Ja, wir erinnern uns noch sehr genau daran, als wir zum ersten Mal auf einer BMW S 1000 Doppel R Platz nahmen. Es war auf der Rennstrecke von Almeria. Katja Poensgen, die einzige Frau, die jemals Punkte bei der Motorrad-Straßenweltmeisterschaft gesammelt hat, führte die kleine Gruppe auf den großen Maschinen über die Rennstrecke an. Glücklicherweise gab Katja das Tempo vor, und zwar nicht im Rennmodus, sondern so, dass alle flott, aber gefahrlos über die Runden kamen. Denn: Dieses Motorrad ist eine Höllenmaschine auf Rädern, die nicht umsonst ursprünglich für die Rennstrecke konzipiert wurde. Seit einiger Zeit ist nun die „abgespeckte“ Version, die mit dem einfachen R, auf dem Markt. Es handelt sich also um die kleine Schwester des überaus erfolgreichen Modells der Supersportklasse. Und die nahmen wir uns in den österreichischen Alpen, genauer gesagt rund um Ischgl, vor.
Das Motorrad ist schon von Weitem zweifelsfrei zu identifizieren, an seinen verschieden geformten Scheinwerfern nämlich – ganz wie die große Schwester. „Split Face“ nennen die Marketingexperten im Hause BMW dieses Design-Feature. Es klingt allerdings eher nach dem neuesten Mitglied der Panzerknackerbande. Das fehlende R im Produktnamen der Maschinen steht also symbolhaft dafür, dass das Motorrad sozusagen abgespeckt ist. Vor allem fehlt die Verkleidung und statt eines sportlichen Stummellenkers zwingt ein höherer Rohrlenker den Fahrer in eine aufrechtere Sitzposition. Das kommt dem Zweck des Motorrades, nämlich auf normalen Straßen unterwegs zu sein, sehr entgegen. Somit ist aus dem reinrassigen Sportler ein Naked Bike geworden, wobei eigentlich die Bezeichnung Super Naked die richtige wäre.
Neue Kategorie: Dynamic Roadster
Die bayerischen Marketingstrategen haben sich aber noch etwas Griffigeres einfallen lassen und gleich eine neue Kategorie gekürt: „Dynamic Roadster“ ist dabei herausgekommen und an Agilität fehlt es dem Motorrad in keiner Lebenslage. Das konnten wir auf unseren diversen Auf- und Abfahrten und den 34 Kehren auf gut 22 Kilometern über die Silvretta Hochalpenstraße genussvoll ausprobieren. Zwar hat die R gegenüber der Doppel R 33 Pferdestärken weniger zur Verfügung, aber durch eine pfiffige neue Abstimmung entwickelt das famose Antriebsaggregat bei niedrigen und mittleren Drehzahlen enorme Kraft. Bis 7.500 Kurbelwellenumdrehungen pro Minute stellt der Motor, wie die BMW-Ingenieure glaubhaft versichern, ganze zehn Newtonmeter mehr Drehmoment zur Verfügung als die Doppel R. Bislang war ich nicht unbedingt ein Freund der bedingungslosen Digitalisierung von Kraftfahrzeugen. Aber was die S 1000 R an Bord hat, stellt sich als sinnreiche Ergänzung heraus und ist – mit Verlaub – bei nicht ganz so geübten Fahrern sogar ein Muss. Der elektronische Gasgriff sorgt dafür, dass die 165 PS seidenweich und ruckfrei auf die Straße gebracht werden können. Die automatische Stabilitätskontrolle namens ASC wacht über den Abgleich der Rotation der Räder, damit das Hinterrad beim Beschleunigen nicht ausbricht.
Wir waren bei unseren Testfahrten nicht gerade mit bestem Wetter gesegnet. Ein Gewitter mit Starkregen jagte das nächste. Bei diesen Verhältnissen waren wir heilfroh, jederzeit auf die beiden serienmäßigen Fahrmodi zurückgreifen zu können. So konnten wir diverse Male von „Road“ auf „Rain“ umschalten und damit die Leistung auf immer noch Spaß bringende 136 PS runterregeln. Damit geht eine besonders sanfte Gasannahme einher – fast ein Rundum-Sorglos-Paket. Dabei hatten die bayerischen Techniker anfangs geplant, das Motorrad ohne die Antischlupfregelung auszuliefern. Sie haben sich glücklicherweise eines Besseren besonnen, sonst hätten wir vermutlich ein Desaster miterleben müssen. Erstaunlich ist allerdings, dass das Motorrad trotzdem zu einem sensationell günstigen Preis zu haben ist. Die Basisversion kostet rund 13.850,-- Euro.
