Nach Jahren voller Diskussionen, Gerüchten, Ankündigungen und Verschiebungen von Erscheinungsterminen war sie dann endlich da – die neue Africa Twin. Begeisterung, aber auch Enttäuschung darüber, dass bei der Neuauflage kein Hightech-Motorrad entstanden ist, waren die ersten Reaktionen. Zunächst einmal widmen wir uns den Fakten. Was unterscheidet die „Neue“ von der „Alten“? Zwei Zylinder haben beide, die „Neue“ nunmehr als Reihenzweizylinder mit einer oben liegenden Nockenwelle direkt über den Einlassventilen (Unicam). Dies entspricht dem Trend: der Motor ist kompakter, leichter und außerdem noch kostengünstiger in der Herstellung. Der Hubraum ist von 750 ccm auf 1.000 ccm, die Leistung von ehemals 60 PS auf nunmehr 95 PS angestiegen. Um den V2-Charakter des Motors beizubehalten, hat man zum üblichen Mittel, nämlich einem Hubzapfenversatz von 270 Grad, gegriffen. Bei 230 Kg Gewicht reden wir nicht unbedingt von einem Leichtgewicht, also auch eine Parallele zur „Alten“. Schaut man sich andere große Reiseenduros an, fällt sofort auf, dass weder eine hydraulische Kupplung noch ein Drive-by-wire-Gasgriff verbaut wurden – hier wird noch alles per Bowdenzug bedient. Jedoch haben wir beides auf den gefahrenen rund 11.000 Kilometern nicht vermisst. Wer mit der Africa Twin auf Fernreise geht, wird die herkömmliche Technik schätzen, denn einen Bowdenzug kann man auch ohne top ausgestattete Werkstatt fix austauschen. Das Thema Ergonomie wird bei Honda bekanntermaßen großgeschrieben. Man nimmt auf dem Motorrad Platz und alles befindet sich an der richtigen Stelle. Die Armaturen sind gut ablesbar und die gelieferten Informationen vollkommen ausreichend. Den mit den ersten fünfhundert Maschinen mitgelieferten Tripmaster haben wir allerdings nicht montiert, sondern ein Navi an dessen Stelle auf den Bügel hinter der Windschutzscheibe gesetzt. Die Hebelei und damit auch die Schalter für Blinker, Licht, Anlasser und die Traktionskontrolle liegen ebenso griffbereit wie der für den Bordcomputer. Begeistert hat mich der Windschutz der nicht verstellbaren Scheibe. Egal in welchem Geschwindigkeitsbereich man unterwegs ist, das ausgeklügelte und patentierte Strömungssystem bietet einen außergewöhnlich guten Windschutz, selbst bei Tempo 200. Gleiches gilt auch für den Geradeauslauf. Ohne Koffer blieb die Africa Twin absolut stabil und mit den nachmontierten SW-Motech-Koffern zeigten sich auch bei 170 Stundenkilometern keine Anzeichen von Pendelbewegungen oder sonstiger Unruhe im Fahrwerk. Die voll einstellbare Federung ist komfortabel ausgelegt und hat auch bei gröberem Geläuf keine Probleme. Eher touristisch als sportlich ausgelegt ist die Sitzposition, die auch längere Etappen ohne Ermüdungserscheinungen ermöglicht. Allerdings zeigte sich in den Alpen, dass diese bequeme Sitzposition auch Nachteile hat. Bei Passfahrten mit sehr engen und steilen Kehren fehlt die Abstützung nach hinten. Sowohl die Gestaltung des Fahrersitzes als auch die Position der Fußrasten lassen den Fahrer zu sehr am Lenker hängen, selbst wenn dieser schon fast auf dem Tank sitzt. Obwohl solche Passfahrten nicht zum Alltag eines jeden Motorradfahrers gehören, entsteht der konkrete Wunsch nach Abhilfe, sei es hinsichtlich des Sitzes, der Fußrasten oder beidem. Vielleicht lassen sich die Zubehörfirmen hier etwas einfallen. Ebenso auf die Wunschliste gehört eine Lösung für den Bereich der Auspuffabdeckung. Wer auf großem Fuß lebt, setzt bei korrekter Position des Fußes auf der Raste (Fußballen) die Ferse regelmäßig auf die Plastikabdeckung. Noch krasser tritt das Problem auf, wenn der Fahrer im Stehen fährt. Damit wären wir mit den Änderungswünsche an die neue Africa Twin, die während der 11.000 Kilometer entstanden sind, aber auch schon durch. Der Motor ist ein Gedicht, unspektakulär in der Leistungsentfaltung, stets genügend Leistung bereitstellend, selbst bei niedrigen Drehzahlen, sauber hochdrehend fast aus der Leerlaufdrehzahl bis hinauf in Begrenzernähe. Die 95 PS reichen auch für eine flotte Fahrweise vollkommen aus. Das gering erscheinende Tankvolumen von 18,8 Litern ermöglicht bei normaler Fahrweise Touren zwischen 350 und 400 Kilometern. Übliche Verbrauchswerte lagen zwischen 4,3 und 4,5 Litern / 100 km, Ausreißer bei 3,8 und 5,7 Litern (bei flotter Autobahnfahrt über 150 km/h). Regelmäßige Ölkontrollen vor Antritt der Fahrt brachten immer das gleiche Ergebnis: kein Verbrauch, kein Nachfüllen erforderlich, eben typisch Honda.
Leichte Offroad-Etappen wie Baustellen oder Feldwege bereiten der Africa Twin keinerlei Probleme. Die dreistufige Traktionskontrolle blieb während der ganzen Zeit voll in Funktion, ebenso wie das optional erhältliche ABS, das im Übrigen nur hinten ausgeschaltet werden kann. Der werksseitig montierte Dunlop Trailmax wäre für Offroad-Einsätze auch nur wenig geeignet. Dass Honda in der Erstausrüstung einen Reifen verwendet, der spürbar längst nicht mehr dem Stand der Technik entspricht, ist enttäuschend, aber wohl dem Rotstift der Kostenkalkulation geschuldet. Bei ca. 7.500 Kilometern haben wir ihn daher gegen den neueren Dunlop Trailsmart ausgetauscht. Da in den Bereich der Betriebskosten nicht nur der Reifenverschleiß und der Durchschnittsverbrauch gehört, noch ein Wort zu den Inspektionskosten und -intervallen. Honda hat zwischenzeitlich die Inspektionsintervalle auf 12.000 Kilometer heraufgesetzt. Die Kosten für die erste Inspektion bei 1.000 Kilometern lagen bei knapp 130,- Euro, die für die 12.000er sollen bei etwa 200,- Euro liegen.
Ein Fazit nach 11.000 Kilometern: Die neue Africa Twin setzt die Tradition der zum Kult gewordenen alten Africa Twin fort, ein grundsolides Motorrad, das nicht mit Superlativen bei Gewicht, Leistung und Fahrassistenzsystemen glänzt und noch zu einem akzeptablen Preis zu haben ist. Well done, Honda, gut gemacht.