Um bei den jüngeren Leserinnen und Lesern gleich alle Missverständnisse auszuräumen: Der Name gehört nicht etwa zu einem Pin-Up Girl aus einem Motorradkalender, wie sie früher in vielen Garagen und Werkstätten hingen. Bei dieser Regina – genauer gesagt, der Horex Regina – handelt es sich um ein legendäres Motorradmodell, das im Jahr 1949 im hessischen Bad Homburg das Licht der Welt erblickt und sich innerhalb kürzester Zeit zum absoluten Kassenschlager entwickelt. Das liegt natürlich nicht nur am klangvollen Namen, auch wenn die Horex Regina tatsächlich das erste Motorrad der Welt ist, das einen Frauennamen trägt. Vielmehr bietet die Regina mit ihren 18 PS, der modernen, sportlichen Bremsanlage und dem sehr schicken Design mit verchromten Schalldämpfern und Tank sowie den roten Zierstreifen einen ausgeprägten Kontrast zu den damals gängigen Brot-und-Butter-Motorrädern. Doch das Ende ereilt die Regina so schnell, wie der Ruhm anfangs kommt. Denn bereits Mitte der Fünfzigerjahre ist es dann das Auto, das dem Motorrad-Hype der Nachkriegszeit ein Ende bereitet. Auch die Regina bleibt davon nicht verschont. Der Glanz der alten Tage ist aber weiterhin untrennbar mit dem Namen verbunden. Glück für alle Fans klassischer Motorräder: 2022 haucht Horex der Legende dann neues Leben ein und stellt auf der Intermot die neue Regina Evo vor.
Klassik trifft Moderne
Aber Moment mal: War nicht auch die Marke Horex längst Geschichte? Nach dem Ende der Zweiradproduktion am Standort in Homburg im Jahr 1956 werden die Rechte am Markennamen zigfach weitergereicht, 2010 folgt dann auch ein erster Wiederbelebungsversuch mit dem neu entwickelten Modell Horex VR6. Richtig Schwung kommt dann aber erst mit der Übernahme durch Karsten Jerschke und die 3C Carbon Group AG in die Geschichte. Unter seiner Ägide entsteht dann schließlich auch die Idee zur Regina Evo und pünktlich zum einhundertsten Jubiläum der Gründung von Horex wird das Motorrad zur Saison 2023 als limitiertes Sondermodell vorgestellt.
Wie das Urmodell hebt sich auch die Regina Evo entscheidend von der breiten Masse des Motorradmarkts ab. Während Anfang der Fünfzigerjahre der leistungsstarke Viertaktmotor und das hochwertige Finish die großen Unterschiede machen, ist es bei der Regina Evo neben dem klassischen Design vor allem der Werkstoff CFK – oder in lang: Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff – der das neue Modell aus Landsberg am Lech grundlegend von anderen Motorrädern abhebt. Denn während Carbon bei straßenzugelassenen Motorrädern eher aus optischen Gründen eingesetzt wird, nutzt man bei Horex das in der 3C Carbon Group vorhandene Knowhow und setzt bei der Regina Evo gleich auf ein Chassis aus dem edlen wie vielseitigen Werkstoff.
Mindestens genauso bemerkenswert ist die Tatsache, dass es die Designer und Ingenieure aus Landsberg geschafft haben, das klassische Design der Vergangenheit und Highend-Lösungen der Gegenwart so miteinander zu kombinieren, dass ein optisch absolut stimmiges Gesamtkonzept dabei entsteht.
