Rain, Road, Dynamik), andererseits werden auch die Gasgriffstellung (Last) und die Schräglage berücksichtigt. Das Ergebnis überzeugt: Selbst auf sehr kurvigen, aber flüssig zu fahrenden Passagen, wie sie in der Gegend um Ronda häufig sind, kommt die Schaltautomatik einwandfrei zurecht, wobei zumeist der Dynamikmodus genutzt wurde, um auf den kurzen Geraden zwischen zwei Kurven im gewählten Gang bleiben und die Motorbremse nutzen zu können.

Fazit – Siegeszug des ASA

ASA muss nicht, aber ASA kann. Und zwar im Falle der GS gut, sowohl auf der Straße als auch offroad. Sicher bin ich mir dahingehend, dass der traditionelle Quickshifter schon in wenigen Jahren nur noch in der Motorrad-Mittelklasse vorzufinden sein wird. In der Oberklasse wird das automatisierte Getriebe einen Siegeszug erleben. Neben BMW sind auch KTM und Yamaha bereits in diese Richtung unterwegs. Beide kommen binnen kürzester Zeit mit jeweils gleich mehreren Modellen.

Zubehör, Gepäck und Windschutz

BMW R 1300 GSA Seitenansicht

Noch ein paar Worte zum Zubehör der Testmaschine: Der Tankrucksack – er profitiert enorm von der ebenen Tank-Oberseite – ist von beeindruckender Pfiffigkeit: Er ist hinten am Tank eingeclippt und lässt sich vorne mit einem Zug an einem Textilband aus der Arretierung lösen und zurückklappen. Dann lässt sich das kleine Ablagefach vor dem Tank öffnen, aber man kann auch den schlüssellosen Tankdeckel bedienen. Das alles ohne Abnehmen des wasserdichten Tankrucksacks. Mit den Augen jahrzehntelanger Tankrucksack-Erfahrung betrachtet, erhält das Teil die Note „Eins mit Stern“. Ebenfalls nützlich für Kleinzeug sind die diversen Textiltäschchen, die sich seitlich am Tank und an der Fahrzeugseite anclippen lassen. Eine gute Idee ist auch der vorne im Soziussitz integrierte Befestigungsbügel, mit dessen Hilfe sich auf dem hinteren Sitz verstautes Gepäck verzurren lässt. Gut erscheinen auch die Adventure-Koffer selbst; sie öffnen, wie es sein soll, nach oben. Fixiert werden sie nicht mehr an dezenten Stahlbügeln, sondern an optisch handfesten Aluguss-Trägern. Eine neue Philosophie.
Geglückt sind die Auslegung und Dimensionierung der diversen lieferbaren Windschilde. Der serienmäßige ist eher klein, dabei aber deutlich größer und wirksamer als das kleine Pendant der Basis-GS. Noch mehr bringt die größere Version, die zusammen mit den Deflektoren links und rechts für einen ausgezeichneten Windschutz auch bei höheren Tempos sorgt.

Sturzbügel sorgen für mehr Schutz, ermöglichen die „Lümmelposition“

BMW R 1300 GSA Sturzbügel

Einen neuen Standard verzeichnen wir zudem bei den Sturzbügeln, wie der Sturz eines Teilnehmers im felsigen Gelände eindrucksvoll demonstrierte. Denn außer dem Stahlbügel selbst musste lediglich ein leicht verkratzter Spiegel am uneingeschränkt fahrbaren Testbike ausgetauscht werden, um das Motorrad wieder als neuwertig erscheinen zu lassen; kein Kratzer am Tank, kein Glasbruch an einem der Blinker. Nix.
BMW R 1300 GS Adventure – Fahren in Lümmelposition

Nebeneffekt: Die neuen Sturzbügel ermöglichen erstmals eine bequeme (!) Ablage der ausgestreckten Beine, wenn dem Fahrer danach ist; ein ASA an Bord und die aktivierte Schaltautomatik genügen, um zur Abwechslung auch mal ein Stück Schnellstraße in Lümmelposition zu absolvieren.

Im Auge des Betrachters – das Design

BMW R 1300 GS Adventure Design

Kommen wir zum letzten Punkt, der Optik der BMW R 1300 GS Adventure. Unmittelbar nach ihrer Vorstellung bei den BMW Motorrad Days in Garmisch im Juli dieses Jahres schien es ja so, als ginge die GS-Welt unter, so heftig wurde die Ablehnung des neuen Adventure-Designs artikuliert. Aus meiner persönlichen Sicht als Motorradjournalist halte ich das Design der BMW R 1300 GS Adventure für ausgesprochen gelungen. Und dank der erheblich angestiegenen Variabilität der Adventure – Stichwort leichteres Handling – wird ihr ohnehin schon großer Anteil an der GS-Produktion (zuletzt rund 45 Prozent) vermutlich weiter wachsen. Wetten?
Bewertung abgeben
Deine Meinung zählt
BMW R 1300 GS Adventure - Baujahr: 2024
Deine Bewertung
Preis-/Leistungsverhältnis
Technische Daten
BMW R 1300 GS Adventure 2024
Technische Daten BMW R 1300 GS Adventure 2024
Nutzerbewertungen
BMW
Bewertung
Preis-/Leistungsverhältnis
Motor
Bohrung x Hub 106,5 x 73 mm
Hubraum 1.300 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Boxer-Zweizylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 5
Leistung 145 PS (107 kW) bei 7750 U/min
Drehmoment 149 Nm bei 6.500 U/min
Verdichtung 13,3:1
Höchstgeschwindigkeit 220 km/h
Wartungsintervalle 10.000 km
Verbrauch pro 100 km 4 Liter
Kraftübertragung
Kupplung Nasskupplung mit Anti-Hopping-Funktion, hydraulisch betätigt
Schaltung 6-Gang
Sekundärantrieb Kardan
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Zweiteiliges Rahmenkonzept aus Haupt und daran angeschraubtem Heckrahmen, Motor mittragend
Federelemente vorn EVO-Telelever, DSA-Zentralfederbein
Federelemente hinten Aluminiumguss Einarmschwinge mit BMW Motorrad EVO Paralever-DSA
Federweg v/h 210 mm / 220 mm
Radstand 1.534 mm
Nachlauf 118 mm
Lenkkopfwinkel 63 °
Räder Kreuzspeichenräder
Reifen vorn 120/70-R19
Reifen hinten 170/60-R17
Bremse vorn Doppelscheibenbremse, semi schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Ø 310 mm, Vier-Kolben-Radialbremssättel
Bremse hinten Einscheibenbremse, Ø 285 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel
Maße & Gewicht
Länge 2.280 mm
Breite 1.012 mm
Höhe 1.494 mm
Gewicht 269 kg
zul. Gesamtgewicht 485 kg
Maximale Zuladung 216 kg
Sitzhöhe 870 mm oder 890 mm
Standgeräusch 88 dB(A)
Fahrgeräusch 75 dB(A)
Tankinhalt 30 Liter
Fahrerassistenzsysteme Kurven-ABS, Wheelie-Kontrolle, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Fahrmodi, Reifendruckkontrollsystem, semiaktives Fahrwerk, Motorschleppmomentregelung, Berganfahrhilfe, Heizgriffe
Fahrzeugpreis ab 22.335 €