Willkommen in der Welt des Can-Am Spyder. Hier ist bekanntlich alles etwas anders. Vorn hat das On-Road-Funvehikel zwei Räder, die ähnlich weit auseinander stehen wie bei einem Smart Fortwo. Hinten mittig rackert ein breiter 225er-Schlappen, der kaum sichtbar einem Stauraum-Massiv (177 l) aus zwei Seitenkoffern und einem gigantischen Topcase entspringt. Gekrönt wird der Heckaufbau von einer Chefsessel-mäßigen Rückenlehne. In die darf sich der Sozius kuscheln; die Füße auf zwei 20 Zentimeter langen Trittbrettern geparkt, die Hände auf beheizbaren Haltebügeln drapiert.
Eine Etage tiefer ruht der Spyder-Kapitän auf seinem Teil des ausladenden Langstreckensitzes. Der Fahrerplatz ist jetzt separat klappbar und beherbergt den Tankverschluss. Vorteil für den Beifahrer: An der Zapfsäule kann er jetzt einfach hocken bleiben. Das war auf der einteiligen Sitzbank des Vorgängers nicht möglich. Eine angenehm hohe Lendenwirbelstütze grenzt den Fahrer-Fauteuil zudem nach hinten ab. In Drittweltländern reisten auf der beeindruckenden Sitzlandschaft vermutlich Vater, Mutter und vier Kinder. Hierzulande und in Kanada/Nordamerika, wo der Spyder RT herkommt, dürfen sich zwei Passagiere – gleich welcher Konfektionsgröße sie angehören – fühlen wie in der First Class. Ungewollter Kontakt zum Mitreisenden ist nahezu ausgeschlossen auf den großzügig bemessenen Plätzen.
Neues modernes Design. Neue Felgen. Mehr Komfort. Verbesserte Fahreigenschaften. Dazu mehr Beinfreiheit, mehr Stauraum (plus 22 l), größere Sitzfläche für Fahrer (plus 5 cm) und Beifahrer (plus 2,5 cm) sowie schmale LED-Scheinwerfer im Drei-Krallen-Look. Das Lastenheft fürs Modellupdate hatte es in sich. Auch stilistisch hat der Spyder RT eine Schippe draufgelegt. Trotz der traditionell üppigen Abmessungen und fast 2,85 Metern Länge steht er schlanker auf der Straße. Im Vergleich zum opulenten Scheinwerfergebirge des Vorgängermodells wirkt die Front jetzt windschlüpfriger und nahezu clean. Die Parallelen zu den sportlichen Schwestermodellen Spyder F3 und F3 Limited sind unübersehbar. Gut so.
Auch in Puncto Handling und Fahreigenschaften hat der Kreuzfahrt-Spyder aufgerüstet. Die hinteren Sachs-Stoßdämpfer mit Niveauregelung und verstellbarer Luftvorspannung passen sich automatisch dem Passagier- und Frachtgewicht an. Die von diversen Reisemotorrädern bekannte manuelle Anpassung übers Bordmenü erübrigt sich also. Anders als seine Geschwister fährt der RT grundsätzlich mit riesigen, jetzt mehr als einen halben Meter (statt 38 Zentimeter) langen Touring-Fußauflagen vor. Auf den beiden 58-cm-Trittbrettern kann der Fahrer die Position seiner Beine nach Belieben verändern. Ausgestreckt wie auf einem Cruiser, entspannt angehockt wie auf einem Roadster. Geht beides ganz famos. Auch wenn rechts die Fußbremse etwas Platz klaut.
Spyder-typisch wirkt sie elektronisch unterstützt auf alle drei Räder. Der reflexartige Griff zur (Motorrad-)Vorderradbremse führt ins Leere. Kuppeln entfällt ebenfalls: Die 6-Gang-Halbautomatik wird per Schaltpaddel links am Lenker bedient. Drückt man im Stand die „R“-Taste, rastet vernehmlich der Rückwärtsgang ein. Hochschalten muss der Fahrer selbst, runter geht es wahlweise automatisch oder manuell. Easy. Funktional. Und flott. Tempo 100 liegt nach nicht mal fünf Sekunden an. Auf gerader Strecke peste unser Spyder RT Limited engagiert bis circa 165 km/h und dann moderat weiter gen 184 km/h. Laut Bordstatistik muss es vor mir jemand auf 195 km/h geschafft haben. Da dürfte eine gehörige Portion Heimweh samt Gefälle im Spiel gewesen sein.
