Wir haben uns in den endlosen Weiten Patagoniens gegen den Wind gestemmt, sind die staubigen Straßen im Urwald von Bolivien gefahren, haben kalte Tage auf den hohen Andenpässen ausgestanden und uns im Verkehrschaos lateinamerikanischer Großstädte behauptet. Wir haben viel gelacht, neue Freundschaften geschlossen, Einblicke in das Leben anderer Kulturen bekommen und staunten oft über die große Gastfreundschaft, die wir erfahren haben. Was bleibt, sind
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Erinnerungen. Erinnerungen an eine schöne und intensive Zeit. Und wenn es irgendwie möglich ist, werden wir eines Tages wieder losziehen, um etwas von der Großen Freiheit zu kosten.
Da steht sie, die Grande Buenos Aires, jenes Frachtschiff, welches uns auf ihrer dreiwöchigen Fahrt in Argentiniens Hauptstadt bringen soll. Zwischen den Hafengebäuden und Containern suchen wir uns einen Weg zum Schiff und kommen dabei am Zoll vorbei. Ohne große Formalitäten können wir passieren und haben somit offiziell Europa verlassen. Ein Offizier der italienischen Crew nimmt uns in Empfang und führt uns über die riesige Rampe in den Laderaum. In einer Nische zwischen einer Lokomotive, einem Lkw und einer riesigen Getreidemaschine finden wir einen Platz für unsere zwei Motorräder.
21. Reisetag (Senegal, 5.Oktober 2007) – erster Landgang und das mysteriöse Verschwinden von Sebastian
Wir stehen an der Reling, genießen die Wärme und schauen den Wellen zu, die 30 Meter unter uns an den Bug schlagen. Vor fünf Tagen sind wir in Bilbao in Spanien an Bord gekommen und mit dem südlichen Kurs ist es jeden Tag etwas wärmer geworden. Als wir vor drei Wochen mit unseren Motorrädern, einer BMW R 80 GS und einem Dnepr-Seitenwagengespann in Liechtenstein losgefahren sind, war es kalt und regnerisch. Es gab Tage, an denen wir am Morgen die Regenkombi an- und am Abend wieder ausgezogen haben.
Doch nun genießen wir die Hitze vor der afrikanischen Küste. Am Mittagstisch verkündet der Kapitän, dass wir abends in Dakar einlaufen werden – für uns zehn Passagiere eine willkommene Abwechslung. Wir erörtern die Möglichkeiten und Gefahren eines Kneipenbummels dort. Sebastian, neben uns der einzige weitere Motorradfahrer in der Runde, meine Frau Renée und ich sind überzeugt, dass die Aussicht auf ein paar kühle Bier, laute Musik und afrikanische Lebensfreude die Gefahren wettmachen. Gespannt stehen wir am Bug und schauen zu, wie wir langsam einlaufen, die Laderampe sich senkt und den Bauch des Schiffes freigibt.
Der Lift bringt uns vom elften Deck hinunter ins Dritte und zur Rampe. Zum Glück haben die Bootsbauer nicht vergessen, einen Lift einzubauen. Während die Crew damit beschäftigt ist, die 1.400 gebrauchten Autos auszuladen, bahnen wir drei uns vorsichtig einen Weg durch das Chaos. Gleich außerhalb des Hafengeländes werden wir fündig – eine typisch afrikanische Bar. Das ist eine Bretterbude mit Wellblechdach, ein paar beleibte Damen und ein altes Tonband, dessen Lautsprechermembrane sich von einem Vollausschlag zum Nächsten kämpft. Wir setzen uns, bestellen das erste Bier des Abends und bestaunen das bunte Treiben.
Erst um Mitternacht treten wir den Heimweg an. Zu dritt gehen wir am Kai neben dem riesigen Schiff entlang. Plötzlich bemerkt Renée: „Sebastian ist nicht da!“ Vor einer Minute war er es noch, aber nun ist er verschwunden. Als wir so da stehen und unser vom Alkohol benebeltes Gehirn Schwierigkeiten hat eine Erklärung für Sebastians Verschwinden zu finden, hören wir etwas im Wasser platschen. Vorsichtig spähen wir über den Kai und sehen den armen Kerl zwei Meter unter uns in der dunklen Brühe schwimmen. Da kommt auch schon einer der Crew mit einem Tau in der Hand angerannt: Zu zweit ziehen wir ihn hoch.
