Adventure-Tourer: Kawasaki Versys 1000 SE - Fahrtest

Sportliches Fahren und Touren, dafür soll die Kawasaki Versys 1000 SE ausgelegt sein. In unserem Fahrtest zeigt das Straßensportmotorrad, was in ihm steckt.
04.07.2020
| Lesezeit ca. 6 Min.
Ula Serra, James Wright

Emerald Blazed Green. Die Lackfarbe klingt irgendwie nach „Blaze of Glory“, der Outlaw-Hymne von John Francis Bongiovi Jr., besser bekannt als Jon Bon Jovi. Der gitarrenlastige Titelsong aus dem Western „Young Guns II“ wäre die perfekte Untermalung für diesen Morgen auf Lanzarote.
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Wir stehen vorm gläsernen Portal des Hesperia, ein imposanter, schneeweißer Hotelkomplex im Südosten der Insel. In der Ferne klatschen die Wellen aufs Vulkangestein. Vor uns reihen sich gut ein Dutzend Kawasaki Versys 1000 SE in besagtem Knaller-Flake-Grün auf wie eine Herde abmarschbereiter Wildpferde. Kurzes Briefing noch zum Tagesablauf, dann Helm auf und los – „Adventure Calling“.

Auf ins Abenteuer Alltag

Jede Straße, jederzeit. So lautet der Claim des Bikes und die Marschroute der Präsentation auf den Kanaren. Vor uns liegen insgesamt knapp 270 Kilometer Testfahrt auf zwei Eilanden. Start auf Lanzarote, dann nachmittags per Fähre rüber nach Fuerteventura, dort Küstentour und Übernachtung, tags drauf dann Serpentinen-Marathon im dramatisch kurvigen Parque Rural de Betancuria und zurück nach Lanzarote.
Die neue Versys 1000 SE erweist sich dafür schon auf den ersten Metern als idealer Gefährte. Der stetige Wind, der einem auf den Kanaren um die Ohren pfeift, beißt sich am neuen großen Windschild die Beaufort-Zähne aus. Zugfrei und weitgehend geräuschgeschützt können Einsachtziger wie ich
hinter dem stufenlos verstellbaren Fahrtwind-Bollwerk das Asphaltband scannen, das sich durch die Lava-Landschaft zieht. Gleichzeitig sorgen zwei ausgeklügelte Luftführungsschlitze in der Frontverkleidung für leicht erhöhten Anpressdruck. Das passt: Die Straßen hier sind grandios. Perfekter Grip, verheißungsvolle Kurvenradien, wenig Verkehr im Hinterland (um diese Jahreszeit). Gastfreundlich wird frühzeitig vor den wenigen Starenkästen gewarnt. Das ideale Versys-Revier.

Motorradtest Kawasaki Versys 1000 SE

Erstmals zwei Varianten

Kawasakis dynamisches Vielseitigkeits-Bike geht in die dritte Runde. 2012 kam die große Versys auf den Markt, 2015 gab es ein Major-Update, jetzt im Frühjahr 2019 folgt Generation drei, umfangreich verbessert und erstmals in zwei Varianten: als Versys 1000 und als 1000 SE. Letztere ist deutlich hochwertiger ausgestattet, was sich Kawasaki mit einem Aufschlag von 3.400 Euro entlohnen lässt.
Neben der „nackten“ Versys 1000 gibt es beide Modellvarianten als Tourer (u. a. Seitenkoffer mit Innentaschen) und als Grand Tourer (u. a. Seitenkoffer plus Topcase), macht insgesamt fünf Versionen für den deutschen Markt. Darunter rangieren wie gehabt die kleinen Schwestern Versys 650, die 2007 den namensgebenden „Versatile System“-Stammbaum pflanzte, und die Youngster-Variante Versys-X 300 aus dem Jahr 2017.
Eine glückliche Familie: „Die Verkaufszahlen der Baureihe in Deutschland lagen 2018 bei rund 1.130 Einheiten“, sagt Martin Driehaus, Marketingleiter Kawasaki Deutschland. Das sichert der Versys ein verdientes Plätzchen im Marken-Olymp von Kawasaki und im Adventure-Segment, wobei die Versys – trotz der aufrechten Enduro-Sitzposition – ganz klar auf der Straße zu Hause ist. Abstecher auf Schotter sind problemlos möglich, echtes Gelände sollte man sich mit maximal 152 mm Federweg und Bridgestone-Straßenbereifung aber lieber verkneifen.

