Harley-Davidson Softail Standard – Bike-Vorstellung
Die Softail Standard bildet preislich betrachtet den Einstieg in die klassische Modellpalette von Harley-Davidson. Im Praxistest muss der Classic Cruiser zeigen was er kann.
Kein anderer Motorradhersteller pflegt den eigenen Mythos so beständig und konsequent wie Harley-Davidson. Trotz aller Modernisierungen der vergangenen Jahre im Modellprogramm kann man ihn bis heute auch noch in einem Neufahrzeug nachspüren. Sei es mit der Heritage Classic, die wie frisch aus den Sechzigern wirkt, oder der Softail Standard, die, wie die verwandte Street Bob, so etwas wie das Abziehbild einer Harley ist, wie man sie sich vorstellt. Der technische Grundstein für den Chopper wurde schon vor 40 Jahren gelegt.
Hoher Lenker, tiefer Sitz und viel Chrom
Ein hoher Lenker und ein tiefer Sitz, eine lange Gabel und viel Chrom: Das sind die klassischen Zutaten der Softail. Und natürlich das Bollern des großen BigTwins. In der Softail Standard schlägt als Herz des Milwaukee-Eight 107, das mit rund 1,75 Litern Hubraum (107 Kubikzoll) aktuell „kleinste“ Triebwerk der Neuzeit. Das klassische Triebwerk der Evolution-Baureihe, die vor 40 Jahren mit der ersten Softail vorgestellt wurde, verfügte über 1.340 Kubikzentimeter Hubraum.
Der aktuelle, luft-/ölgekühlte Motor bringt es auf 87 PS und schöpft sein Potenzial vor allem aus seinem maximalen Drehmoment von 144 Newtonmetern. Die fast 300 Kilo Lebendgewicht merkt man der Softail Standard angesichts ihrer Kräfte kaum an. Die Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h ist auf einem Chopper – die Marke selbst spricht inzwischen von Cruiser – ohnehin bedeutungslos. Da sind die fünf oder fünfeinhalb Sekunden (die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen) für den Standardsprint deutlich wichtiger.
Es bedarf etwas an Druck
Knapp unterhalb von 2.000 Umdrehungen in der Minute läuft der 45-Grad-Twin mit seiner Leerlaufdrehzahl von etwa 850 U/min rund. Mit mächtigem Bollern aus dem Untergeschoss geht es vorwärts. Bereits bei 2.500 Touren kann getrost geschaltet werden. Wer mit zu hoher Drehzahl in den ersten Gang zurückkehrt, kann auch schon einmal die umgekehrte Kraft zu spüren bekommen, wenn das Hinterrad wegen der heftigen Motorbremse plötzlich kurz stempelt. Apropos Verzögerung: Während die einzelne Scheibe vorne fein dosierbar ist, ist der hintere Stopper recht defensiv ausgelegt und verlangt vor allem viel Druck auf den Hebel. Die Harley zeigt sich beim Bremsen aber spurstabil.
Die Sache mit dem Gefühlsteppich
Das Gewicht, die lange Gabel und der 19 Zoll Umfang des Vorderrads machen die Softail auf der Landstraße natürlich nicht zum Kurvenräuber. Die Kreiselkräfte fordern bei höheren Geschwindigkeiten die Hand am Lenker zu spürbarem Gegendruck auf, wenn es um den Richtungswechsel geht. Ein US-Highway ist nun einmal etwas anderes als eine deutsche Landstraße. Die Urgewalt des Triebwerks, der unnachahmliche Sound und das satte „Klong“ beim Gangwechsel bilden aber einen Gefühlsteppich, dem sich Zweirad-Petrolheads kaum entziehen können. Bei Autobahnrichtgeschwindigkeit liegen im letzten Gang 3.000 U/min an und etwas darüber liegt das maximale Drehmoment. Für Tempo 100 reichen dem Milwaukee-Eight entspannte 2.300 Umdrehungen.
Bitte Platz nehmen zur Sitzprobe
Kenner wissen: Softail steht für das kaschierte Zentralfederbein, das hier in die Horizontale umgelenkt und unter dem Sitz versteckt wird. So entsteht die Optik eines starren Rahmens. Umso erstaunlicher ist der unerwartet hohe Federungskomfort. Nicht ganz mithalten kann da die Ergonomie. Ich weiß nicht, an welchem Fabrikarbeiter oder Entwicklungsingenieur Harley Maß genommen hat, aber er muss möglicherweise einen etwas eigenartigen Körperbau haben. Während der Mini-Ape-Lenker überraschend bequem für die Arme ist, zwingt der Solositz den Fahrer in eine Kuhle, die ihn förmlich zementiert. Und die „mittig“ (O-Ton) angeordneten Fußrasten sind so weit hinten positioniert, dass sich selbst kurzbeinige Fahrer entweder den Sattel zwei, drei Zentimeter weiter hinten oder die Gummis entsprechend weiter vorne wünschen. Der Rahmen jedenfalls bietet weitere Aufnahmepunkte und der Händler gegen Extrageld dann auch die entsprechend vorverlegte neue Fußrastenanlage. Vor dem Kauf sei eine Sitzprobe also auf jeden Fall angeraten. Aber das puristische Konzept will Harley-Davidson ohnehin gerne als Einladung zum Customizing verstanden wissen.
Das kleine Schwarz-Weiß-Display in der Lenkerklemme darf im Digitalzeitalter durchaus als puristisch durchgehen. Zu Tank-, Geschwindigkeits- und Ganganzeige können wahlweise der Kilometerzähler, der Tripmaster, die Restreichweite oder die Drehzahl eingespielt werden. Das funktioniert mit einfachem Tastendruck zum Durchwechseln. Einfach, wenn auch verchromt, ist der Tankdeckel: Abschließen ist nicht vorgesehen.
Nach wie vor hält Milwaukee auch an den getrennt angebrachten Blinkerschaltern (mit Abschaltautomatik) fest. Wer sich einmal daran gewöhnt hat, mag das System eigentlich nicht mehr missen, kommt es doch dem natürlichen Empfinden von links und rechts im Gehirn nach. Etwas Übung bedarf es anfangs allerdings beim Einholen des Seitenständers, der sich in ausgefahrenem Zustand recht ungünstig zwischen Raste und Schalthebel liegt. Zum Glück gibt es einen besonders großen Ausleger für den Fuß.
Einstieg in die klassische Modellpalette von Harley-Davidson
Im Reigen der klassischen Modelle bildet die Softail Standard mit rund 17.000,-- Euro den preisgünstigsten Einstieg und den zweitgünstigsten im Modellprogramm, nach der Nightster, überhaupt. Billiger kann man dem Mythos der Marke aus Milwaukee nur noch gebraucht nachspüren. Dann gibt es aber keine vier Jahre Garantie.