Über 50.000 Mal verkaufte sich die R 1200 R, bevor sie 2015 völlig neu konstruiert erschien. Hat die hübsche Nackte immer noch das Zeug zum sportlichen Allrouder?
Hat die hübsche Nackte immer noch das Zeug zum sportlichen Allrouder, oder sollten Tourenfahrer lieber die Finger davon lassen? Wie schlägt sich das moderne Boxerherz in der leichten Maschine und was ist sonst noch neu bei der R 1200 R (LC)? Diesen Fragen sind wir nachgegangen und haben die BMW artgerecht durch die Harzberge bewegt. Um eins gleich vorwegzunehmen – auch „Nicht-BMW-Fans“ sollten sich diesen Test einmal zu Gemüte führen... Die letzten schönen Tage im Jahr, im goldenen Herbst, bieten nicht nur eine Fülle von natürlichen Gelb-, Orange-, Rot- und Brauntönen, sondern zuletzt auch ungewöhnlich warme Temperaturen. Zu solch einer Jahreszeit noch ein Motorrad testen zu können ist in unseren Breitengraden, gerade im niederschlagsreichen Harz, eher ungewöhnlich. Der absolut wolkenlose Himmel erstrahlt in einem wahnsinnigen Ultramarinblau und lockt noch eine Menge Motorradfahrer in die freie Natur. Also werfe ich den Kugelschreiber auf den Schreibtisch, schlüpfe in die Klamotten und schließe mich der fahrenden Zunft an. Ich finde, solch eine Chance sollte man nutzen, um noch eine ausgiebige Runde Moped zu fahren. Zumal mich eine besondere Maschine in der Redaktionsgarage erwartet. Ich zähle nicht unbedingt zu den Freunden der bayrischen Boxerfraktion, aber die knallgelbe 1200er reizt mich schon seitdem wir sie am Liefertag von der Pappverpackung befreit haben. Daher werde ich unvoreingenommen an die Sache herangehen.
Motorräder: Harley-Davidson Low Rider S, Harley-Davidson CVO Pro Street Breakout, KTM Adventure, Ducatti Scrambler/Metisse CR800, Suzuki GT 750, Triumph Tiger Explorer, BMW R 1200 R Reisen: Stralsunder Rügenrunde, Grenztour Werra-Meißner, Luxemburg - Das Land der kulturellen Kontraste,
Motorräder: Harley-Davidson Low Rider S, Harley-Davidson CVO Pro Street Breakout, KTM Adventure, Ducatti Scrambler/Metisse CR800, Suzuki GT 750, Triumph Tiger Explorer, BMW R 1200 R Reisen: Stralsunder Rügenrunde, Grenztour Werra-Meißner, Luxemburg - Das Land der kulturellen Kontraste,
Motorräder: Harley-Davidson Low Rider S, Harley-Davidson CVO Pro Street Breakout, KTM Adventure, Ducatti Scrambler/Metisse CR800, Suzuki GT 750, Triumph Tiger Explorer, BMW R 1200 R Reisen: Stralsunder Rügenrunde, Grenztour Werra-Meißner, Luxemburg - Das Land der kulturellen Kontraste,
Preis: 5,90 €
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Auf dem Navihalter klebt ein Zettel mit der Aufschrift: „Vorsicht! Neue Reifen!“ – danke für den Hinweis. Der kleine Schalk in meinem Nacken will die Notiz mit folgendem Satz ergänzen: „Jetzt nicht mehr!“, wenn ich erst mal mit der BMW fertig bin. Nun gut, dann mache ich mich zuerst mit der Maschine vertraut. Modern sieht sie aus, endlich mit „richtiger“ Upside-Down-Teleskopgabel und herkömmlicher Blinkerbetätigung ausgestattet, aber mit einigen Ecken und Kanten, nicht so rundlich, barock wie die ältere Schwester. Die Neue schaut doch tatsächlich richtig dynamisch aus – schon mehr wie ein knackiges Nakedbike. Ich bin überrascht, die Formensprache trifft meinen Geschmack und das will wirklich etwas heißen. Optisch wirkt sie also um einiges hübscher als die über 50.000 Mal gebaute Vorgängerin, fast ein wenig „italienisch“ mit ihrem eleganten Gitterrohrrahmen. Und schlank ist sie, ein pures Nakedbike, selbst der dicke Boxermotor hält sich augenscheinlich etwas zurück. Das Heck wirkt schmal und eigenständig, die Seitenlinie kraftvoll und stark, von vorne fällt sogleich der coole Scheinwerfer mit dem LED-Knochen auf. Die Studie Concept Roadster von BMW stand hier unverkennbar Pate. Mir soll es recht sein, ich mag solche puren Motorräder. Solange die Tourentauglichkeit erhalten bleibt, steht auch ausgedehnten Runden nichts im Weg. Na, schauen wir mal. Vom hauseigenen Koffersystem über Tankrucksack und BMW- Navigation findet man zumindest das nötige Zubehör im BMW-Regal.
