Fahrtest: Harley-Davidson Street Glide Special

Nichts für Introvertierte: Harleys Street Glide Special im Test.
 Alexander Klose
Eines ist klar: Die hier getestete Harley-Davidson Street Glide Special polarisiert. Innerhalb unserer Redaktion gab es im vergangenen Jahr kaum ein Motorrad, über das so oft und so viel diskutiert wurde, wie über die orangefarbene Harley. Rein objektiv ist eine Entscheidung, für sie eher eine emotionale als eine begründbare. Im Angebot der Hersteller finden sich sowohl komfortablere als auch wirtschaftlichere Motorräder. Dynamischere sowieso. Aber in Sachen Coolness – da macht ihr so schnell keiner etwas vor. Bereits die Farbe unserer Testmaschine ist nichts für Introvertierte. Bist du mit ihr unterwegs, kriegt das tatsächlich jeder mit.
Harley-Davidson Street Glide Special Motor
Der fast zwei Liter große V-Twin liebt untertouriges Cruisen und verbreitet ab 1.500 Touren souveräne Gelassenheit.

Der Siebeneinhalb-Zentner-Harley macht in Sachen Coolness niemand etwas vor

Fahrbereit 375 Kilo schwer, laut Liste 28.595,-- Euro teuer – eine Street Glide Special, die intern auf das Kürzel FLXHS hört, ist ein Statement. Passiv fällt die Ergonomie im tiefen Sitz mit den vorn positionierten Trittbrettern aus. Weit zum Fahrer hin recken sich die nach unten gerichteten Lenkerenden. Wirklich unbequem finde ich diese Sitzposition nicht, kleineren Fahrern passt sie aber sicherlich besser als mir. Beim Griff zur Kupplung sind wiederum Bud Spencers Pranken hilfreich. Der nicht einstellbare Kingsize-Hebel ist vom Lenker weit entfernt. Ihn zu ziehen, erfordert durchaus Kraft, was die Dosierbarkeit der sehr direkt einrückenden Kupplung nicht einfacher macht.

Passend dazu fallen die Griffe des Lenkers dicker aus als an japanischen oder europäischen Motorrädern. Auch das passt zum Konzept der Harley.

Beim Start kann der Anlasser kaum verheimlichen, dass er sich mächtig ins Zeug legt, um den 1.868 Kubikzentimeter großen Milwaukee-Eight 114 anzuwerfen. Und doch schafft er es immer wieder. Der riesige Zweizylinder mit seinem beruhigenden Beat ist zentraler Bestandteil der beeindruckenden Harley-Show. Er pulsiert jederzeit spürbar, Vibrationen dringen dennoch nur angenehm gedämpft zum Fahrer durch. Untertouriges Cruisen liebt der große V-Twin und schöpft dabei seine Kraft aus üppigem Drehmoment statt aus Drehzahlen. Mit der schieren Masse der Street Glide Special hat aber selbst der Milwaukee-Eight mit seinen knapp zwei Litern Hubraum eine Aufgabe vor der Brust. Den Durchzugstest im großen Gang meistert er ab 1.500 Touren noch mit souveräner Gelassenheit. Den schnellen Sprint, um eine Lücke im Verkehr zu erwischen, mag er hingegen nicht. Bei Bedarf dreht er zwar klanglos bis zum roten Bereich des Drehzahlmessers, Spaß macht diese Test-Disziplin jedoch weder der Street Glide noch mir. Mit harten Lastwechseln und indirektem Ansprechverhalten macht die Maschine dann unmissverständlich klar, dass sie kein Rennpferd sein will.
Chrom ist Mangelware an der Street Glide Special.

Bei niedrigen Drehzahlen im hohen Gang kann die Harley glänzen

Das Rollen durch die Vorstädte und das Flanieren vor den Cafés ist es, was sie am liebsten mag. Dann zeigen Gasannahme und Antriebsstrang gute Manieren. Im hohen Gang, mit niedriger Drehzahl an den beeindruckten Passanten vorbei – ja, dafür wurde die Street Glide gebaut. Auf dem Parkplatz ruht sie präsent auf ihrem verchromten Seitenständer. Kaum jemand schafft es, an der orangefarbenen Harley vorbeizugehen, ohne wenigstens kurz stehenzubleiben und sie in andächtiger Stille auf sich wirken zu lassen. Mit Ruhe ist es außerhalb der Vororte schnell vorbei. Hinterm knapp zurechtgestutzten Windschild toben bereits ab 80 km/h kräftige Turbulenzen. Mehr als einmal sehne ich mir auf der Stadtautobahn die elektrisch ausfahrbare Stummelscheibe einer Indian Challenger herbei.

