Honda GL1800 Gold Wing Tour – Luxusliner für Landratten
390 kg auf großer Fahrt durch Hamburg und Umgebung. Hondas Topmodell lässt alle anderen Reisemotorräder alt aussehen – optisch und in puncto Schaltkomfort.
Der Hamburger ist große Pötte gewohnt. Alle naselang kreuzen fernsehturmhohe Containerschiffe und Luxusdampfer mit den Ausmaßen einer Hochhaussiedlung durch den Hafen und die Elbe entlang. Ein wohlwollender Blick, ein kurzes Ahoi – dann ist auch gut. Wer aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, outet sich als Tourist.
Schnieke und exklusiv
Schnittige Linie: Die GL1800 wirkt bei aller Größe relativ schlank. Sie ist „nur“ maximal 905 mm breit und ragt über der Frontscheibe 1.430 mm hoch auf Eine Fahrt mit der Honda GL1800 Gold Wing Tour über die Hamburger Elbchaussee – prestigeträchtigste Adresse der Hansestadt und größtenteils mit dem namensgebenden Elbblick gesegnet – gestaltet sich ähnlich. Der Kenner exklusiver Fahrzeuge registriert wohlwollend, was da Schniekes und Majestätisches an ihm vorbeigleitet – ein fast acht Zentner schweres Motorrad im Gegenwert von knapp 40.000,-- Euro, das sieht man auch hier nicht alle Tage. Und selbst, wer nicht so im Thema ist, kommt augenscheinlich nicht umhin, den prächtigen Luxusliner bis zum Entschwinden am Horizont mit seinen Blicken zu begleiten. „Donnerwetter“, mag der eine oder andere denken, „das ist ja mal ein flotter Dampfer“.
Da passt was rein: Giga-Topcase mit 61 Litern Stauraum – das reicht locker für Jacke, Handschuhe, Integralhelm (oder auch zwei) Eine Gold Wing Tour lässt niemanden kalt, behaupte ich mal. Die schiere Präsenz und Länge (2.615 mm), die futuristische Front mit dem LED-Scheinwerfer-Gebirge, das riesige, im Stile eines Fernsehsessels gepolsterte Topcase, das opulente Cockpit, der ewig lange Tank, die elektrisch ausfahrende Panorama-Windschutzscheibe, der breite Lenker – und dann natürlich der Sechszylinder-Boxermotor, der rechts und links aus der Verkleidung ragt. Das ist schon ganz großes Fortbewegungskino, das Honda hier bietet. Und eine echte Erfolgsgeschichte. Mit Fanclubs in aller Welt.
Vom Sechszylinder-Prototyp zum Vierzylinder-Serienbike
Da steckt Leistung drin: Maximal 170 Newtonmeter Drehmoment bei 4.500 Umdrehungen pro Minute entwickelt der blitzsauber verpackte Sechszylinder-Boxermotor der GL1800 1972 rollt der erste Prototyp in Kumamoto (Japan) vom Band. Unter dem Namen M1 produzierte Honda eine Tourenmaschine mit einem flüssigkeitsgekühlten Sechszylinder-Boxermotor und Kardanantrieb. In die Produktion schafft es die M1 letztlich doch nicht – zu teuer, zu aufwendig, zu viele Zylinder. Dennoch gelangen Teile und Ideen aus diesem Konzept in die erste Gold Wing und legen den Grundstein für das Flaggschiff von Honda – anfangs mit 1.000 ccm Hubraum, vier Zylindern und 82 PS.
Laut Wikipedia wird das japanische „Big Bike“ 1975 in Deutschland für 9.268,-- DM angeboten. Inflationsbereinigt soll das heute einem Betrag von circa 14.500,-- Euro entsprechen. 1984 läuft die letzte Gold Wing mit Vierzylindermotor und mittlerweile 94 PS vom Band. Bereits diese GL 1200 bringt 333 Kilogramm auf die Waage. 1988 kommt die Gold Wing erstmals als Sechszylinder-Version auf den europäischen Markt. Die GL 1500 leistet 98 PS und wuchtet 150 Newtonmeter zum Hinterrad. Heute sind es 126 PS und 170 Nm. Die abgeregelte Höchstgeschwindigkeit beträgt aktuell 180 km/h.