„Ich weiß auch nicht mehr“, erzählt Sebastian, „plötzlich war der Boden einfach unter meinen Füßen weg.“ In gebührendem Abstand folgen wir ihm aufs Schiff – er verbreitet einen Geruch von verfaultem Fisch und abgestandenem Öl. Aber abgesehen von diesem kleinen Abenteuer gestaltet sich die dreiwöchige Überfahrt eher ruhig und recht erholsam. Einzig die abendlichen Tischtennis-Turniere und die Landgänge in Salvador de Bahia, Rio de Janeiro und Santos sorgen für Aufregung.
Das ändert sich in Buenos Aires schlagartig. Reichlich Verkehr samt hektischer Fahrweise sorgen für einen erhöhten Pulsschlag. Wir sind den lateinamerikanischen Fahrstil halt noch nicht gewohnt. Per GPS finden wir aber den Weg zu Dakar Motos, der Motorradfahrer-Absteige in Buenos Aires. Zwei Wochen wohnen wir in der Werkstatt von Javier, trinken Mate (eine Art Tee, der mit einem Trinkhalm aus einem kugelförmigen Gefäß getrunken wird), politisieren, organisieren unsere Haftpflichtversicherung und erholen uns von einer von Empanadas (gefüllte Teigtaschen) erzeugten Magenverstimmung.
Unterwegs am Paso del Agua NegraVon Buenos Aires führt unsere Reise auf guten, asphaltierten Straßen durch die Pampas Richtung Süden. Nur der Wind trübt den Fahrspaß etwas. Doch das ist erst der Anfang. Wir sollen das patagonische Wetter noch kennen lernen. Nach einem kurzen Ausflug auf die Halbinsel Valdez und einer Bootsfahrt in der Bucht, bei der wir einen Buckelwal und ihr Junges sehen, queren wir Argentinien und fahren durch das Chubut Tal. In Rio Mayo, einem kleinen Kaff mitten im Nirgendwo, verlassen wir die Routa 40 und passieren die Anden nach Coyhaique in Chile. Coyhaique ist die letzte größere Ortschaft an der Carretera Austral auf dem Weg nach Süden und wir nutzen die Gelegenheit, um unsere Motorräder zu warten. Nach Coyhaique ist die Carretera Austral noch 140 Kilometer asphaltiert, doch danach, auf den folgenden 300 Kilometern, wechseln sich Schotter, Staub und Wellblechpiste ab.
Mit der BMW ist das ein Vergnügen, doch auf dem Seitenwagen wird das Ganze zur Tortur. Dafür entschädigt die spektakuläre Landschaft. Gespenstisch wachen die Stämme des Toten Waldes, halb versunken in aufgestauten Wasser über dem Taleingang. Blaugrün schimmert der Lago General Carrera (oder Lago Argentino, wie er auf der argentinischen Seite heißt) zwischen Bergen, an deren Westflanke Gletscher ihre Arme vom großen nördlichen Eisfeld herüberstrecken. Nicht ohne Grund hat die Carretera Austral Kultstatus unter den Südamerika-Reisenden. Wir verlassen die berühmte Straße aber und fahren am südlichen Ende des Sees wieder nach Argentinien. Die Carretera würde noch einige hundert Kilometer weiter nach Süden führen, doch in Villa O' Higgins ist Endstation. Von dort ginge es nur noch mit dem Boot und auf Wanderwegen weiter.
86. Reisetag (Argentinien, 9. Dezember 2007) – Bajo Caracoles und der Schneesturm
Heute Morgen haben wir Perito Moreno, eine kleine Ortschaft an der Routa 40, verlassen und uns gnadenlos dem patagonischen Wind – dem Besen des Teufels, wie er hier genannt wird – ausgeliefert. Schon seit mehr als zwei Stunden sind wir wieder auf der Schotterpiste und müssen uns kräftig gegen den starken Seitenwind stemmen. Unter einer Brücke finden wir Schutz und verschlingen ein mageres Mittagessen. Schon bald sind wir wieder auf den Motorrädern. Wir wollen nur weiter, weg von diesem Wind. Die Landschaft bietet auch nicht viel Abwechslung. Kein Baum und kein Strauch, der hier wächst. Die ganze Feuchtigkeit vom Pazifik bleibt an der chilenischen Seite der Anden hängen und fällt dort als Niederschlag. Hier auf der argentinischen Seite regnet es allerdings selten.