Das neu gestaltete Cockpit bietet verschiedene Anzeigenoptionen – für jeden Geschmack und Einsatzzweck
Cockpit – neu gestaltet
Das Cockpit wirkt hochmodern, die TFT-Anzeige aber auf den ersten Blick etwas unübersichtlich. Da sind zu viele Informationen, die erst einmal erkundet werden wollen. Hat man die Zahlen und Bezeichnungen erst einmal verinnerlicht, geht es mit der Übersicht schon etwas besser. Aber keine Angst – die Informationsflut kann auch gezielt angepasst werden. Im vollständigen Modus werden, wie der Name schon sagt, die relevanten Daten vollständig angezeigt. Ein sportlicher Modus, sowie die Option für reduzierte Informationen stehen dem Fahrzeuglenker ebenfalls zur Verfügung. Entsprechend konfiguriert und angepasst gefällt mir das Cockpit gleich viel besser.
Optional erhältlich – BMW Keyless Ride Die BMW wird übrigens ohne Schlüssel zum Leben erweckt, wobei – ganz richtig ist das nicht. Der Schlüssel sollte sich zumindest am Mann oder an der Frau befinden – Hosentasche oder Jacke – völlig egal. Ein Druck aufs Knöpf- chen – da wo normalerweise das Zündschloss sitzt – und schon ist die Zündung bereit. Nun, wie gehabt, den Startknopf betätigen und der große Boxer erwacht grummelnd zum Leben. Dieser verrichtet ja schon in der Großenduro R 1200 GS hervorragend seinen Dienst, mit der Roadster hat er dann noch leichteres Spiel. Wobei sich die 125 Pferdestärken nicht einmal sonderlich spektakulär anhören, aber anfühlen tun sie sich ganz ausgezeichnet und verlangen definitiv nach mehr. Fein abgestimmt, glänzt das Triebwerk mit sauberem Ansprechverhalten und einem bärenstarken Punch. 125 Newtonmeter, immerhin 12 mehr als beim Supersportler S 1000 RR, drücken wirklich ordentlich und produzieren einen ganz beachtlichen Schub. Dank geänderter Airbox sowie neuem Schalldämpfer ist die BMW R 1200 R bis im mittleren Drehzahlbereich der stärkste BMW-Boxer und liegt sogar noch vor GS und RT. Schon im Standgas kann die 1200er problemlos bewegt werden. Meine Wohlfühldrehzahl bewegt sich so zwischen 2000 und 5000 Umdrehungen. Darüber wird der Motor zwar etwas brummig, auch die Vibrationen nehmen zu, aber er dreht völlig problemlos bis an den roten Bereich. Bis 8000 Umdrehungen geht die BMW richtig gut vorwärts und braucht sich auch nicht vor vermeintlich stärkeren Mitbewerbern zu verstecken. Ganz im Gegenteil, so manch ein Naked-Sportler, vom Kaliber einer 1290er Superduke oder einer 1200er Monster, kann sich schon mal auf einen neuen Spielkameraden einstellen. Der druckvolle Vortrieb kann dabei in verschiedenen Charakteristika abgerufen werden. Die elektronisch verstellbare Bandbreite reicht dabei von moderat bis knackig. „Road“ und „Rain“ stehen standardmäßig zur Verfügung, die getestete R 1200 R verfügt außerdem noch über die Einstellmöglichkeit „Dynamik“ und „User“. Bei Letzterer lässt sich die Gasannahme und der Schlupf individuell programmieren. Ausprobiert habe ich diese Einstellung allerdings nicht, da der Dynamik-Modus bereits eine sehr gute Abstimmung der Parameter aufweist.
