Allerdings führt sie als Motorradregion noch immer ein Schattendasein. Zum Glück! Denn nur dadurch konnte das größte, zusammenhängende Vulkanmassiv Europas seine Ursprünglichkeit bewahren. So rollen die Räder auf schnellen Wegen nach Mücke-Flensungen. Der Hessische Rundfunk ermittelte im Jahre 1983 die folgenden Koordinaten: 50. Breitengrad 36´33“ sowie 9. Längengrad 1´45" und legte damit den Ort als Mittelpunkt des Bundeslandes Hessen fest. Am Ortseingang befindet sich ein Gedenkstein mit einer integrierten Tafel und erinnert an diesen zentralen Ort. Hier treffen wir auch den Motorradwirt Bernd auf seiner BMW. Wie sich herausstellt, finden nicht nur die Gänge in der Schaltbox passend zueinander, denn auch die kulinarischen Gänge auf der Speisekarte sind vorzüglich aufeinander abgestimmt. So verbringen wir bei gutem Essen gemeinsam einen sehr geselligen Abend und werden mit reichlichen Tipps und Informationen zur Region Vogelsberg versorgt. So zieren am Ende dieses Abends einige Striche und Kringel mehr unsere Tourenkarte.
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Frisch gestärkt und ausgeruht kann der Kurventanz über den Vulkan am nächsten Morgen beginnen. Auf kleinen, kurvigen Straßen inhalieren die Motoren unserer Maschinen die kühle Luft der Morgenstunde. Tau glitzert im Morgenlicht und lässt die Natur langsam, aber sicher erwachen. Durch sanfte Hügel und Täler bollern die Einzylinder und beenden so unsere morgendliche Ruhe. In Ulrichstein wird der Blinker betätigt. Da wir auf kleinsten Wegen entschleunigen, schalten wir einen Gang herunter und lassen uns einfach über die Straßen treiben. Alpakas und Ponys stehen am Straßenrand und schauen neugierig herüber. Es hat den Anschein, dass hier nicht allzu oft ein Motorrad vorbeikommt. So fahren wir förmlich durch die Wohnzimmer der hier ansässigen Bauern, werden freundlich gegrüßt und lassen dann den Selgenhof im Rückspiegel schnell kleiner werden. Nach ein paar Schräglagen legen wir dann eine ganz andere Gangart ein. Mit flottem Reisetempo – nicht Rasetempo! - kurven wir über die historische Bergrennstrecke namens Schottenring.
Sie machte das idyllische Fachwerkstädtchen Schotten im Herzen vom Vogelsberg bei alten Motorsportfreunden weithin bekannt. Im Jahre 1925 fand hier schon das erste Motorradrennen statt. Viele berühmte Fahrer, wie Schorsch Meier, trugen sich in die Siegerlisten ein. Hier wurde schon oft gekämpft, gesiegt und auch verloren. Nicht nur den Fahrern, auch dem Schottenring selbst erging es in seiner Geschichte so. Nach einigen Jahren Stillschweigen werden die Rennmotoren jedoch seit 1988 wieder zum Leben erweckt. Immer am dritten Augustwochenende findet der Schottenring Classic Grand-Prix statt. Leider können wir nicht bis zum 19. Jahrestag warten und so dreht die Hand am Gas. Wir wedeln regelrecht über die Rennstrecke und kosten jede Schräglage in vollen Zügen aus.
Linker Hand lädt ein Parkplatz bei fantastischem Wetter zu einer kurzen Rast ein. Die klare Luft lässt den Blick einmal quer durch das weite Tal wandern. Dort glitzert der Niddasee und am Horizont können wir sogar die Skyline von Frankfurt sichten. Nach diesen Eindrücken nehmen wir nun die westliche Seite des Schottenrings unter die Stollen, der Rest muss warten.
Die Motorräder surfen noch im engen Radius durch die sogenannte „Applauskurve“, bevor der Rundkurs rechter Hand verlassen wird. Wir wollen die nächste beliebte Motorradstrecke im Vogelsberg erfahren: Die berühmt, berüchtigte Route B 276. Die gleichnamige Bundesstraße führt durch eine traumhafte, reizvolle Gebirgslandschaft und lässt Spaß, Genuss und Fahrvergnügen ineinander verschmelzen.
Die Motorraddichte wird auf dieser Strecke schlagartig höher, und so sind wir mit unseren Maschinen nicht mehr allein auf den Straßen. Auch die Leitplanken am Straßenrand sprechen stumm eine eigene Sprache: Hier denkt man an die Motorradfahrer und beweist es mit Leitplanken, die mit Unterfahrschutz versehen sind. Durch lichtdurchflutete Laubwälder kurven die KTMs in die Fachwerkstadt Laubach. Mitten in der gewaltigen Schlossanlage klappen wir den Seitenständer auf historischem Boden aus. Prächtig geschmückt – mit blühendem Wein – begrüßt uns die Anlage mit ihren drei Flügeln und drei Türmen. Laubach war 288 Jahre lang die Residenz der Solmser Grafen. Die gräfliche Familie bewohnt noch heute das mächtige Schloss. Das Innere beherbergt zudem eine der größten historischen Privatbibliotheken Europas und birgt unermessliche Schätze in sich.
