Fahrtest: Honda Gold Wing DCT

Zum Modelljahr 2020 bekam Hondas Luxustourer GL1800 Gold Wing ein Update.
 Alexander Klose, Joséphine Eder
Ins Fitnessstudio wurde Hondas großer Tourer bereits vor zwei Jahren geschickt, verlor dabei knapp einen Zentner Masse und legte mit einem kompakteren Sechszylinder samt Vierventilköpfen an Kraft zu. Seit 2020 ist das brillante Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe DCT auch im Einstiegsmodell der Gold Wing zu bekommen und ihre überarbeitete Motorelektronik spricht feinfühliger an. Ohne hoch aufragendes Topcase und in mattes Schwarz getaucht ist sie der sportlichste Ableger der Sechszylinder-Familie.
Und tatsächlich: Beim Test macht die Gold Wing kurzen Prozess mit ihrem angestaubten Klischee von „Drei-Zimmer-Küche-Bad“. Näher ans Vorderrad rückte der gesamte Motor und positioniert damit auch den Fahrer näher am Lenkkopf. 
Der Windschild ist elektrisch höhenverstellbar.
Derart vorderradorientiert ergibt sich eine Ergonomie, die eher an ein Naked Bike erinnert als an einen Tourer. Aufrecht, mit 90-Grad-Kniewinkel liegen die Hände lastfrei auf dem Lenker. Eine angenehme Kante in der straff gepolsterten Sitzbank sützt den Rücken. Auf Wunsch kann zusätzlich eine Rückenlehne montiert werden. Schlüssellos startet der große Sechszylinder und lässt uns fasziniert innehalten. Sein Klang ist mit nichts zu vergleichen. Seidenweich, kraftvoll und beim Zupfen am Gasgriff mit einer Aggressivität, die uns die Nackenhaare aufstellt. Unter Last, aus tiefen Drehzahlen, grummelt die Gold Wing beinahe wie ein amerikanisches Muscle-Car. Dreht man den Motor aus, stellt sich das heisere Fauchen eines Porsche 911 ein. Wer es noch nicht kennt, sollte sich das Erlebnis einmal gönnen.

Noch vielschichtiger gerät der Charakter der Gold Wing durch das brillante Doppelkupplungsgetriebe DCT. Es verfügt über sieben Gangstufen und macht sowohl den Kupplungshebel an der linken Hand als auch einen Fußschalthebel überflüssig. Nach dem Start im Leerlauf legt eine Taste an der rechten Lenkerarmatur mit hörbarem Schaltschlag den ersten Gang ein und aktiviert die vollautomatische Schaltung. Auf Wunsch kann auch manuell geschaltet werden. Das geschieht mittels perfekt positionierter Tasten an der linken Hand: Per Daumen geht es runter, am Zeigefinger hoch. Verschenkt wären dann jedoch das Potenzial der DCT-Technik und die knapp 1.500,-- Euro gegenüber dem konventionellen Sechsganggetriebe. Wer sich für die Automatik entscheidet, wird feststellen, dass die Fahrmodi der Honda – insgesamt vier an der Zahl – Einfluss auf die Schaltcharakteristik des Getriebes haben. Am Fahrwerk ändert das Mapping bei unserer Basisversion GL1800 nichts. Bei den Gold-Wing-Modellen mit elektronisch einstellbaren Dämpfern passen die sich entsprechend an.
Glühbirnen sucht man vergebens: Im Scheinwerfer und in den Blinkern der Gold Wing funkeln LEDs.
Im Sport-Modus, mit dem Ziel maximale Perfomance zu jeder Zeit bereitzustellen, steigt das Drehzahlniveau. Der Motor dreht seine Gänge aus und schaltet beim Verzögern frühzeitig zurück. Im genauen Gegensatz dazu legt der ECON-Modus so früh wie möglich den nächsthöheren Gang ein. Damit dreht die Honda meist knapp über 1.500 Touren, was der Sechszylinder dank des guten Rundlaufs und seines fülligen Drehmoments klaglos mitmacht. Auch Vibrationen sind ihm, selbst untertourig, weitgehend fremd. Mehr als 2.500 U/min liegen im ECON-Modus nur selten an, was der Reichweite zugutekommt. Unser Testverbrauch von 6,1 Litern auf 100 Kilometern lässt sich dadurch weiter senken. Auch eine Start-Stopp-Automatik ist serienmäßig mit an Bord.  Am besten kommt die gewaltige Bandbreite der Gold Wing aber im Mapping „Tour“ zur Geltung. Wird das Gas nur leicht geöffnet, schaltet das Getriebe früh hoch und fährt drehmomentlastig bei niedrigen Touren. Je weiter die Drosselklappe geöffnet wird, desto höher siedeln Motor und Getriebe das Drehzahlniveau an. Bei Volllast werden einzelne Gänge, ähnlich dem Sportmodus, ausgedreht. Sobald das Gas zurückgenommen wird, schaltet das Getriebe zügig hoch und im Motor kehrt wieder Ruhe ein. Sehr vielschichtig wird damit der Charakter der Gold Wing. Wem das noch nicht genügt, der greift selbst ein, denn das letzte Wort behält der Fahrer. Auch im Automatikmodus kann er über die Schaltwippen der linken Hand bereits vor einem Überholvorgang zurückschalten oder vor Kurven das Motorbremsmoment nutzen.
Nichts für Puristen: Die umfangreiche Ausstattung erfordert zahlreiche Schalter.

