Was den Bau elektrisch betriebener Motorräder betrifft, gilt das amerikanische Unternehmen Zero als Pionier der Branche. Seit 2006 bauen die Kalifornier ausschließlich E-Töff. In den Anfangsjahren waren das zwar eher Mountainbikes ohne Pedale, doch zwischenzeitlich wurde das Sortiment mit zunehmend leistungsstärkeren Modellen erweitert.
Mit der Power-Naked SR/F und dem neuen Sporttourer SR/S ist Zero jetzt definitiv in die Topliga elektrisch betriebener Motorräder aufgestiegen und steht da nun im Wettbewerb mit der bereits etablierten italienischen Marke Energica sowie der neuen LiveWire, dem ersten E-Töff von Harley-Davidson.
Der Schwingendrehpunkt befindet sich auf der Antriebsachse des luftgekühlten Z-Force-75-10-Elektromotors
Auf Augenhöhe mit der Konkurrenz
Unter dem glattflächigen Kleid der SR/S steckt die bewährte Technik des nackten Schwestermodells SR/F. Hauptkomponenten sind der 14,4 kW große Lithium-Ionen-Speicher und der in Eigenregie entwickelte Z-Force-75-10-Elektromotor – beide luftgekühlt. Mit 110 PS und mächtigen 190 Nm Drehmoment ist die SR/S bezüglich Leistung absolut auf Augenhöhe mit den erwähnten Mitbewerbern. Und wie bei der Konkurrenz ist auch bei Zero die Übersetzung stufenlos und der Endantrieb erfolgt ebenfalls mittels Zahnriemen. Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 200 km/h begrenzt. Stahlrohrrahmen, Schwinge und Geometrie sind identisch mit der F.
Aufgrund des tiefen Schwerpunktes und der geringeren bewegten Massen fährt sich die 229 Kilogramm schwere Zero SR/S handlicher als erwartet
Von der Luftfahrt inspiriertes Design
Bei der Gestaltung der stromlinienförmigen Verkleidung ließen sich die Designer angeblich von Vorbildern der Luftfahrt inspirieren, was aerodynamische Vorteile haben soll. In geduckter Racing-Position verspricht Zero 13 % mehr Reichweite. Auf dem komplett glattflächigen Kleid wirken die seitlich aufgesetzten Blinker allerdings wie Fremdkörper. In den Gehäusen der klappbaren und unter dem Lenker platzierten Rückspiegeln wäre eigentlich ausreichend Platz und solchermaßen unauffällig integriert würde das sicher besser zum ansonsten schnörkellosen Design passen. Im Vergleich zur SR/F tiefer gesetzte Fußrasten, ein höher positionierte Lenker und der breitere Sattel bewirken eine aufrechte und durchaus relaxte Sitzposition. Die Upside-down-Gabel und das hintere Monofederbein – beide von Showa und voll einstellbar – sind mit zum Touring-Konzept passenden Federn bestückt und softer abgestimmt.
Mit zusätzlichem Rapid-Charger ist der Akku nach einer Stunde zu 95 Prozent voll
Stark im Stop-and-go-Verkehr
Auf einen Transponderschlüssel verzichtet Zero vorerst. Das Startritual verläuft also äußerst konventionell – bis auf den fehlenden Motorsound, versteht sich. Und weil das Anfahren ohne Kupplungshebel selbst für Routiniers zunächst doch eher befremdlich ist, dreht am Start zu unserer Testfahrt an der Côte d‘Azur manch einer ein bisschen sanfter am vermeintlichen Gasgriff als üblich. Am Morgen im dichten Stop-and-go-Verkehr von Nizza spielt der stufenlose Elektroantrieb im Eco-Modus seine ersten Stärken aus: Kein Kuppeln, kein Schalten und keine mühsame Suche nach dem Leerlauf vor dem Rotlicht. Auf der anschließenden Autobahnetappe beschert der Wechsel in den Street-Modus der S eine direktere „Gas“-Annahme und sattere Beschleunigung.
Am hinteren Showa-Federbein sind Vorspannung, Druck- und Zugstufe einstellbar
Ruhige, präzise und zügige Gangart
So richtig los geht es jedoch erst entlang der Küste zwischen Cannes und St. Raphael und auf der kurvenreichen Bergstrecke von Frejus zurück nach Cannes. Im Sport-Modus lässt die SR/S auf diesen Teilstücken wirklich nichts anbrennen und begeistert mit kraftvoller und sehr direkter Beschleunigung in allen Lebenslagen. Und weil nicht geschaltet werden muss, gilt die ganze Konzentration der Strecke, der optimalen Linie, dem richtigen Anbremsen und Beschleunigen. Daraus resultiert eine ruhige, präzise und auch zügige Gangart, und genau das ist eine weitere Stärke der SR/S und der Elektro-Töff im Allgemeinen. Im Vergleich zu einem ähnlich stark motorisierten Verbrenner bringt die Zero mit ihren 229 Kilogramm rund 50 Kilogramm mehr auf die Waage, doch aufgrund des tiefen Schwerpunktes und der geringeren bewegten Massen fallen diese bezüglich Handling und Agilität weit weniger stark ins Gewicht als erwartet. Beim Bremsen dagegen schon: Nach mehrmaligen harten Verzögerungen bis in den Regelbereich des ABS wandert der Druckpunkt der ansonsten gut dosierbaren und wirkungsvollen J. Juan-Anlage deutlich in Richtung Lenkergriff.
Durch den stufenlosen Antrieb gilt die ganze Konzentration der Strecke, dem Bremsen und Beschleunigen, und das bewirkt eine ruhige Fahrt mit flottem Speed
Einschränkende Reichweite und Ladezeiten
Nach 115 Kilometern zurück in Nizza signalisiert das moderne und gut ablesbare Farbdisplay eine Restreichweite von 30 Kilometern. Damit sind wir zum Schluss bei dem Thema, welches der Akzeptanz des E-Töff auf breiter Basis im Wege steht. Zero benennt die maximale Reichweite mit 223 Kilometern, allerdings nur dann, wenn der optionale Power-Tank montiert ist und im Stadtverkehr im Eco-Modus gefahren wird. Ähnliches gilt für die Ladezeiten: An einer Typ2-Station soll der Akku nach einer Stunde von 0 auf 95 Prozent geladen werden – zumindest beim Premium-Modell (23.740,-- Euro) mit zusätzlichem 6-kW-Rapid-Charger (plus ca. 2.500,-- Euro). Beim Standardmodell (21.540,-- Euro) mit 3-kW-Ladegerät dauert das rund vier Stunden.
Das große TFT-Farbdisplay offeriert unterschiedliche Layouts und eine Fülle von Informationen
Fazit
Die neue Zero SR/S ist ein wirklich feines Motorrad: Sie sieht toll aus, der Motor macht ordentlich Druck, das Fahrwerk funktioniert gut und bezüglich Agilität und Handling ist sie trotz Mehrgewicht auf Augenhöhe mit vergleichbaren Verbrennern. Bezüglich Reichweite und „Tankstopp-Zeit“ jedoch bei Weitem nicht. Einen kernigen Sound habe ich nicht wirklich vermisst, zumal die SR/S unauffällig leise mächtig viel Spaß macht.