Die kürzlich veröffentlichten Dokumente zeigen einen Doppelschraubenkompressor, der in das nahezu unveränderte Chassis der Africa Twin eingepasst wurde. Neben einer Steigerung der Leistung dürfte diese zwangsbeatmete Version vor allem von einem deutlich satten Drehmomentverlauf profitieren.
Während die Honda Africa Twin im Segment der Adventure-Bikes bereits mit ihrem geringen Gewicht und hervorragenden Offroad-Qualitäten überzeugen kann, könnte der aufgeladene Motor das Leistungsdefizit gegenüber ihren Konkurrentinnen BMW R 1250 GS und Ducati Multistrada 1260 (getestet in Ausgabe 99) egalisieren. Vor allem seit die Serienproduktion der Multistrada V4 angelaufen ist, scheint Honda in Zugzwang, wollen die Japaner bei den Leistungswerten nicht ins Hintertreffen geraten. Zumal die erstarkte 1100er den hausinternen Abstand zu einer möglicherweise von unten nachrückenden Africa Twin 800 vergrößern würde.
Kawasaki hat das Potential der Kompressor-Technologie bereits eindrucksvoll demonstriert. Die H2-Modelle produzieren ihren Ladedruck über ein einzelnes großes Turbinenrad. Ihr Kompressor ähnelt in seiner Charakteristik daher eher einem Turbolader, der sehr viel Spitzenleistung erzeugt, dafür aber erst ein gewisses Drehzahlniveau erreichen muss. Im Gegensatz dazu ermöglicht der Honda-Doppelschraubenkompressor einen kräftigeren Drehmomentverlauf über ein breiteres Drehzahlspektrum, vor allem bereits bei sehr niedrigen Drehzahlen.
In den technischen Zeichnungen ist zu sehen, dass der Honda-Kompressor – wie bei der Kawasaki H2 – über dem Getriebe der Africa Twin montiert ist. Die Ansaugluft aus dem Luftfilterkasten wird zur linken Seite des Verdichters geleitet. Ebenfalls ist die Kombination aus einer Saugrohreinspritzung oberhalb der Drosselklappen und zwei direkten Einspritzdüsen in den Brennräumen zu sehen. Das zweite Set von Einspritzdüsen sitzt direkt zwischen den Einlassventilen.
Während bereits 2019 Zeichnungen einer kompressoraufgeladenen Honda Africa Twin auftauchten, ist genau dieses doppelte Einspritzsystem völlig neu.
In der Airbox befindet sich außerdem eine zusätzliche Drosselklappe, die computergesteuert einen Bypass zur direkten Verbindung von Luftfilterkasten und Ansaugtrakt öffnen oder schließen kann. Bei sehr niedrigen Drehzahlen oder nur leicht geöffnetem Gasgriff wird der Kompressor auf diesem Weg umgangen. Um überschüssigen Ladedruck abzulassen – beispielsweise wenn der Fahrer unter Volllast das Gas schlagartig schließt – entlässt ein Ventil den Überdruck zurück in den Luftfilterkasten.
Obwohl die wiederholte Anmeldung zum Patent nicht zwingend auf eine Serienproduktion des Kompressor-Motors hindeuten muss, scheint sich Honda dennoch sehr intensiv mit dem Thema zu befassen. Die Akribie, mit der der Kompressor in das bestehende Chassis der Africa Twin integriert wurde, könnte darauf hindeuten, dass bereits Kompressor-Prototypen zu Testzwecken auf den Straßen unterwegs sind.