Fahrbericht: Suzuki V-Strom 800DE – Die Suzi fürs Grobe
Kerniger Parallel-Twin, üppige Federwege, artgerechtes 21-Zoll-Vorderrad: Suzuki baut die V-Strom-Reihe zum vollwertigen Trio aus. Auf Sardinien durfte die neue 800DE zeigen, was sie kann – auf und abseits der Straße.
Sardinien im Februar kann zauberhaft sein. Myrte-Sträucher duften vor sich hin, das Meer glitzert im Sonnenschein, ein laues Lüftchen streichelt erste Blütenteppiche. Mit ein bisschen Glück steigt das Thermometer auf 20 Grad und mehr. Ein Träumchen für alle Wintergefrusteten. Und ein Glücksfall für alle Motorradhersteller, die auf famose Präsentationsbedingungen setzen. Wie in diesem Fall Suzuki. Die Japaner haben den Sandkasten des Mittelmeeres auserkoren für die ersten Pressetestfahrten mit der neuen V-Strom 800DE. Eine weise Entscheidung. Sardinien bietet grandiose Kurven an den Küsten und abwechslungsreiche Tracks im Hinterland. Genau das richtige Terrain also für ein Bike wie die V-Strom 800DE, die als „Dual Explorer“ (daher das Kürzel DE) das Beste aus zwei Welten bieten will: Langstreckenkomfort auf Asphalt und Nehmerqualitäten bei Abstechern und Ausflügen querfeldein.
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Preis: 5,90 €
„Feel it“ mit drei Ausrufezeichen
„Adventure is it’s purpose“, lautet die Werbebotschaft der 800DE. Frei übersetzt: „Das Abenteuer ist sein/ihr Zweck.“ Holpert ein bisschen im Deutschen, drum lautet die eigentliche Formel der Auftaktpressekonferenz: „Feel it!!!“ – „Fühlt es“ mit drei Ausrufezeichen. Nahezu jeder japanische Redner sagt die zwei Zauberworte an diesem Abend in seinem Vortrag oder würzt damit in comicartigen Lettern seine Power-Point-Folien. Suzuki hat fast das gesamte Führungsteam seines neuen Adventure-Bikes mitgebracht nach Sardinien. Das unterstreicht die Bedeutung der Maschine für die Marke, die sich mit ihren neuen Mittelklasse-Motorrädern V-Strom 800DE und GSX-8S fulminant zurückmeldet. Motor, Rahmen, Scheinwerfertechnologie – mit der 800DE präsentiert Suzuki ein komplett neues Motorrad. Wesentliche Technikbausteine übernimmt sie von der jüngst neu aufgelegten, großen Schwester 1050DE: 21-Zoll-Vorderrad, abschaltbares ABS am Hinterrad, spezieller Gravel-Modus für mehr Spaß auf Schotter, brillantes 5-Zoll-TFT-Farbdisplay. Das Fahrwerk ist ein echtes Offroad-Statement: 220 Millimeter Federweg vorn und hinten, 220 mm Bodenfreiheit – das ist durchaus amtlich. Zum Vergleich: Die V-Strom 1050DE kommt „nur“ auf 170 mm vorn und 169 mm hinten, die V-Strom 650 auf 150 mm und 159 mm. Mehr geht natürlich immer: Im Wettbewerb lockt beispielsweise eine Yamaha Ténéré 700 World Raid mit 230/220 mm, eine Triumph Tiger 900 Rally mit 240/230 mm und eine Aprilia Tuareg 660 mit 240 mm vorn und hinten.
Neuer Parallel-Twin mit 776 ccm Hubraum
Reisen – weit und komfortabel und bei Bedarf auch gern über Stock und Stein. Darum geht es hier, auch wenn die 800DE auf fast schon schamhafte Weise ihre Offroad-Vorzüge kaschiert. Durch den charakteristischen, tief heruntergezogenen V-Strom-Schnabel fällt der gewaltige Federweg vorn kaum auf. Auch hinten gehen die 220 mm optisch eher unter. Geradezu famos ist der Sitzkomfort der hochbeinigen Suzi. 855 mm beträgt die serienmäßige Sitzhöhe. Optional gibt es im Zubehör eine höhere (885 mm) und eine niedrigere (835 mm) Sitzbank. Bei der Serienbestuhlung kommen Durchschnittsfahrer (1,80 m) mit beiden Füßen sicher auf den Boden.