In Chile erleben wir trotz angekratztem Boxer die grandiose Landschaft „Torres del Paine“Es wird 18.00 Uhr, als wir in Baja Caracoles ankommen. Die Ortschaft ist nicht mehr als ein Verpflegungs-Posten: Fünf Häuser, eines davon ein Hotel, dazu eine Tankstelle, mit Post und Laden zugleich. Wir füllen unsere Tanks und flüchten schnell ins Innere des Ladens. Während wir uns mit einer Tasse Kaffee wärmen, unterhalten wir uns mit einem Busfahrer. Er gibt uns einen guten Tipp: Kurz nach Baja Caracoles beginnen die Bauarbeiten für die neue Asphaltstraße. Am Abend, wenn die Arbeit ruht, kann man bequem auf der frisch planierten Trasse fahren. Wir wollten zuerst die Nacht hier verbringen, doch die Aussicht auf ein paar bequeme Kilometer lockt uns wieder auf die Motorräder. Da um diese Jahreszeit und in diesen Breitengraden die Sonne sehr spät untergeht, haben wir noch mehr als drei Stunden Tageslicht. Aber: Nach 50 Kilometern ist immer noch keine neue Straße in Sicht. Doch am Horizont, direkt vor uns, türmen sich schwarze Wolken auf. Man muss nicht Meteorologie studiert haben, um zu sehen, dass das nichts Gutes bedeutet – und schon sind wir mittendrin. Schlagartig fällt die Temperatur und alles verfinstert sich. Dann fallen die ersten Schneeflocken. Zuerst nur vereinzelt, doch binnen Minuten schneit es richtig und die Piste verwandelt sich in ein Schlammbad. Es hat keinen Sinn, noch weiter zu fahren. Wie ich auf der Karte sehen kann, kommt auf den nächsten hundert Kilometern nur die endlose Weite Patagoniens. Irgendwie schaffen wir es in diesem Wind unser Zelt aufzustellen und finden in unserer Kochkiste einiges, das sich in ein brauchbares Essen verwandeln lässt. Während draußen der Schneesturm tobt, genießen wir Spaghetti und eine Flasche guten argentinischen Wein.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne wieder und wie immer bläst der Wind. Wir fahren weiter auf der Routa 40 nach El Chalten. Dort machen wir einige Tage halt und erkunden zu Fuß die schöne, wilde Landschaft rund um den Cerro Torre und Fitz Roy (siehe Seite 46,47). Im Nationalpark „Los Glaciares“ stehen wir stundenlang am Sicherheitszaun und warten gespannt, bis ein Stück Eis vom Perito Moreno Gletscher abbricht und in den See kracht. Und natürlich besuchen wir den Torres del Paine-Nationalpark mit seinen hohen, festungsähnlichen Felstürmen und den azurfarbenen Seen. Die Tage vergehen wie im Flug: Weihnachten geht vorbei und Neujahr. Da sind wir aber schon in Punta Arenas und schauen über die Magellanstraße nach Feuerland.
120. Reisetag (Feuerland, 12. Januar 2008) – die „Vollgas Taktik“: Gestern haben wir mit der Fähre die Magellanstraße überquert und in Porvenir, einem kleinen Dorf auf der chilenischen Seite von Feuerland, angelegt. Wir fuhren auf einer kurvenreichen und hügeligen Piste entlang der Küste, vorbei an Buchten und Haciendas, den für Feuerland so typischen Schaffarmen. Immer wieder querten Herden von Guanakos die Straße. Am Abend fanden wir bei der Laguna Blanca einen schönen, idyllisch, zwischen den Moos bewachsenen Bäumen gelegenen, Zeltplatz. Doch heute Morgen ist nicht viel von dieser Idylle zu spüren. Die Landschaft ist Nebel verhangen und es regnet. Nicht heftig, doch mit einer entmutigenden Beständigkeit.
Als wir nach 60 Kilometern zu den Hütten des chilenischen Grenzposten kommen, bessert sich das Wetter. Es ist schon Nachmittag, doch wir sind die Ersten, die heute die Grenze passieren. Es ist ein kleiner Grenzübergang, der auf den meisten Karten gar nicht eingezeichnet ist. Wie uns die freundlichen Beamten erzählen, kommen in den drei Monaten, an denen die Grenze offen ist, kaum mehr als 60 Fahrzeuge vorbei. Das hat seinen Grund: Gleich nach dem Grenzposten muss ein zehn Meter breiter Fluss durchquert werden. Bei unserer letzten Flussdurchquerung, nahe der Carretera Austral, ging die BMW baden. Das soll uns dieses Mal nicht mehr passieren. Wir lassen die Motorräder am Ufer zurück, waten durch den eiskalten Fluss und loten die Tiefe aus.