Mit mächtig polternden Motorradstiefeln erforschen wir das Gelände und vertreten uns kurz die Beine im Schlosspark, bevor wir uns wieder auf unsere Motorräder schwingen, denn unsere Kurvenbarometer stehen wieder auf Schräglage. Schnell werden ein paar kleine Straßen zusammengeklöppelt und rechter Hand rauscht der Steinbügel, ein 295 Meter hoher Hügel an uns vorbei. Dann stürzen wir uns in kühnen Schwüngen und tiefen Schräglagen nach Ufta hinab. In der Ferne können wir schon von Weitem die Ortschaft Stornfels sichten.
Majestätisch wurde dieser Ort auf einer prägnanten Anhöhe errichtet. Die Straße schlängelt sich kurzzeitig wieder in die Höhe, umkurvt dann den Ort, um sich dann kurvenreich weiter hinab zu winden. So erreichen wir bald den Niddasee und lassen die Motoren knisternd abkühlen. Am „Nidda Treff“ gibt’s Kaffee und der Blick wandert über den See. Es wird eine kurze Pause, da der Rest der kurvenreichen B 276 erfahren werden will.
Wie ein Korkenzieher windet sich die Strecke. Die Reifenflanken müssen ihrer Aufgabe nachkommen, und in herrlichen Schräglagen fliegen wir auf den Hof des Schlosses Gedern ein. Fürsten und Grafen wohnen hier zwar schon lange nicht mehr. Aber im schön restaurierten Komplex mit seinen historischen Mauern finden sich neben einem Hotel auch die Stadtverwaltung, ein kulturhistorisches Museum sowie das Tourismusbüro. Im Marstallgebäude wird dem interessierten Besucher altes Handwerk in der Seifensiederei vorgeführt. Auf der Terrasse des gemütlichen Schlosscafés verweilen wir und suchen auf der Karte die kleinsten Straßen heraus.
So gibt es erneut reichlich heiße Kurven bis zum Hoherodskopf. Leider verbirgt dieser sein Haupt in der Wolkendecke. Gut, dann schauen wir uns halt etwas anders an. Michael Simon von der Greifvogelwarte Feldatal erklärt ausführlich die unterschiedlichsten Greifvögel. Siebzig verschiedene Vögel nennt er sein Eigen. Die Zuchttiere sind nicht der Öffentlichkeit zugänglich, ebenso wie die Vögel für die Flugshows. Diese benötigen die Ruhe, um frisch gestärkt ihre täglichen Flugeinlagen zu absolvieren. Auch findet hier manch ein gehandicapter Vogelpatient sein umsorgtes Zuhause.
So zum Beispiel ein sehbehinderter Weißkopfseeadler, der unter einer Distanz von fünf Metern nichts sehen kann. Seinen Namen „Stevie Wonder“ trägt er somit völlig zu Recht. Inzwischen reißt die Wolkendecke auch wieder auf und der strahlend blaue Himmel lockt uns auf die Motorräder. Mit kühnen Schwüngen erreichen wir erneut den Hoherodskopf. Mit seinen 767 Metern rangiert er nur auf Platz zwei, denn der höchste Gipfel des Vogelsbergs ist der nur wenige Meter entfernte Taufstein. Dieser reckt sein Haupt um sieben Meter höher in den Himmel. Im Besucheransturm bekommt der Hoherodskopf jedoch den ersten Platz zugeteilt. Auch wir suchen uns ein lauschiges Plätzchen inklusive fantastischem Fernblick. So verbringen wir erholend ein wenig Zeit in der wärmenden Sonne und lassen die Seele baumeln. Getankt mit so viel Energie sausen die Motorräder recht zügig und mit flotten Schwüngen wieder talwärts, um unzählige Schräglagen später Lauterbach zu erreichen. Dort wandeln wir durch die engen Gassen, welche mit reichlich Fachwerk gesäumt sind.
Wir suchen die eigenwilligste Brücke der Stadt: die Trittsteine. Von Wasser umspült kann man hier trockenen Fußes die Lauter überqueren. Direkt daneben befindet sich das Denkmal vom schusseligen Strolch. Bei einem überstürzten Aufbruch lässt er einen wertvollen Strumpf bei seiner Meisterin liegen. Wehmütig beklagte er den Verlust und das Lied „In Lauterbach hab` ich meinen Strumpf verlor`n“ wurde geboren. Da wir jedoch nicht tiefer auf die Geschichte Lauterbachs eingehen wollen, drücken wir umgehend den Anlasserknopf, schwingen durch die nördliche Landschaft des erloschenen Vulkans und steuern Windhausen an.