Trotz der 230 kg Leergewicht fühlt sich die 800DE leicht und wendig an. Zum Vergleich: Die Suzuki V-Strom 1050DE bringt fahrbereit 252 kg auf die Waage, die eher straßenorientierte V-Strom 1050 wiegt 242 kg. Das Leichtgewicht der Familie ist die V-Strom 650 mit 213 kg. Selbst die unterbieten direkte Wettbewerber der 800DE: Die Yamaha Ténéré 700 rollt ab 203 kg zum Kunden, die Aprilia Tuareg 660 ab 204 kg, die neue Honda XL750 Transalp ab 208 kg. Näher dran in puncto Gewicht sind die Ténéré 700 World Raid mit 220 kg und die Triumph Tiger 900 Rally Pro mit 221 kg. Knapp drüber rangiert die BMW F 850 GS mit 233 kg.
Die 800DE ist ein Adventure-Bike im besten Sinne
Die neue V-Strom 800DE ist ein Adventure-Bike im besten Sinne: entspannte Sitzposition, breiter Lenker, tolle Sitzbank, druckvoller Motor mit viel Charakter (270-Grad-Zündversatz) und mäßigem Durst. Kurven sind eine wahre Freude, Fahren im Stehen klappt perfekt – im Gelände und auf der Straße. Ergonomie und Passform der V-Strom sind mit Recht fast schon legendär.
Die speziell auf die 800DE zugeschnittenen Dunlop Trailmax Mixtour glänzen mit Grip und guter Rückmeldung. Das Profil der Reifen wurde leicht überarbeitet, um die Laufleistung auf unbefestigten Straßen zu verbessern – und nebenbei die Optik zu schärfen. Schotter und losen Untergrund bewältigen die Profilblöcke problemlos. Üble Modderpfade sollte man lieber meiden. Kernige 84 PS und lebensbejahende 78 Nm leistet der neue Suzuki-Twin mit 776 ccm Hubraum. Zwei Ausgleichswellen sorgen für hohe Laufruhe. Vibrationen sind dem DOHC-Zweizylinder bis 7.000 Touren gänzlich fremd. Satter Punch aus dem Drehzahlkeller, hohe Drehfreude bis zum roten Bereich ab 9.500 Touren, einstellbares Ansprechverhalten über den von der V-Strom 1050 bekannten „Suzuki Drive Mode Selector“ (SDMS) – dieser Motor macht echt Laune. Und klingt gut. Mit 84 dB(A) hat er das geringste Standgeräusch des V-Strom-Trios; mit 74 dB(A) das lauteste, aber nie nervige Fahrgeräusch.
Abschaltbare Traktionskontrolle mit speziellem Gravel-Mode
Werksseitig ist der Power-Modus „B“ voreingestellt. In diesem nimmt die 800DE Gasbefehle relativ sanft entgegen und setzt sie gleichwohl spontan um. Im „A“-Modus geht sie spürbar dynamischer zu Werk. Eselsbrücke: A wie Attacke. „C“ könnte so gesehen für „Calm down“ stehen. Die Leistungsfreisetzung erfolgt hier verzögert und eher gemächlich, ähnlich wie bei einem Rain-Mode. Passendes Pendant und höchstes Level der abschaltbaren Traktionskontrolle (TC) ist Stufe 3. Im Gravel-Mode („G“) lässt die TC mehr Schlupf zu und ermöglicht so kontrollierte Hinterradtänzchen im Gelände.
Das zweistufige ABS regelt großzügig, aber aufmerksam. Im G-Modus lässt es sich fürs Hinterrad lahmlegen; am Vorderrad bleibt es immer aktiv. Für ein sanfteres und leichteres Anfahren gibt es das System „Low RPM Assist“. Es hält die Leerlaufdrehzahl, wenn man im Stand die Kupplung kommen lässt oder mit Schrittgeschwindigkeit fährt. Beim Anmachen der Maschine hilft die Easy-Start-Funktion. Einmal kurz antippen reicht, dann erweckt das System den Motor zum Leben.