Die Strömung ist stark und an vielen Stellen reicht uns das Wasser bis an die Knie. Mit einem Ast markieren wir die beste Linie und tragen das Gepäck über den Fluss. Zuerst die BMW. Wegen der starken Strömung entschließen wir uns, die Maschine bei laufendem Motor und eingelegtem Gang zu zweit durch den Fluss zu schieben. Das Wasser reicht knapp unter die Vergaser. Das macht uns Sorgen. Die Dnepr hat den gleichen Motor wie die BMW doch einen ganz anderen Rahmen und dadurch liegt der Motor um einiges tiefer. Da hilft nur die „Vollgas Taktik“. Mit Schwung fahre ich in den Fluss. Zuerst geht alles gut, und der Motor zieht kräftig. Doch auf halbem Weg wird der Fluss tiefer und der Motor beginnt zu röcheln. Auspuff und Vergaser sind unter Wasser!
Ich gebe nochmals kräftig Gas, der Motor erholt sich und ich stehe am anderen Ufer – mit frisch gewaschenem Motor. Wir beladen die Maschinen und fahren nach Rio Grande, wo wir uns bei Graciella im Hotel „Argentino“ einquartieren. Mit trockenen Füßen und bei einer Flasche Bier spekulieren wir, wie schwierig es sein muss, einen abgesoffenen Seitenwagen aus dem Fluss zu ziehen. Außerdem bleiben wir drei Wochen in Feuerland – und zwar unfreiwillig. Am Tag nach unserer Flussdurchquerung geht das Differenzialgetriebe am Seitenwagen kaputt. Die Kugel- und Rollenlager sind komplett ausgeschlagen. Während wir auf die Teile aus der Schweiz warten, erkunden wir mit der BMW Feuerland und die südlichste Stadt der Welt: Ushuaia. Nach zehn Tagen sind die Ersatzteile da und ich brauche noch weitere vier Tage (und viel Geduld und Fingerspitzengefühl) um das Getriebe wieder zusammenzubauen.
Bevor wir Feuerland verlassen, besuchen wir auch noch Jorge, den letzten Goldgräber Patagoniens. Er führt uns sein Bewässerungssystem vor, mit dem er die goldhaltige Erde von den Hängen spült und zeigt uns wie er mit der Pfanne Wasser, Gestein und hoffentlich auch Gold trennt. Und tatsächlich finden auch wir etwas Edelmetall.
Eine Woche später sind wir auf der Fähre nach Puerto Montt. Die viertägige Fahrt beginnt in Puerto Natales und bringt uns einige tausend Kilometer weiter nördlich. Bequeme Kilometer: Wir müssen nicht gegen den Wind kämpfen und anstelle von Staub schlucken wir Pisco Sour (ein Mixgetränk aus Traubenschnaps – das Nationalgetränk in Chile und Peru).
Diese Passage wird zu einem Höhepunkt unserer Reise. Zunächst schippern wir durch unzählige Fjorde mit Gletschern, die ins Meer stoßen. Eine Stelle ist so eng, dass beide Seiten des Schiffes nur zwei Meter von den Felswänden entfernt sind. Dann geht’s aufs offene Meer, aber immer in Sichtweite des chilenischen Festlandes und den schneebedeckten Vulkanen.
231. Reisetag (Chile, 2. Mai 2008) – Kein Zündfunken und die Rettungsaktion
Es ist kalt, verdammt kalt: - 14 Grad! Ich verkrieche mich wieder in meinen warmen Daunenschlafsack. Wir sind in den chilenischen Anden in einer Hütte im Nationalpark „Nevado Tres Cruces“. Erst als die Sonne etwas Wärme bringt, wagen wir uns hinaus.
Unterwegs im Nationalpark Nevado Tres Cruces mit der Laguna Santa RosaDie Frühstückszubereitung gestaltet sich auch etwas kompliziert: Eier, Tomaten, unser ganzes Trinkwasser – alles ist gefroren! Auch die Motoren unserer Motorräder leiden unter der Kälte. Wir schieben die Maschinen in die Sonne und lassen sie etwas aufwärmen. Unterdessen genießen wir die atemberaubende (wir sind auf über 4.000 Metern!) Aussicht.