Honda baut das perfekte Fahrwerk

Viele Worte, allein über das Getriebe, die zeigen, wie facettenreich Hondas jüngste Gold Wing ist. Großen Anteil an ihrer Vielseitigkeit hat das unkonventionelle Fahrwerk. Eine Doppelquerlenker-Konstruktion am Vorderrad sorgt für feinfühliges Feedback und komfortables Gleiten. Zugleich verhindert es ein Eintauchen der Front beim Bremsen. Wie das sprichwörtliche Brett liegt die Honda damit auf der Straße. Und das zu jeder Zeit und bei jedem Tempo. Fahrwerksunruhen beim Bremsen sind ihr völlig fremd. Die Kombination aus ABS und Dual-CBS verzögert bei Bedarf brachial. Wie auf Schienen geht es um jede Kurve. Zusammen mit dem tiefen Schwerpunkt des Boxermotors und der fahraktiven Sitzposition des Fahrers lässt die Gold Wing ihr Gewicht schnell vergessen. Eher im Sattel eines 250-Kilo-Naked-Bikes wähnt sich der Fahrer und genießt dank des bärenstarken Sechszylinders auch vergleichbare Fahrleistungen. Regelmäßiger Bodenkontakt der Fußrasten ist vorprogrammiert, nutzt man das Potenzial des Hightech-Fahrwerks aus. 
Das praktische Staufach auf dem Tank bunkert Smartphone und Geldbörse.
Wer den Kurvenspaß am Urlaubs­ziel ebenso wenig missen möchte wie maximalen Komfort und Gepäckkapazitäten auf der Anreise, sollte sich die Gold Wing einmal genauer anschauen. Zahlreiche Staufächer bietet die breite Frontverkleidung. Das praktischste von ihnen ist in jedem Fall das zentrale Fach mittig im Tank. Wo die Topmodelle der Gold Wing ihren Airbag verstecken, ist im Basismodell Platz für Portemonnaie, Schlüssel und Smartphone, das von einem schützenden Schaumstoffeinsatz aufgenommen wird. Laden lässt es sich hier per USB-Buchse. Ein zweiter USB-Anschluss findet sich im linken Gepäckfach am Heck. Schlüssellos, gemeinsam mit der Zündung, öffnen und schließen die seitlich öffnenden Koffer. Ein Helm passt leider nicht hinein. Praktisch ist eine Anzeige im Honda-Cockpit, die signalisiert, falls der Deckel eines Seitenkoffers nicht richtig geschlossen sein sollte. Generell geizen die Anzeigen nicht mit Informationen. 

Zentral, zwischen zwei analogen Rund­instrumenten, wurde der Bildschirm integriert. Dort ist er bestens sichtbar, jedoch zu weit vom Fahrer entfernt, um sich per Finger bedienen zu lassen. Die Steuerung geschieht über Tasten in der linken Armatur oder alternativ über einen Multifunktionsknopf auf dem Tank. Gerade diese Kombination sorgt aber für Kritik. Zwar haben der Multifunktionsknopf auf dem Tank und der 4-Wege-Taster am Lenker meist die gleiche Funktion, aber leider nicht immer. Die Bedienung gelingt dadurch wenig intuitiv. Vor allem bei Adresseingaben auf der virtuellen Tastatur. Und obwohl für die Eingabe nicht einmal eine Hand vom Lenker der Honda genommen werden müsste, sind viele Menüpunkte gesperrt, sobald die Maschine rollt. Sich während der Fahrt zur nächstgelegenen Tankstelle navigieren zu lassen, ist ohne Zwangspause nicht möglich.
Mit ihrem stabilen Fahrwerk beherrscht die Gold Wing jede Gangart und lässt sich bei Bedarf auch sportlich bewegen.

Fazit

Viele Kilometer haben wir auf Hondas Gold Wing abgespult, deutlich mehr als auf manch anderem Testmotorrad. Mit siebeneinhalb Zentnern Gewicht und 1.800 Kubik unterm Allerwertesten. Wer einen Alleskönner sucht, der von flott bis faul alles beherrscht, was man ihm unter die Räder wirft, wird mit der Hightech-Kombination aus Gold-Wing-Fahrwerk und bärenstarkem Sechszylinder glücklich.

#Honda#Motorräder#Test#Tourer
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