450 Kilometer ohne Tankstopp
Der offizielle WMTP-Verbrauch der 800DE beträgt genügsame 4,4 l/100 km. In Kombination mit dem V-Strom-typischen 20-Liter-Tank ermöglicht das rein rechnerisch eine Reichweite von 450 km ohne Zapfsäulenstopp. Als Testverbrauch auf Sardinien ermittelte der Bordcomputer 5,3 l/100 km – bei durchweg zügiger Fahrt. Das reicht immer noch für gut 400 km ohne E5-/E10-Nachschub. Eine veritable Distanz für ein Reise-Bike.
Fein arbeitender Blipper serienmäßig
6-Gang-Getriebe mit bestens funktionierendem Blipper, einstellbare Showa-Federelemente, futuristische Scheinwerferlinsen, USB-Ladebuchse links am Cockpit, LED-Beleuchtung rundum. Die Serienausstattung ist durchdacht, lässt aber Wünsche offen. Es gibt leider keinen Tempomaten, was bei einem Bike mit Langstreckenambitionen verwundert, zumal die Technik im Suzuki-Regal erhältlich ist und die 800DE dank Ride-by-Wire über die nötigen Voraussetzungen verfügt. Zudem kann der kompakte Serienwindschild – wie bei der 1050DE – nur per Werkzeug verstellt werden. Kurvenlicht fällt flach wegen is’ nich’. Vorbildlich ist das simple Bedienmenü der neuen V-Strom-Generation. Samt Farbdisplay kommt es auch bei der großen Schwester zum Einsatz. Über die „Mode“-Taste am linken Lenkerende und die beiden Rauf- und Runtertasten daneben lassen sich Traktionskontrolle, Drive Selector und ABS ansteuern. Nach dem Durchswitchen landet man automatisch wieder im Neutralzustand. Simpel und zielführend.
Übersichtliche 200 kg Zuladung
Exakt 200 kg Zuladung bietet die 800DE. Zum Vergleich: V-Strom 1050 und 1050DE müssen mit 198 kg auskommen, bei der 650 sind es 202 kg. Nicht gerade üppig mit Blick auf Sozius und Gepäck, aber nun: Solofahrer wird es nicht stören. Im Zubehör gibt es Praktisches wie Koffersets und Topcases aus Alu oder Kunststoff, unterschiedliche Gepäckbrücken, Tourenscheibe, Griffheizung, Zentralständer, Sturzbügel, Zusatzscheinwerfer und derlei mehr. Für Globetrotter gilt also: Es ist angerichtet. Werkseitig bestückt Suzuki die V-Strom 800DE mit einem fast schon zu schlichten Seitenständer. Der seitliche Pinöpel zum besseren Aus- und Einklappen dürfte gern größer sein. Dann wäre es vermutlich einfacher, die Fußraste zu umschiffen. Irgendwie ist die im Weg beim Abstellen des Bikes.
Attraktiver Basispreis von 11.500,-- Euro
Gelb mit Blau, Mattgrau mit Gelb, Schwarz mit Blau-Lila – drei Farbmixe stehen zur Wahl. Mit einem Startpreis von 11.500,-- Euro preist Suzuki die V-Strom 800DE fair ein. Die kleine(re) 650 gibt es ab 8.800,-- Euro, die große 1050 ab 15.000,-- Euro beziehungsweise 15.800,-- Euro als 1050DE. Die neue Transalp kostet rund 600,-- Euro weniger als die 800DE, die Ténéré 700 startet bei 11.374,-- Euro.
Fazit
Ich fühle es: Ténéré und Co. bekommen ernsthafte Konkurrenz. Mit der neuen V-Strom 800DE bringt Suzuki eine sehr gelungene Alternative auf den Markt. Die Suzi ist mit das schwerste Bike in der erlauchten Runde, lässt sich im Gelände aber hervorragend beherrschen und setzt ein echtes Ausrufezeichen bei der Langstreckentauglichkeit. Fahreigenschaften, Komfort, Design und Preis überzeugen. Innerhalb der V-Strom-Familie meine klare Nummer eins.