Detailverliebt
Beim Besuch in Landsberg stehen vor der ersten Ausfahrt mit dem Vorserienmodell dann auch erstmal eine intensive optische Inspektion und das Bestaunen der Regina Evo auf dem Programm. Auf den ersten Blick sind es hier die klassische Formensprache und die kleinen Details, die schon vor über 70 Jahren zu begeistern wussten. Im Vorbeigehen könnte man fast meinen, tatsächlich ein Motorrad aus der Mitte des letzten Jahrhunderts vor sich zu haben. Der für die damalige Zeit typische Rundscheinwerfer, der langgestreckte, tropfenförmige Tank mit den eingelassenen Gummis für die Knie und auch der freischwebende Sattel erinnern stark an den Motorradbau der Nachkriegsjahre und die erste Generation der Regina. Lässt man den Blick weiter schweifen, fallen weitere Elemente auf, die schon der Urahnin das gewisse Etwas verliehen haben. Da sind zum Beispiel die Aluminium-Speichenfelgen in Chromoptik, die wie damals durch einen roten Zierstreifen akzentuiert werden oder die chromglänzende Auspuffanlage, die trotz Einzylindermotor zweiflutig ausgelegt ist.
Der Einfluss der Mutter
Auf den zweiten Blick offenbart sich dann neben den vielen liebevollen Details der moderne Charakter des Motorrads. So ist das Scheinwerfergehäuse nicht aus Metall oder Kunststoff, sondern – wie bei der Muttergesellschaft nicht anders zu erwarten – aus CFK gefertigt. Und statt einer Glühbirne als Leuchtmittel setzt man bei Horex natürlich auf lichtstarke LED-Elemente. Auf Wunsch ist der Scheinwerfer, dessen Tagfahrlicht in Form des Buchstaben H gestaltet ist, sogar als Kurvenlicht erhältlich. Auch der in die Lampenmaske eingelassene Tacho ist kein analoges Element, sondern ein modernes Display mit Touch-Funktion.
Das auffälligste Bauteil der Regina Evo ist aber zweifelsohne der Doppelschleifenrahmen, der ebenfalls aus dem Werkstoff mit dem außergewöhnlichen Karomuster gefertigt wird. Das sieht nicht nur edel aus, sondern ist im Serienmotorradbau auch einzigartig. Als wäre das nicht besonders genug, setzt sich der Einsatz des ultraleichten Materials auch an der Schwinge fort. Die Tatsache, dass auch die Schutzbleche, der Kettenschutz und die Sitzschale aus CFK geformt sind, geht da fast unter.
Wer hätte das gedacht
Während man diese Symbiose aus Klassik und Moderne mit den Augen erkundet, stellt sich unweigerlich die Frage: Wie fährt sich dieses Motorrad eigentlich? Zeigt sich die Regina Evo charakterlich wie ihre Genspenderin? Oder hat sie durch die vielen modernen Elemente auch zeitgemäße Fahreigenschaften?
Praktischerweise gibt es auf dem Gelände der 3C Carbon Group die hauseigene Teststrecke. Diese befindet sich zwar während unseres Besuchs noch im Bau, wurde aber extra für einige Testrunden befahrbar gemacht. Schon beim Platznehmen wird klar, dass die Regina dynamischer geraten ist, als die Optik vermuten lässt. Das Testmotorrad hat mit 820 Millimeter eine überraschend sportliche Sitzhöhe und auch die Höhe und die Breite des Lenkers ist so gewählt, dass man sofort ein gutes Gefühl für das Motorrad bekommt. Ein Eindruck, der sich dann auf dem abwechslungsreichen Rundkurs bestätigt. Die Zurückhaltung der ersten Runden, die aufgrund des Preises von knapp 40.000,-- Euro anfangs an den Tag gelegt wird, gerät schnell in Vergessenheit. Mit jedem Meter steigt der Fahrspaß, mit jedem Umlauf wird die Gangart sportlicher. Der 600 Kubikzentimeter große Einzylinder der Regina leistet zwar nur 48 PS, die haben mit den 133 Kilogramm Trockengewicht der Regina aber keinerlei Probleme und beschleunigen Mann und Maschine ordentlich aus den Ecken. Untermalt wird die Kraftentfaltung von leichten Vibrationen, die zwar deutlich spürbar, aber nicht störend sind. Und seien wir ehrlich: Bei einem Motorrad, das optisch alle Stilelemente ihrer Vorgängerin mit sich bringt, sollte auch der Antrieb den passenden Charakter haben.