Verkaufsturbo Versys 1000 SE

2019 will Kawasaki die Verkaufszahlen der 1000er glatt verdoppeln: 660 SE und 275 Standard-Versionen sind das couragierte Ziel für das erste Jahr. Wichtigstes Kaufargument ist fraglos das umfangreiche Elektronikpaket, das Kawasaki für seinen wackeren Adventure-Tourer geschnürt hat. Mit elektronischem Fahrwerk, vier Fahrmodi, TFT-Display und LED-Kurvenlicht schließt die Versys 1000 SE zu den Wettbewerbern aus dem Hause BMW und Ducati auf, die Vergleichbares für Modelle wie S 1000 XR und Multistrada 950 S im Programm haben.
Die Standard-Versys muss ohne diese Premiumzutaten auskommen. Gleiches gilt für die Vernetzung mit dem Smartphone, das Farb-TFT-Display und für den schrillen „Blaze of Glory“-Lack. Der sieht mit seiner Retro-Flitter-Oberfläche einfach unverschämt gut aus – und hat zudem selbstheilende Eigenschaften, verspricht Kawasaki. Kleine Kratzer sollen wie von Geisterhand wieder verschwinden. Ausprobiert haben wir es nicht, klingt aber vielversprechend. Die Käufer dürfen gespannt sein.
Motorradtest Kawasaki Versys 1000 SE

Elektronisches Fahrwerk aus der Ninja

Superhirn des Versys-Fortschritts ist die IMU-Einheit von Bosch, die auch schon die Kawasaki Ninja ZX-10R SE zum technologischen Highflyer macht. Das kleine Sensorik-Genie verdrahtet alle relevanten Fahrdynamik-Komponenten des Motorrads. Und gebärt so nebenbei ein Heer an Kürzeln, die allesamt mit K wie Kawasaki beginnen.
KECS zum Beispiel steht für Kawasaki Electronic Control Suspension. Das Elektronikfahrwerk erkennt Fahrbahnunebenheiten mit der Präzision einer Atomuhr und bügelt sie ratzfatz aus, kompetenter als jeder konventionelle Dämpfer. Das Ansprechverhalten im Millisekundenbereich beschert der Kawa eine äußerst überzeugende Federung. Und segnet die SE-Modelle mit den Komforteigenschaften eines fliegenden Teppichs, wozu nebenbei auch die vorzügliche neue Sitzbank ihren Teil beiträgt.
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Motorradtest Kawasaki Versys 1000 SE

Kurvenassistent und Z1000-Bremse

Der elektronische Kurvenassistent KCMF (Kawasaki Cornering Management Function) nutzt die Rückmeldung der IMU (Inertial Measurement Unit) und überwacht die Motor- und Fahrwerksparameter vom Anfang bis zum Ende der Kurve, mithin vom Reinfahren bis zum Scheitelpunkt und zum Rausbeschleunigen. Bremskraft und Motorleistung moduliert die KCMF dabei klammheimlich im Sausewindtempo. Unerwünschte Lastwechselreaktionen killt der Kurven-Assi so schon im Ansatz. Dem Fahrer hilft er damit unmerklich, in der Kurve sauber die Spur zu halten. Und wenn es doch mal kneift oder eng wird, ist das Kurven-ABS verlässlich zur Stelle.
Womit wir bei einem weiteren Techniktransfer zur neuen Versys wären: die Bremsanlage aus der Kawa Z1000. Fein dosierbar und mit dem nötigen Nachdruck bringt sie die fahrfertig immerhin 257 Kilogramm schwere Fuhre jederzeit zuverlässig zum Stehen. Das schafft Vertrauen, genau wie KIBS. Kawas intelligentes Antiblockiersystem gehört zur Serienausstattung der Versys 1000. Es basiert auf dem gleichen System, das sich bereits bei der Ninja H2 und der Ninja ZX-10R bewährte.

Motorradtest Kawasaki Versys 1000 SE

Drehfreudiger alter Bekannter

Der Reihenvierzylinder der Versys leistet wie gehabt 120 PS bei 9.000 Touren. „Die Gasannahme erfolgt im Vergleich zum Vorgängermodell noch eine Spur harmonischer“, versichert Projektleiter Hideyuki Kato. Zu verdanken sei das der elektronischen Drosselklappensteuerung, die zudem den Einsatz eines Tempomaten ermöglicht.
Manche Tester, die bereits mit der alten Versys-Generation unterwegs waren, vermissen nach dem Elektronikupgrade den bislang recht ausgeprägten Punch des 1.043-ccm-Aggregats. Mangelnde Leistungsbereitschaft kann man dem 2019er-Antrieb aber keineswegs unterstellen: Die Versys 1000 SE hängt sehr direkt am elektronischen Gasgriff – und geht richtig gut zur Sache. Das maximale Drehmoment beträgt nach wie vor 102 Nm bei 7.500 Touren. Dank Quick-Shifter (nur SE) kann man sich das Kuppeln nach dem Anfahren sparen. Rauf wie runter rasten die Gänge sauber ein, präziser Kontakt zum Schalthebel vorausgesetzt.