Großen Anteil an der hervorragenden Fahrbarkeit hat zweifellos das semiaktive Fahrwerk: Dynamik ESA. Je nach Fahrbahnbeschaffenheit und Fahrzustand regelt es die Dämpfung in Bruchteilen von Sekunden nach. Als bequem abgestimmt erweist sich erwartungsgemäß der Roadmodus, genau das Richtige für geschmeidige Touren. Dynamisch geht die gleichnamige Einstellung zu Werke, straff und sportlich, genau so wie ich es erwartet habe. Ganz ohne Kritik, wenn auch auf hohem Niveau, geht’s aber dennoch nicht. Kleine Schlaglöcher und kantige Unebenheiten (die Baustelle im Nachbarort) verhärten die Hinterhand doch recht schnell und so werden die Stöße reichlich ungefiltert an meinen Allerwertesten geleitet. Auffällig deshalb, weil die BMW auf dem restlichen Asphaltband sagenhaft ruhig und satt auf der Straße liegt und mir sofort ein ausgesprochen gutes und sicheres Fahrgefühl vermittelt, sodass ich beinahe die neuen Reifen vergesse. Nun erklärt sich auch die Notiz im Cockpit, also lieber mal ein bisschen vorsichtiger um die Ecken huschen. Einfach macht mir das die BMW allerdings nicht, Schräglagenwechsel jeglicher Art werden zum Kinderspiel. Die 1200er lässt sich um die Ecken zirkeln, wie eine leichte 600er. Fast schon so handlich wie eine Supermoto und irgendwie auch ein wenig verstörend. Besonders, wenn ich zwischendurch auf den Geschwindigkeitsmesser schaue – was man ja gelegentlich tun sollte – wird mir das ganze Potential der BMW erst richtig bewusst. Zu der exzellenten Handlichkeit tragen zweifellos auch die Carbonräder von HE-Carbon bei, die die ungefederten Massen reduzieren.
Klasse Bremsanlage – fantastische Wirkung und gut dosierbar
Bissfeste und standhafte 320mm Brembo-Bremsen verzögern im Zweifelsfall mit einer so brachialen Wirkung, dass sogar die fein ansprechende und sportlich abgestimmte Telegabel weit eintaucht. Die Bremse erfordert wenig Handkraft, überrascht mich mit einem guten Druckpunkt und zeichnet sich durch ein sehr fein regelndes und abschaltbares ABS aus. Das war bei BMW nicht immer der Fall, umso mehr erfreut es mich jetzt. Nichts anderes erwarte ich von einem Vierkolben Radialbremssattel. Hinten verrichtet übrigens eine 276 mm Scheibe mit einem Doppelkolben Schwimmsattel unauffällig, aber wirkungsvoll ihren Dienst.
Am meisten in Erstaunen versetzt mich allerdings die Tatsache, dass ich keinerlei negative Einflüsse vom Sekundärantrieb verspüre. Der Kardan verhält sich so unauffällig, dass ich erst am Ende des Tages darüber nachdenke und mir beim besten Willen kein Kritikpunkt zu dem Thema einfallen will. Und wo ich nun schon bei „negativ“ bin – was mir immer noch nicht gefällt, ist der Klang des Boxermotors. Sicher – aus dem G.P.R.-Endschalldämpfer entweicht eine tolle Soundkulisse. Der typische, brummige Grundklang bleibt aber dennoch erhalten. Gott sei Dank ist das aber Geschmackssache und somit auch nicht testrelevant.