Schlank, handlich, neutral
Die eigentliche Stärke der Regina ist aber die Kombination aus niedrigem Gewicht und der Sitzposition mit breitem Lenker, schmalem Tank und der gut gewählten Position der gefrästen Fußrastenanlage. Diese ermöglicht es, die Regina mit Leichtigkeit durch die Radien zu zirkeln, ohne dass das Motorrad dabei nervös wirkt. Egal, ob langgezogene Kurve oder enge Ecke – das Vorserienmodell kann in jeder Situation und bei jeder Schräglage mit neutralem Fahrverhalten punkten.
Dabei zeigt sich auch die Kombination aus der schicken Paoili-Gabel, dem Öhlins-Federbein und der Erstbereifung vom Typ Metzeler Lasertec sowohl auf der recht welligen, da unfertigen, Teststrecke als auch später auf der Landstraße als gelungene Wahl. Die Bremsanlage steht den anderen Komponenten in nichts nach. Die beiden vorderen Bremsscheiben fallen mit 260 Millimeter Durchmesser im Vergleich zu anderen aktuellen Motorrädern zwar recht klein aus. Die Verzögerung, welche die 2-Kolben Bremsanlage aus dem Hause Beringer generiert, geht aber mehr als in Ordnung und optisch fügt sich die Konfiguration mit den polierten Oberflächen perfekt ins Gesamtbild ein. Das gilt auch für die gefrästen Schaltereinheiten, die Hebeleien und die chromglänzenden Motordeckel mit dem großen Horex-Logo. Doch die Regina kann nicht nur sportlich.
Die Sitzposition ermöglicht viel Gefühl fürs Motorrad, ist aber so entspannt, dass man auch die Bummeltour auf der Landstraße genießen kann. Wem die 820 Millimeter des breiten und überraschend bequemen Sitzpolsters aus dem 3D-Drucker zu hoch sind, bekommt von Horex auf Wunsch auch eine niedrigere Variante.
Feines Sammlerstück
Die Ur-Regina wurde über 80.000 Mal gebaut und zu einem Preis von 1.975 Mark verkauft. Mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder nahm der Wohlstand der Deutschen ab Mitte der Fünfzigerjahre schnell zu und man zog das komfortable Automobil dem Motorrad vor. Infolge rutschten auch Kassenschlager wie die Regina schnell in die Bedeutungslosigkeit ab. Siebzig Jahre später ist die Ur-Regina ein absolutes Liebhaberstück. Eine Eigenheit, die der Regina Evo schon heute innewohnt, obwohl sie erst am Anfang ihrer Geschichte steht. Auf 500 Einheiten limitiert und dank der gelungenen Kombination von modernen Hightech-Materialien und liebevollen Details, wird sie trotz eines Preises, der laut Horex über 38.000,-- Euro liegen soll, mit Gewissheit den Weg in die Herzen und Sammlungen von Zweiradfans und Technikenthusiasten finden. Bleibt nur zu hoffen, dass die Regina-Evo-Modelle nicht nur in den Vitrinen und Showrooms der Nation Patina ansetzen. Zu gut fährt sich dieses Motorrad und zu schade wäre es, sich nur an der Optik zu erfreuen. Für diejenigen, die jetzt Lust auf ein superschickes Retro-Motorrad bekommen haben, sich bei aller Motorradnostalgie aber grundsätzlich etwas mehr Sportlichkeit wünschen, gibt es zum Schluss noch eine gute Nachricht: Es soll auf der Basis der Regina auch einen Café Racer mit Stummellenker und knackiger Halbschale geben. Welche Materialien hier zum Einsatz kommen, bedarf keiner weiteren Erklärung.