Der Fahrer erlebt die Vmax-Hatz nahezu zugfrei. Der breite Touring-Windschild (es gibt auch eine kleinere Sport-Variante) mit Memory-Effekt kann stufenlos um zehn Zentimeter in die Höhe gefahren werden. Dann herrscht dahinter erstaunliche Stille. Das Soundsystem kommt allerdings nicht dagegen an: Die sechs Boxen lassen im Stand zwar jeden Gettoblaster alt aussehen. Beim Fahren empfiehlt sich aber das Koppeln von BRP Connect und Smartphone mit einem geeigneten Helm. Dann kann auch die Navigation verlässlich genutzt werden. Mit zunehmendem Tempo verlieren sich sonst die Routenkommandos im nicht von der Hand zu weisenden Fahrgeräusch. Die Anzeige der Strecke auf dem Bildschirm klappt derzeit noch nicht.
Bei moderater Fahrt bringt das hydraulische 3-Rad-Bremssystem die 464-kg-Fregatte (Trockengewicht) verlässlich und moderat zum Stehen. Bei Vollbremsungen aus höherem Tempo bedarf es schon eher der eingangs beschriebenen „besonderen Fertigkeiten und Kenntnisse“: Durch die versetzte Spur und die breiten Reifen folgt der Spyder RT Fahrbahnunebenheiten recht bereitwillig. Das sollte man wissen, sonst fährt einem beim ersten Mal – wenn das Geläuf nicht topfeben ist – ganz schön der Schreck in die weich gebetteten Glieder. Dabei bleibt es dann aber auch: Zur umfangreichen serienmäßigen Sicherheitsausstattung des Spyder RT gehören elektronische Helferlein wie Stabilitätsregelungssystem (SCS), Antriebsschlupfregelung (TCS), Antiblockiersystem (ABS) und Dynamische Servolenkung (DPS). Hinzu kommt ein Berganfahrassistent für müheloses Starten an Steigungen.
Überhaupt macht es einem der Spyder RT so leicht wie möglich. Schalten auf Tastendruck, kein Kuppeln, ein zentrales Bremspedal. Motorradfahrer müssen in Kurven umdenken: Durch die breite Vorderachse nimmt der Spyder Kurven wie ein Auto. Heißt: Schräglage ist nicht, dafür drückt es einen im Sitz nach außen. BRP empfiehlt, den Oberkörper gen Kurveninneres zu drehen, wie bei einem Snowmobil. Ein bisschen Hineinlegen geht auch beim Lenken, aber die eigentliche Richtungsänderung kommt aus den Armen. Spyder-Fahrspaß will auch teilweise körperlich verdient sein. Dafür lässt sich der Windschild anstrengungsfrei elektrisch rauf- und runterfahren. Die Taste dafür sitzt auf dem breiten Faketank, nebst der Bedientasten von Griff- und Sitzheizung (jeweils zweistufig) sowie dem Keypad des Audio-Systems. Der Sozius hat seine eigenen Bedienelemente für all das. Praktisch: Das Topcase lässt sich problemlos abbauen. Dank des „LinQ"-Systems von BRP kann stattdessen eine Kühlbox oder ähnliches Zubehör wie eine separate Rückenlehne montiert werden. Optional gibt es eine flache Abdeckung fürs Heck. Bleibt das Limited-Topcase zu Hause, kostet das zwar 60 Liter Stauraum. Das flache Heck des Serien-RT steigert aber den Coolness-Faktor. Theoretisch jedenfalls: Der „Hey Bro"-mäßige Motorradfahrer-Gruß wird einem auf dem Spyder beharrlich verweigert. Daran ändert auch der neue RT nichts