Erstaunlich behände
Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise! Der Sozia-/Soziuskomfort auf der GL1800 Gold Wing Tour ist unübertroffen. Sitzheizung, Rückenpolster, Armlehnen, Trittbretter – Beifahrer, was willste mehr?! Immer wieder erstaunlich ist, wie behände sich die mächtige Gold Wing durch den Verkehr bewegt beziehungsweise bewegen lässt und selbst auf engen, abschüssigen Parkplatzzufahrten keinen Grund für Schweißausbrüche liefert (für die sorgte bei unserer Testfahrt der Hamburger Hochsommer); das zeigen auch schon die bisherigen Fahrberichte und Vergleichstests von Motorrad & Reisen. Beim Rangieren hilft der Rückwärtsgang. In Schleichfahrt bugsiert der Kapitän seinen Asphaltdampfer damit selbst aus der kniffligsten Abstellsituation. Denn längst nicht immer billigt das gemeine Parkplatzvolk der Königin der Straße den nötigen Abstand zu. Vermutlich ahnt es nicht, vor welche Herausforderungen es die Fahrer vergleichbar schwerer Motorräder stellt.
Ein Schiff wird kommen: entspannte Sitzhaltung, moderate Sitzhöhe (745 mm), breiter Lenker und gaaanz viel Platz zwischen den Rädern (vorn 18 Zoll, hinten 16 Zoll). Der Radstand beträgt üppige 1.695 mm 390 Kilogramm wiegt die Honda GL1800 Gold Wing Tour mit allem Ornat, das sei hier noch einmal erwähnt. Eine gehörige Portion Eier in der Hose kann also nicht schaden, denn allein die Entscheidung, einen solchen Kaventsmann reiten zu wollen, bedarf einer gewissen Courage – trotz der moderaten Sitzhöhe von nur 745 mm. Manch erfahrener Zweiradzosse winkt von vornherein ab: Nix für mich, viel zu schwer – Gründe, etwas gegen ein Bike vom Kaliber der Gold Wing zu haben, sind vordergründig schnell gefunden.
Einer ist sicherlich auch der Preis: Ab 39.190,-- Euro begehrt Honda derzeit für die Gold Wing Tour. Hüstel. Ohne Gepäckhalle und Airbagsystem sind es 30.190,-- Euro. Das klingt schon sozialverträglicher, ist aber wahrlich eine schöne Stange Geld. Als Gegenwert gibt es Reisekomfort auf höchstem Niveau, legendäre Qualität, unkaputtbare Technik und verhältnismäßig geringe Unterhaltskosten: 5,5 Liter auf 100 Kilometer gibt Honda als Durchschnittsverbrauch an. Zum Service bittet Honda alle 12.000 Kilometer oder einmal im Jahr.
7-Gang-DCT serienmäßig
Da steht es geschrieben: „Dual Clutch Transmission“. Als einziges der zahlreichen DCT-Modelle von Honda hat das Doppelkupplungsgetriebe der Gold Wing sieben statt sechs Fahrstufen Am Bedienkonzept und der vorbildlichen Vernetzung hat Honda seit dem letzten Relaunch nichts geändert. Für den Modelljahrgang 2024 gab es lediglich neue Lackkleider. Das famos funktionierende 7-Gang-DCT-Doppelkupplungsgetriebe ist weiterhin serienmäßig an Bord. Eine sehr gute Entscheidung: Alles andere als automatisierte, auf Wunsch per Finger gewechselte Fahrstufen wäre ein Frevel bei diesem Premiumgleiter. Ebenso weniger Platz für die Garderobe der Besatzung: Das 61 Liter fassende Oversize-Topcase ist selbstverständlich aufpreisfrei an Bord (plus 60 Liter Stauraum im Kofferset). Rückenpolster und Armlehnen gehören hier zur Standardausrüstung, ebenso der einzige Airbag in der Motorradwelt. Zum Glück haben wir den nicht gebraucht. Wäre doch zu schade um diesen Luxusliner für Landratten.