Eingebettet zwischen mit Sand und Geröll bedeckten Hügeln, schimmert türkisfarben die Laguna Santa Rosa im Morgenlicht. Im Hintergrund, als Kontrast gegen den blauen Himmel, stehen die drei Gipfel des Tres Cruces. Trotz all dieser Schönheit entscheiden wir uns nach Copiapo zurückzufahren. Nicht nur wegen der Kälte und der dünnen Luft – es gibt auch kein Trinkwasser hier. Das Wasser der Lagune ist salz- und arsenhaltig. Um nicht auf derselben Strecke zurück fahren zu müssen, beschließen wir eine sandige Piste zu fahren, die zum Pass San Francisco führt. Zuerst sind wir uns nicht sicher, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Es gibt keine Wegweiser und unsere Karte gibt nur ungenau Auskunft. Renée fährt den Seitenwagen und in einer langen, sandigen Passage bleibt sie stecken. Verzweifelt versucht sie den Motor wieder zu starten, doch er springt nicht an. Wir sind 180 Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt, in einer Wüste, wo in der Nacht die Temperaturen unter minus 20 Grad fallen und haben nicht mehr viel Wasser – ein miserabler Ort für eine Panne. Die nächsten zwei Stunden versuchen wir das Problem zu lösen. Es macht den Anschein, als ob der Zündunterbrecher nicht funktioniert. Es ist schon spät am Nachmittag und die Schatten werden immer länger. Wir müssen fort von hier. Wir packen die Schlafsäcke, ein paar warme Kleider und das Zelt auf die BMW und erreichen nach 40, zum Teil sehr sandigen, Kilometern einen kleinen Grenzposten. Wir erklären den Beamten unsere Situation und hoffen unser Zelt an einem geschützten Ort aufstellen zu können. Die Carabineros sind sehr freundlich und hilfsbereit. Zuerst weisen sie uns eines ihrer Büros zu, das mithilfe einer Matratze und eines Heizstrahlers in ein sehr luxuriöses Schlafgemach umgewandelt wird. Dann entscheiden sie, dass wir den Seitenwagen unter keinen Umständen in der Wüste stehen lassen können. Es wird etwas von illegalen Mineros und Guanakowilderern erwähnt …: „Peligroso, peligroso.“ So fahren die drei Carabineros und ich in einem konfiszierten Hilux los, um die Dnepr zu bergen. Natürlich passt der Seitenwagen nicht auf den Hilux und so werde ich im Dunkeln und bei sinkenden Temperaturen abgeschleppt. Als wir zwei Stunden später an der Grenzstation ankommen, erkennt Renée mich kaum wieder. Ich bin mit einer dicken Staubschicht überzogen, aber unser Gespann befindet sich in Sicherheit!
Der Zündunterbrecher ist defekt und als ich den Deckel abnehme, fallen mir etliche Plastikteile entgegen. Drei Wochen warten wir in Tierra Amarilla, einem trostlosen Dorf, auf einen neuen Magneto aus den USA. Wir nutzen die Zeit für einen Besuch des Nationalparks „Pan de Azucar“ und zelten in einer schönen Bucht an der Küste. Fasziniert beobachten wir die Pelikane, wie sie geduldig auf die Fischer warten, um vielleicht ein Stück von ihrem Fang abzubekommen. Der Unterbrecher ist dann schnell eingebaut und unsere Reise geht weiter durch die Atacama-Wüste nach Bolivien. In der Nähe von La Paz stellen wir die Motorräder ab und erkunden als Rucksack-Touristen drei Wochen lang den Süden Boliviens. Eine kluge Entscheidung, denn um diese Jahreszeit ist es auf der Hochebene in Bolivien sehr kalt. Nach ein paar Tagen haben wir genug von der Kälte und beschließen das bolivianische Tiefland zu besuchen.
330. Reisetag (Bolivien, 9. August 2008) – Camino de la Muerte
Wir kommen nur im Schritttempo weiter: Am Samstag ist in La Paz Markt! Irgendwann haben wir dieses Chaos aber hinter uns und sausen zur Passhöhe bei La Cumbre. Die umliegenden Berge sind mit frischem Schnee bedeckt. Kaum überraschend, denn wir befinden uns auf 4.700 Meter Seehöhe. Von dort geht es bergab Richtung Regenwald. Wir verpassen dabei den Abzweig zur alten Todesstraße. Kein Wunder: Ohne Wegweiser ist dieser rüde Geröllweg kaum zu finden, obwohl er einst die einzige Straße war, welche das fruchtbare Tiefland mit der Hauptstadt La Paz verband. Doch vor einigen Jahren wurde die neue Straße gebaut und die Todesstraße oder der Camino de la Muerte, wie sie hier genannt wird, benutzen nur noch Touristen und einige Lkw-Fahrer, welche die Maut auf der neuen Straße nicht bezahlen wollen.