Verführerische Zusatzpakete
Vermutlich würde der Endpreis bei den meisten Kunden wohl erheblich darüberliegen. Zu verführerisch ist beispielsweise das „Sport-Paket“ mit einer dynamischen Traktionskontrolle, die abhängig von der Schräglage ihre Arbeit verrichtet. Die beiden zusätzlichen Fahrprogramme Dynamic und Dynamic Pro scheinen allerdings entbehrlich zu sein, jedenfalls wenn man nicht wenigstens gelegentlich auf die Rennstrecke geht. Heizgriffe? Na klar, und der Schaltassistent hat ebenfalls positive Aspekte. Das „Dynamic-Paket“ ist an den LED-Blinkern erkennbar und glänzt mit dem elektronisch geregelten Fahrwerk.
Veränderungen verursachten Probleme
Die Veränderung am Lenker und die fehlende Verkleidung verursachten am Anfang enorme Probleme, was die Fahrbarkeit anbetraf. Die aufrechtere Sitzposition veränderte die Aerodynamik erheblich und führte bei hohem Tempo zu starker Instabilität. Außerdem neigte die Maschine plötzlich zu ungewollten Wheelies. Noch gravierender war die Tendenz des Vorderrades, eine Rutschpartie zu unternehmen. Einige Fahrwerksmodifikationen an der Gabel und am Radstand haben dem Motorrad allerdings diese Flausen ausgetrieben. Es gab eine Menge unfreiwilliger Regenpausen auf unserer Fahrt in Österreich über die „Silvretta“. Am schönsten waren die an der Bergstation Bielerhöhe. Nicht nur weil man hier auf 2.032 Metern ein wunderbares Bergpanorama ablichten konnte, sondern vor allem deswegen, weil wir unter den gefühlten tausend BMW GS-Bike-Lenkern mit der S 1000 R der Exot waren. Schon akustisch macht man sich nämlich mit diesem Motorrad rechtzeitig bemerkbar, um die Blicke der anderen auf sich zu ziehen. Ein Auspuff aus dem Zubehörregal ist dazu völlig unnötig. Viel kerniger haben wir die RR auch nicht in Erinnerung.
Für solche Fälle sollte man auf jeden Fall sämtliche Daten des Bikes parat haben – am besten im Kopf. Besonders schwärmten wir dann von der bemerkenswert weichen Gasannahme der hochgerüsteten Maschine. Vor allem mit dem Gewicht konnten wir natürlich gegenüber den Vertretern der Fraktion „Big is beautiful“ protzen, denn die nur 205 Kilo fühlen sich mit diesem Big Bike an, als säße man auf einem Mittelklasse-Motorrad. Nun wäre es ein Wunder gewesen, wenn wir auf diesen wunderbaren österreichischen Bergstraßen mit der Zahlung der Maut davongekommen wären. Selbst an den übersichtlich scheinenden Stellen muss man mit den Herren der Gendarmerie rechnen. Wir wollen uns aber nicht beklagen und sind mit rund 100,-- Euro noch glimpflich davongekommen.
Ideal für das kurze Wochenendvergnügen
Außer einem Schminkköfferchen und einem Rucksack ist das Transportvolumen eher begrenzt. Zweifellos ist die Doppel R trotz ihrer Rennstreckentrimmung das variabler einsetzbare Bike. Wer allerdings mehr aufs kurze Wochenendvergnügen setzt, ist mit der Single R bestens bedient. Dabei sind Touren von 250 Kilometern Länge ohne Tankstopp locker drin. Vorausgesetzt man übertreibt den Dreh am Gasgriff nicht. Bei hochtouriger Fahrt braucht der Vierzylinder nämlich leicht mal gut sechs Liter. Wer den Gasgriff feinfühlig bedient, kommt aber auch mit fünf Litern aus. Den meisten Fahrern wird ein Tankstopp nach so einer Distanz sowieso sehr gelegen kommen, denn der Sitz ist ganz sicher nicht für längere Distanzen konzipiert. Manchen wird er schon nach kürzerer Zeit zu schmal und insgesamt zu unbequem sein. Das sind allerdings eher individuelle Aspekte. Und so bietet BMW auch einen Komfortsitz als Alternative an. Uns würde auf Dauer auch die schlechte Ablesbarkeit der Armaturen nerven. Es werden zwar alle möglichen Informationen bis hin zu den Heizgriffen angezeigt, doch größer wäre vielleicht in diesem Falle besser gewesen als mehr.
Hervorragendes, preiswertes Motorrad
Aber viel mehr gibt es auch nicht zu meckern, denn die S 1000 R ist insgesamt ein hervorragendes Motorrad und darüber hinaus auch noch verhältnismäßig preiswert – wenn man sich bei der aufpreispflichtigen Liste etwas zurückhält.