Ergonomisch habe ich an der BMW nichts auszusetzen. Mit meinen 180 Zentimetern Körpergröße passe ich perfekt auf das Motorrad. Der Lenker liegt gut in der Hand, für meinen Geschmack einen Hauch zu schmal, der Kniewinkel passt gut und auch die Sitzbank zeigt sich angenehm schmal geschnitten, sodass die Beine nicht zu weit gespreizt sind. Auch die aufrechte Sitzposition kommt mir sehr entgegen, keine Last auf den Handgelenken und kein krummer Rücken, beinahe schon ein wenig zu perfekt, der sportliche Roadster. Längeren Touren steht also nichts im Wege. Auch kleinere Motorradfahrer haben auf der BMW ein sehr sicheres Gefühl. Meine Kollegin findet ebenfalls keinen Grund zu klagen, möglicherweise liegt das ja auch an der Griffheizung...
Für alle Fälle hält BMW aber auch unterschiedliche Sitzhöhen parat. Die Seriensitzhöhe beträgt 790 mm, für Kleingewachsene besteht die Möglichkeit, die Sitzhöhe auf 760 mm zu reduzieren und für Leute mit langen Beinen halten die Bayern eine entsprechende Sitzbank mit Sitzhöhen von bis zu 840 mm bereit. Somit kann die 231 Kilogramm leichte Roadster (fahrfertig und vollgetankt) auch gut im Stand beherrscht werden. Die Zuladung (bei Serienausstattung) beträgt gute 219 Kilogramm, somit scheint die BMW auch für eine zünftige und ausgedehnte Wochenendtour gut gerüstet. Unser Testverbrauch lag beim Landstraßensurfen durch den Harz bei sehr moderaten 4,7 Litern auf hundert Kilometer. Das nutzbare Tankvolumen beträgt 18 Liter, wovon vier auf die Reserve entfallen. Tagesetappen von rund 300 Kilometern sollten somit problemlos ohne Tankstopp machbar sein.
Fazit
Überraschend leicht und behände lässt sich die BMW R 1200 R um jede Ecke manövrieren. Der Boxermotor reagiert sehr fein auf jedwede Stellung des Gasgriffs und fühlt sich stärker an, als es die reinen Papierwerte vermuten lassen. Allerdings wird er ab 5000 Umdrehungen etwas brummig und schickt feine Vibrationen an die Lenkerenden, aber das wirkt nie aufdringlich oder störend. Dafür schiebt er ordentlich vorwärts und harmoniert sehr gut mit der Getriebeabstufung. Unterstützt wird das Ganze zusätzlich durch die wählbaren Motormappings. Die enorme Verzögerung mit den erstklassigen Bremsen verlangsamt die Fahrt fulminant und sehr gut dosierbar. Erstklassig reagiert auch das getestete Dynamic-ESA Fahrwerk, das Fahrbahnunebenheiten wegbügelt und sich unmerklich, aber sehr effektiv auf die jeweilige Fahrsituation einstellt. Lediglich kurze Stöße von sehr kaputten Straßen dringen bisweilen zum Fahrer vor. Ergonomische Fehler sucht man indes vergebens, alles passt wie angegossen, sogar die herkömmliche Blinkerbetätigung hält endlich Einzug in das Bedienkonzept. Allerdings dürften die Schalter und Knöpfe an den Lenkerarmaturen gerne etwas wertiger daherkommen, die Betätigung der Knöpfe ist bisweilen etwas hakelig. Das Cockpit überzeugt durch klare Struktur und kann individuell angepasst werden. Ich wünschte mir allerdings anstelle des „analogen“ und schwer ablesbaren Tachometers einen Drehzahlmesser. In der hauseigenen BMW-Datenbank findet man, wie gewohnt, eine Unmenge an nützlichen Zubehörteilen, um die Roadster tourentauglich(er) zu machen. Topcase, Seitenkoffer, Navi und verschiedene Windschilde sind nur eine kleine Auswahl dessen, was alles angeboten wird. Wie fast jeder Motorradhersteller empfiehlt auch BMW mit Gepäcksystem eine gewisse Höchstgeschwindigkeit einzuhalten – in diesem Fall 180 km/h. Mit dererlei Ausstattung klettert der Preis schnell auf gute 16.000 Euro. Gönnt man sich dann auch noch das eine oder andere Carbonteil von Herrn Ilmberger oder sogar den HE-Rädersatz, so durchbricht man auch locker die 20.000 Euromarke. Dafür bekommt man dann aber auch ein exklusives Motorrad, mit allem Drum und Dran, alltagstauglich und optisch wirklich ansprechend.