Die BMW R 1250 GS – Marktführerin bei den Reiseenduros und oft als „eierlegende Wollmilchsau auf zwei Rädern“ bezeichnet – wird noch universeller, stärker, sparsamer und leistungsfähiger. Das ist den Fotos zu entnehmen, die kürzlich bei Gelände-Erprobungsfahrten entstanden sind. Eine Überraschung ist die Tatsache, dass man in München an einer neuen GS-Generation arbeitet, freilich nicht: Wer die Bayern und ihre Produktzyklen auch nur halbwegs kennt, der weiß, dass etwa alle zehn Jahre mit einer neuen Fahrzeuggeneration wichtiger Modelle zu rechnen ist; nach der halben Lebensdauer wird stets eine Modellüberarbeitung eingeschoben. Jährlich gibt es kleine Änderungen, meist von Farben, Styles und Sonderausstattungen. So auch für 2022: Für das letzte Modelljahr der R 1250 GS sind erstmals Kofferhalter für Aluminiumkoffer für alle Farben mit einer Gepäckbrücke aus Edelstahl als Sonderausstattung zu haben.
Warum wird die R 1300 GS – so wird die neue GS in ihrer Basisversion heißen – 2023 erscheinen? Erstens ist es dann zehn Jahre her, dass die R 1200 GS mit dem neuen wassergekühlten Motor (1.170 ccm, 125 PS, 125 Nm, 238 kg) auf den Markt kam. Zweitens werden 2023 exakt 100 Jahre vergangen sein, dass die erste BMW, die R 32, auf den Markt gekommen ist. Da die Boxer-GS das bei Weitem wichtigste Modell von BMW Motorrad ist, wird selbstverständlich ihr die Ehre zuteil, im Jubeljahr die weiß-blaue Fahne ins erwartungsvolle Publikum zu tragen.
Das Lastenheft für die Entwicklung des Nachfolgemodells der R 1250 GS ist klar definiert: Wie schon in der Vergangenheit, wird das Nachfolgemodell in allen Kriterien bessere Werte liefern. Es wird demzufolge eine moderat höhere Motorleistung aufweisen, noch etwas mehr Drehmoment bereitstellen, mehr Fahrkomfort liefern und eine weiter gesteigerte Kompetenz sowohl auf der Straße wie auch im Gelände unter Beweis stellen. Sie muss aber zugleich leichter werden. Zur Erinnerung: Entwicklungsziel der Version K25 (229 kg), der letzten luftgekühlten Boxer-GS, war es gewesen, gegenüber der R 1150 GS (249 kg) um 25 Kilo abzuspecken. Die aktuelle K50 wiegt infolge viel zusätzlicher Technik wiederum 249 Kilogramm, also so viel wie die 1999 erschienene R 1150 GS. Ob erneut volle 20 Kilo weniger möglich gemacht werden können, bleibt abzuwarten.
Aus den genannten Anforderungen ergeben sich Hinweise auf technische Änderungen und darauf, was nicht verändert werden wird. Es bleibt beim Paralever vorn und beim Paralever hinten; beide Konstruktionsmerkmale haben sich bestens bewährt und sind deshalb gesetzt. Auch die mittragende Funktion des natürlich weiterhin wassergekühlten Zweizylinder-Boxers wird beibehalten. Dass man in München darauf abzielt, den Bau der GS zu vereinfachen und so Kosten zu sparen, darf als gesichert gelten. Dass die jetzt fotografierten Prototypen extrem sorgfältig getarnt sind, darf man als Hinweis verstehen, dass sich hinter dem Vorhang Entscheidendes tut. Das gilt insbesondere für das Rahmengeflecht, aber auch die Auspuffanlage.
Trotz des Ziels Gewichtsverlust wird die neue GS in keinem einzigen Punkt hinter die im Lauf der letzten Jahre gesetzten Standards zurückfallen: Deshalb ist das wegweisende Kurvenlicht mit schwenkbarem Scheinwerfer genauso gesetzt wie die ShiftCam-Technik, die variable Ventilsteuerung. Dennoch scheint sich hier etwas zu tun, denn beim Prototyp sind Stoffhüllen der Zylinderhauben zu sehen. Was versteckt sich hier? Eine weiterentwickelte variable Ventilsteuerung unter Einbeziehung der Auslassventile? Logisch ist die Ausweitung der Fahrassistenzsysteme auf Radar-Basis (ACC, Totwinkel-Assistent).
Eine Änderung dürfte es für die Adventure-Version geben. Denn BMW wird voraussichtlich die GS-Baureihe stärker differenzieren. So arbeitet man in München dem Vernehmen nach an einer stärker offroad-affinen, nicht aber durch einen Riesentank aufgeblähten Zweitversion, die M 1300 GS heißen könnte (diese Modellbezeichnung hat sich BMW schon 2019 schützen lassen). Dass hier Nachfrage herrscht, weiß BMW daher, dass die Option Sportfahrwerk (hält u. a. 20 mm mehr Federweg analog zur noch mächtigeren Adventure bereit) gerne bestellt wird. Eine Adventure-Version nach dem bisherigen, seit 1150er-Zeiten gültigen Verständnis, wird es weiterhin zusätzlich geben; Märkte wie beispielsweise Italien gieren förmlich nach einer solchen „Alles-drin“-Variante.
Da die Leistungsdichte in der Königsklasse der hochbeinigen Alleskönner insbesondere in der jüngsten Vergangenheit extrem dicht geworden ist, wird BMW mit der neuen R 1300 GS einen neuen Standard setzen; das ist man dem eigenen Ruf schuldig. Auch ohne motorische Überflieger-Daten will man weiterhin mehr bieten als Ducati mit der Multistrada V4 und KTM mit der 1290 Super Adventure. Und man will auch die neue Harley-Davidson Pan America 1250 in Schach halten, auch wenn diese Neuheit noch nicht das extrem hohe Niveau der etablierten Konkurrenz erreicht hat; aber die Anlagen der US-Reiseenduro sind ja mehr als beachtlich. Zur schnellen Realisierung der in der Pan America von der gesamten Szene mit Respekt beachteten Absenkung der Sitzhöhe im Stand des Fahrzeugs wird es aber bei der R 1300 GS nicht reichen: Da müssen wir alle wohl bis zur ersten Modellüberarbeitung der neuen R 1300 GS warten …