Schärfere Optik dank Designerin Seo

Optisch hat Kawasaki die Versys 1000 trefflich nachgeschärft. Die Front sieht jetzt deutlich bissiger und angriffslustiger aus, Kawasaki nennt es „emotionaler“. Farbige Anbauteile ziehen sich von der Front bis zu den Seitenkoffern durch. Markantes Detail ist die von der Ninja H2 bekannte Doppelnase unterhalb der kantigen Scheinwerfer. Verantwortlich für den neuen Look ist eine Frau: Jiwon Seo, hochgewachsen und selbst begeisterte Motorradfahrerin. „Mir war es wichtig, dass die neue Front die Bedeutung der Versys unterstreicht: Sie gehört jetzt zu den Flaggschiffen der Marke“, sagt Seo. Sehr zum Gefallen vom Versys-Verantwortlichen Kato.

Motorradtest Kawasaki Versys 1000 SE

Individuelle Bedienung und Fahrmodi

Der neue Wind zeigt sich auch beim Thema Vernetzung. Im Cockpit der 1000 SE ist ein Bluetooth-Modul integriert. Dadurch kann man sein Smartphone mit der Maschine und dem TFT-Display koppeln. Mittels Kawasakis Rideology-App kann der Fahrer seine Touren tracken, Daten wie Tank- und Kilometerstand checken und sogar die Fahrwerks- und Motoreinstellungen des Bikes verändern. Alternativ funktioniert Letzteres mit ein bisschen Übung auch über die Bedientasten am Lenker und dem individualisierbaren „Rider“-Fahrmodus.
Die drei weiteren Modi Sport, Road und Rain (nur SE) sind ab Werk konfiguriert – und machen ihre Sache allesamt gut. Speziell im Sportmodus bewegt sich die Versys schön straff, ohne übertrieben den Harten raushängen zu lassen. Das macht lange, schnell gefahrene Strecken zum Genuss. Und verleiht dem Ritt auf der Versys etwas von diesem Glanz des Ruhmes, den Jon Bon Jovi so trefflich besingt.

Motorradtest Kawasaki Versys 1000 SE

Fazit

Mit der Versys 1000 SE spielt Kawasaki jetzt in der Adventure-Champions-League mit, auch wenn Wettbewerbs-Goodies wie schlüsselloses Starten nicht zu haben sind. Dafür überzeugen Optik, Fahrwerk und Antriebsleistung. Die Preise sind durchaus selbstbewusst: Die Versys 1000 startet bei 12.995,-- plus 350,-- Euro Nebenkosten, die 1000 SE gibt es ab 16.395,-- plus NK. Die Topausstattung Grand Tourer inkl. Topcase und Nebellampen, 12-V-Anschluss, GPS-Halterung und Motorschützern kostet frei Haus ab 15.455,-- Euro bzw. 17.845,-- Euro (SE).
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Kawasaki Versys 1000 SE - Baujahr: 2019
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Technische Daten Kawasaki Versys 1000 SE 2019
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Kawasaki
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Preis-/Leistungsverhältnis
Motor
Bohrung x Hub 77 x 56 mm
Hubraum 1.043 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Vierzylinder, flüssigkeitsgekühlt, vier Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 4
Leistung 120 PS (88 kW) bei 9000 U/min
Drehmoment 102 Nm bei 7.500 U/min
Verdichtung 10,3:1
Höchstgeschwindigkeit 217 km/h
Wartungsintervalle Erstinspektion bei 1000 km, danach alle 12000 km
Kraftübertragung
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Assist- und Rutschkupplung
Schaltung 6-Gang
Sekundärantrieb O-Ring-Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Doppelprofilrahmen aus Aluminium
Federelemente vorn 43-mm-Upside-Down-Gabel mit stufenloser Zugstufendämpfung (rechte Seite) und einstellbarer Federbasis
Federelemente hinten Horizontal angeordnetes Back-Link-Gasdruck-Zentralfederbein mit KECS-gesteuerter Druck- und Zugstufendämpfung sowie Federbasis
Federweg v/h 150 mm / 152 mm
Radstand 1.520 mm
Nachlauf 106 mm
Lenkkopfwinkel 63 °
Räder Gussfelgen
Reifen vorn 120/70ZR17M/C
Reifen hinten 180/55ZR17M/C
Bremse vorn 310-mm-Doppelscheibenbremse im Petal- Design, radial montierte Vierkolben-Festsättel
Bremse hinten 250-mm-Einscheibenbremse im Petal-Design, Einkolben-Bremssattel
Maße & Gewicht
Länge 2.270 mm
Breite 895 mm
Höhe 1.490 mm
Gewicht 257 kg
Maximale Zuladung 220 kg
Sitzhöhe 840 mm
Tankinhalt 21 Liter
Fahrerassistenzsysteme Kurven-ABS, Traktionskontrolle, Fahrmodi, Tempomat
Fahrzeugpreis ab 16.395 €
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