2.200 km durch Frankreich in sechs Tagen. Auf Naked Bikes von Triumph, nur mit Jeans und Lederjacke.
Ziemlich kühner Plan? Nicht, wenn das Ziel La Vendée heißt.
Nach Frankreich. An den Atlantik. Mit dem Motorrad. Grundsätzlich betrachtet ist das im Spätsommer eine sehr gute Idee. Beste Wetteraussichten. Kein Gedränge mehr an den Stränden, weil die Ferien fast überall rum sind. Und erfahrungsgemäß freie Straßen, weil die Franzosen wieder in Paris weilen. So gesehen ein ganz famoser Plan, dieser Roadtrip ins La Vendée. Wäre da nicht diese verdammte Pandemie. Es ist Ende August. In einer Woche wollen wir los. Aber der Korridor mit geringen Infektionszahlen, durch den man Frankreich noch problemlos passieren kann, wird immer schmaler. La France droht zu dem zu werden, was es wenige Wochen später sein wird: ein einziges Risikogebiet. Mit – für damalige Verhältnisse – grotesk hohen Corona-Zahlen. Flächendeckend tief(st) rot eingefärbt laut RKI-Index. Zu den wenigen weißen Flecken mit nahezu verschwindend geringen Fallzahlen gehört lange Zeit unser Ziel: La Vendée. Die kleine begabte Schwester der Bretagne in der klangvollen Region Pays de la Loire.
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Wie das berühmte gallische Dorf trotzt der Namensgeber der härtesten Segelregatta der Neuzeit – die Solo-Weltumsegelung Vendée Globe – dem Covid-Belagerungsring der Nachbar-Départements. Tagelang. Also satteln wir auf wie echte Jungs: Jeans, Lederjacke, Bell-Helm, Naked Bike. Dazu noch ein „Rally Duffel“ von Malle London und Molle-Zubehörtaschen von Heimplanet. Wir starten in St. Ingbert. Uhrenvergleich: kurz vor zehn. Abends. Brrr. Es ist kälter als gedacht.
Und längst finstere Spätsommernacht. Unser Plan, mindestens die Hälfte der rund 860 Kilometer bis Les Epesses, unserem ersten Etappenziel, am Stück durchzuballern, können wir mal getrost knicken. Zwei, drei Stunden trauen wir uns noch zu nach einem ziemlich langen Tag. So landen wir in Saint-Dizier. Ein Städtchen, an dem uns nur das günstig gelegene Hotel Brit interessiert. Ein Dreibettzimmer mit zwei Schlafräumen kostet keine 100 Euro. Die Rezeption ist durchgehend besetzt und verkauft Getränke zum mit aufs Chambre nehmen. Passt.
Tag 1: Saint-Dizier – Les Epesses
Morgens um neun reiten wir wieder vom Hof. Bei bestem Wetter. Auf uns warten rund 600 Kilometer. Weitgehend über Land; Route Nationale und gern kleiner. Die teuren Autobahnen lassen wir liegen, wo immer es geht. Gilt es Zeit rauszuholen, subventionieren wir Frankreichs Highways großzügig per Maut. Um 18 Uhr müssen wir im französischen Nationalheiligtum für historische Spektakel sein: dem Freizeit- und Vergnügungspark Puy du Fou. Kommen wir deutlich später an, beginnt die große Abendshow ohne uns (und ohne Abendessen). Nur das nicht. Der Weg nach Les Epesses lehrt uns: Nationalstraßen wie die N7 und N4 nutzt der Franzose als Freilichtmuseum und Testgelände für Generationen von Radargerätschaften. Es blitzt von vorn und von hinten, aus Anhängern und hinter Hecken, auf Hügeln und unterhalb von Leuchtreklamen. Wir zählen mindestens siebzehn Blitzer auf achtzig Kilometern. Irrwitzig. Nein, geradezu irre. Als wollten sich Landräte und Gemeindevertreter gegenseitig übertrumpfen in der Blitzerdichte ihrer Beritte. Wir schlagen drei Kreuze, dass wir hier nicht nachts vorbeigerauscht sind. Das hätte – bei allem Verständnis für die französische Straßenverkehrsordnung – ein teures Vergnügen werden können. Das Puy du Fou ist ein Publikumsmagnet. Als wir Anfang September dort aufschlagen, haben Park und Hotels seit gut zehn Wochen wieder teilgeöffnet. „Normalerweise startet die Saison im April“, erzählt uns Océane Vrigneau, die bezaubernde Pressedame des Puy du Fou. Aber nun,