Gespenstisch hängt der Nebel an den tropisch bewachsenen Steilhängen. Wir können den Abgrund zu unserer Linken nur erahnen. Langsam geht es voran, die vielen Kreuze, welche die Straße säumen, sind Warnung genug. Dann lichtet sich der Nebel und gibt die Sicht frei. Eng schmiegt sich die Straße an die steilen, fast senkrechten Hänge und folgt einem schmalen Taleinschnitt nach dem anderen. Weit unter uns, im Dickicht der tropischen Vegetation, sehen wir das Wrack eines Lkws. Wir fahren weiter, vorbei an Felswänden, an Wasserfällen und weiteren Kreuzen. Nach 40 Kilometern und 3.000 Höhenmetern wird es flacher und Coroico kommt in Sicht. Doch es sind nochmals 20 Kurvenkilometer, bis wir dort sind. Immer wieder führt die Straße in ein Tal oder überquert eine Senke. Im Dorf finden wir dann aber schnell ein gemütliches Hostal und dann halten wir ein wohlverdientes Bier in Händen. Und das, obwohl morgen Wahlen sind und die Regierung hat für ein nüchternes Abstimmungsverhalten ein landesweites Alkoholverbot verhängt. Wir finden aber eine Kneipe, deren deutscher Besitzer mit den bolivianischen Regierungsbestimmungen nicht vertraut ist. Wir beschließen außerdem, das Gespann hier für einige Zeit zu parken, um mit der BMW in den nächsten Wochen den Urwald zu erkunden. Drei Tage – kurvenreiche, enge Naturstraßen und etliche Lastwagen halten uns auf – benötigen wir schon für die 300 Kilometer von Coroico nach Rurrenabaque. Danach fahren wir in ein Urwald-Dorf und leben dort zehn Tage bei einer Familie und nehmen teil an ihrem Leben mitten in der Wildnis. Hier kommen uns Krokodile, Affen und sogar eine Anaconda aus nächster Nähe vor die Augen. Da wir nicht dieselbe Strecke zurück fahren wollen, organisieren wir ein Boot, das uns flussaufwärts bringt.
Im Rio Beni gibt’s PiranhasEs wird eine spannende Fahrt. Zwei Tage befahren wir den Rio Beni, navigieren über kleine Stromschnellen und passieren etliche Goldgräber-Claims. Die BMW schwankt derweil gefährlich vorne im Bug. Am Abend lagern wir an einer Sandbucht, fischen Piranhas und lauschen den Geräuschen des Urwaldes.
Nach einer abenteuerlichen Zeit im Tiefland sind wir wieder auf dem Altiplano und fahren vorbei am Titicaca See nach Cusco in Peru. Wir besuchen einige der Inka Ruinen: Ollantaytambo, Moray und natürlich Machu Picchu. Auf der Fahrt nach Machu Picchu geschieht es dann: unser erster Unfall. Ein Bus quert in einer Haarnadelkurve die Fahrbahn und streift die Dnepr. Ich kann gerade noch rechtzeitig abspringen. Mir ist nichts geschehen, doch der Zylinderkopf ist beschädigt: Zündkerze und einige Kühlrippen sind abgebrochen. Die Zündkerze ist schnell ersetzt, doch der Schreck hält länger. Von Cusco fahren wir an die Küste und folgen der Panamericana nach Norden.
Die berühmte Pan-Americana im Norden von Peru
413. Reisetag (Peru, 1. November 2008) – keine Spenden für die Polizei
Die Bewohner von Barranca waren froh, als die Pan-Americana aus dem Zentrum auf eine Umfahrung gelegt wurde. Es ist auch kaum vorzustellen, wo früher in dem Gewimmel der Gassen noch Platz für Durchgangsverkehr gewesen sein soll.
Wir können uns dennoch ohne Unfall durch das Chaos manövrieren und sind bald wieder auf der Traumstraße Amerikas. Allerdings spüren wir davon zunächst nicht viel, meist geht’s geradeaus, vorbei an riesigen, bewässerten Anbaugebieten, durch trostlose Ortschaften und durch die Wüste. Unsere treuen, doch nicht sehr geliebten Begleiter sind dabei Lastwagen und Busse. So nähern wir uns zwei Polizisten, die gelangweilt am Straßenrand stehen. Träge winkt der Eine uns auf die Seite. Wir wurden schon öfter kontrolliert, konnten aber immer unbehelligt weiter fahren. Dieses Mal nicht! „Haben sie die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht gesehen?“, fragt mich der Polizist. „Fünfundzwanzig Kilometer pro Stunde ist das Maximum.“ Ich kann das nicht glauben, denn hier gleicht die Panamericana einer Autobahn.