Auf einem Hügel gelegen trägt das Dorf zu Recht seinen Namen: Der Wind pfeift uns hier regelrecht um die Ohren. Auf dem schönen Bergrücken blasen auch wir weiter, um in Frischhausen den Blinker zu setzen. Den nun vor uns liegenden Streckenabschnitt kann man mehr einen Verbindungsweg als eine Straße nennen und durch satte gelbe Rapsfelder rollen die Räder unserer Maschinen schwungvoll zum Schloss Eisenbach. Hoch oben thront das Gemäuer. Im Jahre 1217 wurde es das erste Mal urkundlich erwähnt. Die Familie Eisenbach starb im Jahre 1429 aus. Seit 500 Jahren nun pflegen und erhalten die Riedesel Freiherrn zu Eisenbach diesen wundervollen Besitz. Im Hof werden wir von einem radschlagenden Pfau willkommen geheißen und dann werfen wir einen Blick auf die imposante Anlage. Das Schloss selbst kann jedoch nicht besichtigt werden, da es sich in Privatbesitz befindet. So laufen die Motoren bald wieder und inhalieren die rapsgeschwängerte Luft. Die gelbe Farbenpracht der unzähligen Rapsfelder rauscht an uns vorbei. Über einen Bergrücken kurven wir dann weiter nach Schlitz. Das ist eine Stadt, die nicht nur mit einer Burg gesegnet wurde, sondern gleich vier alte Gemäuer ihr Eigen nennt.
Die Motorräder bekommen in den engen Gassen direkt an historischen Mauern eine ausgiebige Pause. Im Turm der Hinterburg bringt uns ein Aufzug neumodisch nach oben, von wo aus wir uns einen fantastischen Überblick über die einfach nur sehenswerte Burgenstadt verschaffen können. Unweit der Burg treffen wir wenig später auch noch den Brennmeister Ickler. Er führt uns durch die heiligen Hallen der Schlitzer Destillerie.
Schon seit 1585 wird hier Hochprozentiges hergestellt – damit gehört man zu einer der ältesten Destillerien Europas. Der edle Schlitzerland Whisky Glen Slitisa heimste sogar schon den ein oder anderen Preis ein. Da wir auf eine Geschmacksprobe vor Ort verzichten müssen, bekommen wir für später einige Kostproben überreicht. Mit neuem Brenn stoff bestens ausgestattet, bollern die Einzylinder ein letztes Mal mit kühnen Schwüngen über den Schottenring, bevor wir uns dann vom Motorradparadies Vogelsberg verabschieden. Eines ist jedoch sonnenklar, das war nicht unser letzter Kurvenritt auf dem Vulkan!
Motorradtour Kurventanz auf dem Vulkan – Infos
Mitten im Herzen von Deutschland befindet sich eine Region, deren geologische Entstehung zwangsläufig die Wegführung vorgibt. Allerdings führt sie als Motorradregion noch immer ein Schattendasein. Zum Glück! Denn nur dadurch konnte das größte, zusammenhängende Vulkanmassiv Europas seine Ursprünglichkeit bewahren.
Allgemeine Infos
Im Vogelsberg rollen die Räder über das größte geschlossene Basaltmassiv Europas. Daher kann man wirklich von einem Ritt auf dem Vulkan sprechen, da es sich um einen erloschenen Schildvulkan handelt. Die vielen kleinen Verbindungswege weisen ein geringes Verkehrsaufkommen auf. Die Region steht nicht im Fokus des Massentourismus, deshalb wird sie unter den Motorradfahrern noch als Geheimtipp gehandelt.
Sehenswertes Für Motorradfahrer steht der Schottenring, die B276 sowie der Hoherodskopf hoch im Kurs. Laubach, die alte Schaffensstätte von Friedel Münch, lädt mit malerischem Fachwerk und dem Laubacher Schloss ein. Gedern konkurriert ebenfalls mit einer schönen Schlossanlage, deren Gebäude aktiv genutzt werden. Eine Brücke der anderen Art sind die Trittsteine in Lauterbach mit dem Denkmal des gelockten Jungen mit verlorenem Strumpf. Brennstoff der anderen Art gibt es in der Schlitzer Destillerie. Ein Besuch der Burgenstadt Schlitz sollte sowieso nicht versäumt werden.
Anreise
Aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands kann man den Vogelsberg gut erreichen. Er befindet sich zentral zwischen folgenden Autobahnen: A5, A7 und A66.
Beste Reisezeit
Generell kann diese Tour während der kompletten Motorradsaison im Zeitraum zwischen März und Oktober gefahren werden. Wir waren im April unterwegs, wenn der Raps schon goldgelb blüht.
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