der Lockdown. Bis zu 2,3 Millionen Besucher kommen pro Jahr. „Eigentlich“, seufzt Océane. TripAdvisor hat Puy du Fou zur Nummer eins der Freizeitparks in Europa gekürt und zur Nummer drei weltweit. Die Hauptshow findet abends auf einer 23 Hektar (!) großen Außenbühne statt. Laut eigenen Angaben ist es „die größte der Welt“. Schreibt Wikipedia auch. Wer einmal da war, glaubt es gern. 142 Wasserfontänen, eine bombastische Licht- und Lasershow, ein durchdringender Sound, bis zu 2.400 (!) Akteure, viele davon ehrenamtliche Laiendarsteller aus der Umgebung – das „La Cinéscénie“ bietet in der Tat ein unfassbares „Spectacle“, Kanonendonner und Säbelrasseln inklusive. Knapp 15.000 Zuschauer passen auf die frontal zur Show ausgerichtete Tribüne. In restriktionsfreien Zeiten. Als wir da sind, werden es zu unserem baffen Erstaunen immerhin gut 5.000. Abstand? Blanke Theorie. Gut 100 Minuten dauert die Mega-Aufführung. Heute geht es um einen kleinen Jungen, der seine Ahnen trifft und durch die Jahrhunderte schweift. Alles auf Französisch. Auf Wunsch übersetzt eine App simultan in andere Sprachen. Vive la France.
Fünf Themen-Hotels sind über das riesige Gelände verteilt. Wir schlafen im
„Le Camp du Drap d’Or“, eine Art Zeltstadt mit hundert Zimmern. Die Außenwände sind aus einem festen, güldenen Stoff, dem das farbenfrohe Lager seinen Namen verdankt. Drinnen ist in der Regel Platz für vier Personen. Die Toilette sieht aus wie ein hölzerner Thron. Im eigentlichen Park gibt es weitere Shows und zahlreiche „Durchlauferlebnisse“. So nennen sie hier die Historienwelten. „Les Amoureux du Verdun“ (übersetzt: Die Verliebten von Verdun) beispielsweise schildert das Leben in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Es rumst und qualmt und lärmt im dämmerigen Schlacht-Schacht. Von allen Seiten prasseln Eindrücke und Geräusche auf die Besucher nieder. Zwischen lebensgroßen Puppen agieren echte Darsteller. Dreidimensionales Multitasking. Höchst sehenswert. Und absolut gruselig in Zeiten von Corona: Wie in den Tokioter U-Bahnstationen drängen die Besucher durchs Labyrinth der Stollen.
Tag 2: Les Epesses – Saint-Sigismond
Uns reicht es, wir ziehen weiter. „Le Havre de Julie“ erwartet uns. Mit einem unschlagbaren Konzept namens „Table et chambres d’hôtes“ – frei übersetzt: Tisch und Gästezimmer. Schlemmen und schlafen bei Privatpersonen (www.lehavredejulie.com). Gastgeber sind die smarten Mittfünfziger Guy und Julie. Er ehemaliger Spitzenkoch, sie ehemaliges Model. Vor ein paar Jahren haben die beiden in Paris in den Sack gehauen. Jetzt beköstigt Guy nicht mehr von früh bis spät ein paar hundert Gäste am Tag in teuren Hotels, sondern betüddelt maximal eine Handvoll Übernachtungsgäste in selbst gestalteten Gemächern, fünf an der Zahl. „Das entspricht sehr viel mehr meiner Vorstellung von Gastfreundschaft“, sagt der durchtrainierte Cuisinier. Beim Ankommen und beim Abschied stehen Guy und Julie in der Tür wie „Maman et Papa“, die du auf dem Land besuchst. Sie kuschelig mit Katze auf dem Arm, er stählern wie ein Triathlet. „Guy ist immer viel gesurft“, strahlt Julie verliebt wie am ersten Tag. Kurzer Rundgang durchs Haus. Die meisten Gästezimmer bewohnen sonst ihre Kinder aus jeweils erster Ehe. Hohe Decken, viel Kunst an den Wänden, vom langen Esszimmertisch aus schaut man in den großen Garten mit Bambus und Feigenbaum. Guy kocht aus den „figues“ eine grandiose Marmelade und ein famoses Chutney. Beides wird es morgen zum Frühstück geben. Jetzt ist erst mal Abendessen angesagt. Gedeckt ist draußen auf dem kiesbedeckten Hof. „Nehmt Platz“, bittet Guy und entschwindet in die Küche, beschürzt und sichtlich in seinem Metier.