Alles, was rollt, donnert so auch mit mehr als 100 km/h an uns vorbei. Ich will protestieren, doch der Polizist weist mich an, ihm zum Auto zu folgen. Mit einer Langsamkeit, die Arroganz und Wichtigkeit ausstrahlt, zieht er ein kleines Buch hervor, schlägt eine Seite auf und deutet mit dem Finger auf einen Paragrafen. Ich verstehe nicht viel von des Beamten Spanisch, doch den Betrag 300 Soles, kann ich lesen. „Para usted cien dollares – für sie 100,-- Dollar“, meint er mit einem Grinsen. Solch eine Frechheit! Wie durch Zauber verflüchtigen sich meine Spanischkenntnisse und ich stelle mich dumm. Das Tauziehen beginnt. Er ist am längeren Hebel – mein Fahrzeugausweis steckt in seiner Brusttasche! Da kommt mir eine rettende Idee. Irgendwo in meinem Tankrucksack ist ein EU-Formular, das helfen soll, Korruption zu verhindern. Verfasst in Spanisch und Englisch sind Angaben zum Grund der Strafe, Höhe des Bußgeldes und Namen des Polizisten zu machen. Ich zeige ihm das Schreiben und es hat seine Wirkung: „Ah, Aleman. Diez Dollares, por favor – ah, sie sind Deutscher. Zehn Dollar bitte.“ Das geht noch eine Weile hin und her und als er dann endlich einsieht, dass ich nicht bezahlen werde, meint er, ich solle ihm doch ein bisschen Geld für Benzin geben! Als ich ihm zwei Liter Sprit in einer PET-Flasche anbiete, hat er genug. Er reicht mir meinen Ausweis und deutet uns mit einer brüsken Handbewegung an, zu verschwinden. Am Abend bei einem Glas Bier (wer hätte das gedacht?) und einem Teller Ceviche (roher Fisch in Limonensauce – eine peruanische Spezialität) lachen wir ganz herzhaft über diese Episode.
„Lau ca“ Lamas im NationalparkWir folgen der Panamericana weiter nach Norden, besichtigen die „Huaca del Sol y de la Luna“-Pyramiden und durchqueren die öde Sechura Wüste. In Macara, der Grenze zu Ecuador, tauschen wir unsere peruanischen Soles gegen Dollar ein. Wir bleiben in den Anden und folgen der Straße der Vulkane. Doch wir sehen nicht viel von diesen hohen, zum Teil rauchenden Bergen. Meist sind sie in Wolken verhüllt – sehr typisch für das wechselhafte Wetter in Zentral-Ecuador. Die Ausreise aus Ecuador wird zudem zur Geduldsprobe. Vier Stunden warten wir am Zoll, um unseren Pass abstempeln zu lassen. Auf der kolumbianischen Seite geht dann alles rasch. Eine Zollbeamtin, deren Dekolleté mich – nicht meine Frau nebendran – mehr als schwindelig macht, hilft uns die Formulare auszufüllen. Nachdem ich mich von diesem Tiefblick erholt habe, fahren wir durchs südliche Kolumbien. Es geht über hohe Pässe, durch abgrundtiefe Schluchten und vorbei an Kaffeeplantagen. Dabei fürchten wir immer mehr das näher kommende Verkehrschaos Bogotas, diesem Moloch mit seinen 9 Millionen Einwohnern. Doch in dem durchnummerierten und rechtwinklig angelegten Straßennetz ist es einfach zu navigieren und wir finden die Wohnung unserer Freunde problemlos. Während wir ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, beginnen wir unsere Heimreise zu organisieren, buchen Flugtickets, verkaufen das Gespann und regeln den Rücktransport der BMW. Danach machen wir noch Ferien und touren zu zweit auf der BMW entlang der karibischen Küste. Es sind unsere letzten Tage in Südamerika – Ende Februar fliegen wir nach Hause.
Im Dschungel an der Karibik-Küste
508. Reisetag (Kolumbien, 4. Februar 2009) – unter Palmen
Träge, wie unter dem Einfluss der Hitze leidend, dreht sich der Ventilator und bringt etwas Kühlung. Doch als wir unser Zimmer verlassen und ins Freie treten, werden wir gnadenlos von der karibischen Sonne bombardiert. Es ist neun Uhr morgens, die Bar neben unserem Hotel hat ihre ersten Gäste und bietet ihnen nicht nur eiskaltes Bier, sondern auch Vallenato – die Volksmusik der Küste – in voller Lautstärke. Vorsichtig, dem Schatten der Palmen folgend, schlendern wir entlang der Hafenpromenade von Taganga auf der Suche nach einem Restaurant, das nicht nur Fisch und Reis zum Frühstück serviert. Nachdem wir ein fettiges Spiegelei, der einzigen Option außer Fisch und Reis, verschlungen und mit einem guten kolumbianischen Kaffee hinuntergespült haben, gehen wir zum Strand. Unter einer Palme machen wir es uns bequem. Ich vergrabe meine Füße im kühlen Sand und beginne die letzten Zeilen dieser Tagebuchauszüge zu schreiben.