Heruntergefahren wirkt die nämlich ähnlich cool wie der gestutzte, feste Windschild unserer Street Glide Special. Bei Highway-Tempo sorgt so eine ausfahrbare Scheibe aber wenigstens bei Bedarf für Flaute hinter der massiven Lenkerverkleidung. Preislich ist die Harley dafür satte 2.315,-- Euro günstiger als die indianische Konkurrenz.
Unter den analogen Instrumenten sitzt ein großer Touchscreen.

Ein Motorrad für Männer

Wen solche Wünsche nach Komfort heimsuchen, der ist im Sattel einer Street Glide Special fehl am Platze. Sie ist ein Motorrad für Männer. Und die haben ungeachtet des Windschutzes auf Landstraßen reichlich Spaß mit ihrem straffen Fahrwerk. Obwohl die Schräglagenfreiheit genretypisch begrenzt ist, arbeiten in der modernen Cartridge-Gabel hochwertige Komponenten. Auch die Abstimmung der Federbeine am Heck fällt beinahe sportlich aus. Gemeinsam mit der Metzeler-Cruisetec-Bereifung ergibt diese Kombination ein erstaunlich leichtfüßiges Handling, das die Pfunde während der Fahrt vergessen lässt. Ausdrückliches Lob ernten beim Landstraßengenuss zudem die kräftigen Bremsen. Einer sauber dosierbaren Doppelscheibenbremse an der Front steht dabei die effiziente Hinterradbremse zur Seite. Sie verzögert die schwere Harley so gut, dass ich bei moderatem Tempo den Tritt aufs breite Fußpedal gerne dem Griff zum Handhebel vorziehe.
Mit weit vorn montierten Trittbrettern fällt die Sitzposition passiv aus.

Vollständige Tourenausstattung

Die üppige Ausstattung der Street Glide Special ist wiederum als tourentauglich zu bezeichnen. So manchem Auto-Armaturenbrett stünde ihr ausladendes Cockpit gut zu Gesicht. Als tadellos ablesbar präsentieren sich die analogen Rundinstrumente, die zwischen den beiden großen Lautsprechern sitzen. Das zugehörige Boom!-Box-GTS-Infotainment-System wird über einen großen Touchscreen unterhalb der Runduhren gesteuert, der sich auch mit Handschuhen sicher bedienen lässt. Neben einem integrierten Radio und der Möglichkeit, Medien über SD-Karte oder USB-Anschluss einzuspeisen, beinhaltet es ein Navigationssystem und auch Bluetooth-Geräte lassen sich mit der Harley koppeln.
Lang, aber schmal sind die lackierten Seitenkoffer der Street Glide Special.
Lackierte Seitenkoffer trägt die Street Glide Special serienmäßig. Das Volumen ist ausreichend groß bemessen. Ihr schmaler Schnitt schränkt deren Nutzbarkeit jedoch ein. Einen Helm bringt man darin erst recht nicht unter. Er lässt sich dafür an der Gepäckbrücke befestigen, die Richtung Sozius von einer kleinen Sissybar begrenzt wird. Dass ein Hauptständer fehlt, nehmen wir zwar zur Kenntnis, vermissen ihn aber dank wartungsarmem Sekundärantrieb per Zahnriemen nicht. An ihrer Ausstattung und ihrem hochwertigen Gesamtauftritt gibt es generell kaum etwas auszusetzen. Wer das erkannt und das nötige Kleingeld in der Tasche hat, wird die eingangs erwähnte, polarisierende Frage gern mit einem emotionalen Ja beantworten. Und der Rest? Der diskutiert vermutlich noch immer.
Die Luftverwirbelungen der Scheibe treffen zielgenau den Kopf des Fahrers.


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