Die Speisekarte haut uns um: Wir starten mit einem Carpaccio vom Esturgeon (Stör) mit Wasabi-Zitronen-Sauce, gefolgt von einem Filet Mignon du Porc mit Zucchini, Maronenstampf und einer ganz wunderbaren Sauce mit Pineau des Charentes, einem Apéritif aus Weißwein und Cognac. „Selbstgebrannt“, raunt Guy verschwörerisch, „macht ein Bekannter von mir.“ Leider in sehr begrenzter Menge. Köstliches Gesöff. Kurz überlegen wir, die Flasche zu leeren, als Guy wieder in die Küche sprintet und Julie hinterher. Aber nein, Contenance. Schließlich kommt gleich noch der Côtes du Rhône aus Monsieurs Keller auf den Tisch. Und zum Dessert eine „Tarte fine aux figues“ plus Espresso.
Tag 3: Saint-Sigismond – La Tranche-sur-Mer
Boah, habe ich gut geschlafen. Frühstück mit Croissants und selbstgemachtem Brot, dazu frisch gepresster O-Saft. Die Sonne lacht, im Hof warten zwei Fahrräder auf uns. Wir strampeln durchs „Marais Poitevin“, vorbei an unzähligen Kanälen, malerischen Häuschen und Gehöften im Dornröschenschlaf. Frankreich von seiner schönsten Seite. Hach, hier könnten wir gut ein paar Tage länger bleiben. Aber weiter geht es, die Küste ruft. Winke-Winke Guy, Bisous Julie – wir sehen uns garantiert wieder! Runter vom Fahrrad, rauf auf unser Triumph-Duo Street Twin und Speed Twin. Über fein gewundene Sträßchen führt uns die Calimoto-App ins nahegelegene Mallièvre. Das verschlafene Kopfsteinpflasternest klebt an einer sehenswerten Brücke. Kleines Päuschen im „Salon de Thé“ von Anne und Alex Govaert. Über ihrem Salon vermieten die beiden seit Kurzem auch Gästezimmer (www.maisonaufildutemps.com).
Im kleinen Hinterhof des romantischen Geheimtipps kann man wunderbar entschleunigen. Auf der Karte locken belgische Biere. Mais non, wir bleiben standhaft. Nach einem Wässerchen samt vorzüglichem Espresso geht es weiter. Im romantischen Maillezais, am Fuße der Burg, kapern wir eine Bark, die Gondel der Vendée, einst das Universal-Transportmittel für Holz, Zinn, Lebensmittel und Beerdigungen.