Tolle Straßen zwischen Pasto und Popayan in Kolumbien
Motorradtour Südamerika – Auszüge aus dem Tagebuch einer Langzeitreise – Infos
Seit fast 17 Monaten sind wir am Reisen, waren in Ushuaia, der südlichsten Stadt und in Alta Guajira, dem nördlichsten Punkt von Südamerika. Wir haben uns in den endlosen Weiten Patagoniens gegen den Wind gestemmt, sind die staubigen Straßen im Urwald von Bolivien gefahren, haben kalte Tage auf den hohen Andenpässen ausgestanden und uns im Verkehrschaos lateinamerikanischer Großstädte behauptet. Wir haben viel gelacht, neue Freundschaften geschlossen, Einblicke in das Leben anderer Kulturen bekommen und staunten oft über die große Gastfreundschaft, die wir erfahren haben. Was bleibt sind Erinnerungen. Erinnerungen an eine schöne und intensive Zeit. Und wenn es irgendwie möglich ist, werden wir eines Tages wieder losziehen, um etwas von der großen Freiheit zu kosten.
Allgemeine Infos
In Argentinien sollte man sich auf der trockenen, staubigen und windigen Route 40 zwischen Perito Moreno und Tres Lagos durchschütteln lassen, solange sie noch nicht ganz geteert ist. Von San Juan aus geht es dabei über den 4.700 Meter hohen Pass Agua Negro nach Chile. In Chile - vorbei an Guanakos und Granittürmen - lockt der Torres del Paine Nationalpark. Man sollte auch mit der Fähre vier Tage lang von Puerto Natales durch die unbesiedelten Fjorde Südchiles fahren. In Bolivien - für Abenteuerlustige mit zuverlässigen Motorrädern (!) - ist die Strecke von San Pedro de Atacama in Chile zum Salar de Uyuni zu empfehlen. Der Camino de la Muerte - die Todesstraße von La Paz nach Coroico - ist nur etwas für Leute ohne Höhenangst. Schaukelig wird es dagegen, wenn man das Motorrad in Rurrenabaque auf ein Boot verlädt und flussaufwärts auf dem Rio Beni nach Guanay schippert. In Peru lohnt die Fahrt entlang dem Titicacasee nach Puno. In Ecuador reizt ganz sicher die Straße der Vulkane von Riobamba nach Quito. Wer dann Kolumbien erreicht, der sollte von Pasto nach Popayan fahren, hier geht es entlang schroffer Bergkämme und durch tiefe Schluchten. Sehr eindrucksvoll gestaltet sich auch die Fahrt vom 2.700 Meter hohen Bogota über Bucaramanga an die Küste.
Anreise
Wer viel Zeit hat und sich vom Vorbereitungsstress erholen will, der sollte mit dem Frachtschiff anreisen. Die Grimaldi Linie hat einige RoRo (roll on - roll off) Schiffe die alle 10 Tage von Hamburg nach Buenos Aires fahren. Die Fahrt dauert 30 - 35 Tage und es werden je nach Ladung verschiedene Häfen in Westafrika und Brasilien angelaufen. Das Praktische an der ganzen Sache ist, man muss sich nicht um den ganzen Papierkram beim Einführen kümmern - das erledigt die Crew. Die Schiffe nehmen maximal 12 Passagiere mit und man sollte bis zu 12 Monate vorher buchen. Die Kosten pro Person für eine Doppelkabine inklusive aller Mahlzeiten betragen 1.500,-- Euro. Das Motorrad kostet 350,-- Euro. Wer wenig Zeit hat oder ein drei wöchiges Seeabenteuer nicht auf sich nehmen will dem bleibt nur die Möglichkeit das Motorrad mit dem Flugzeug zu schicken.
Beste Reisezeit
Urwald, Schneeberge, Hochebenen, Küsten - von feuchtheiß über bitterkalt bis wüstenhaft: Motorradfahrer in Südamerika müssen gegen große Temperaturunterschiede von Tag zu Tag und selbst von Sonnen- zu Schattenseiten gewappnet sein! Den tiefen Süden des Kontinents bereist man am besten im Südsommer von Oktober bis April, Patagonien und Feuerland von Dezember bis Februar. Die Inkastaaten (Peru/Bolivien/Ecuador) zeigen sich zwischen Mai und Oktober von der sonnigsten Seite.
Verpflegung
In Patagonien, der Atacama Wüste und den Küstenregionen kann man wild campen. Oft kann man nach Absprache mit den Besitzern auf Farmen zelten. In Argentinien gibt es in fast allen Ortschaften offizielle Zeltplätze. Ansonsten findet man überall ein billiges Hotel oder Hospedaje. Man darf aber keine hohen Ansprüche an Hygiene und Komfort stellen.