Am Heck thront Baptiste, ein geschulter „Barcadère“ (Bark-Chauffeur), was hier ein begehrter Studentenjob ist. Mit einem langen Paddel drückt er unser Kanalgefährt vom kalkhaltigen Boden ab und bringt die Sedimente in Wallung. An einigen Stellen steigt Methan auf. Die Gasblasen zündet er bei einem kurzen Stopp effektvoll an. Spooky Gegend, diese Kanäle. „Früher war hier das Meer“, erzählt unser Bootsmann. Die Myriaden von Kanälen im Marais sind alle von Menschenhand geschaffen, um die Gegend trockenzulegen und urbar zu machen. Spezielle Bäume – „les frâmes“, erklärt Baptiste – sorgen mit ihrem breiten, aufgefächerten Wurzelwerk dafür, dass die Ränder der Kanäle nicht alle naslang nachgeben. „Dreiundvierzig verschiedene Fischsorten leben hier“, weiß der junge Mann. Im trüben Wasser sind sie nicht zu sehen. Im Restaurant „L’Echauguette“, direkt neben der Anlegestelle „Embarcadère de l’Abbaye de Maillezais“ gelegen, landen sie dennoch auf den Tellern. Siebzig Kilometer weiter westlich checken wir im Hôtel Les Dunes ein. Mit traumhaftem Blick aufs Meer. Wir sind am Atlantik. Hurra! Die Fahrt hierhin durch die menschenleere Vendée ist großes Kino mit unseren Bonnies. 97 PS leistet die Triumph Bonnville Speed Twin mit ihrem präzisen Sechsganggetriebe, 65 Pferdchen bringen die fünf Gänge der Street Twin in Wallung. Unschlagbar: der Mix aus dem Twin-Sound der beiden Triumph-Bestseller und der Ommmmh-mäßigen Ruhe der Landschaft. Ein bisschen Bretagne, ein bisschen Provence, die Straßen gehören uns. In Fontenay-le-Comte gönnen wir uns ein kleines Päuschen: Chillen vorm Museum, welke Blätter aufscheuchen im Schlosspark.
Dann wird es Zeit für den ersten Troussepinettes, auch bekannt als „Apéro de Vendée“, ein Schlehenlikör. Die Chefin des Hôtel Les Dunes kredenzt ihn zur Begrüßung. Beschwingt trödeln wir über den Strand zum „L’Equinoxe“, ein In-Restaurant direkt am Meer. Menü mit Käse und Dessert 45 Euro, Flaschenweine ab 18 Euro. Gekauft. Im Eingang glotzen uns diverse Hummer und Doraden skeptisch an aus ihrem Endlager-Bassin. Tja, Freunde, eben noch da draußen im 19 Grad kühlen Nass, gleich auf unserem Teller. Désolé (sorry).
Tag 4: La Tranche-sur-Mer – Saint-Gilles-Croix-de-Vie
Wassersport ist ein großes Thema im La Vendée. Segeln, Windsurfen, Kiten, Wasserski, Kayak fahren. Letzteres machen wir. Gleich im Frühtau zu Meere. Last chance, im wahrsten Sinne. Direkt nach unserem Paddeltörn motten die Surfer-Boys ihre Strandcontainer landeinwärts ein. Alles muss weg aus der Uferzone, lautet die Devise. Die breiten Sandstrände sind auf gesamter Küstenlänge Naturschutzgebiet. Nichts darf hier stehen in der Nebensaison, bedeutet: spätestens von Oktober bis April. Mittags parken wir unsere Twins im Port de la Guittière. „L’Huîtrier Pie“ ist unser Ziel, eine der lokalen Austernfarmen. Oder eher: die lokale Austernfarm (Telefon +33-251-906192). Chef „Fredoche“ hat sein Leben den Muscheltieren verschrieben. Seit fünf Jahren hat er hier seinen eigenen Betrieb mit charmantem Restaurant. Ein Kleinod. Originell wie der Chef selbst. Fredoche ist eine Mischung aus Louis de Funès, Jean Pütz und Jean-Paul Belmondo. Quirlig, stets in Bewegung, noch schneller brabbelnd als Brad Pitt in „Snatch“. Er verpasst uns einen zwanzigminütigen Crashkurs über die Austernzucht, der an der Uni vermutlich über zwei Semester laufen würde. Wir lernen (frei nach Fredoche): Jede Auster filtert täglich 18 bis 22 Liter Wasser. Nach circa 1,5 Jahren bildet sie ihr Geschlecht aus. Rund zwölf Stunden pro Tag ist sie unter Wasser und ein Kind der Gezeiten. Sie wächst in Säcken heran, die mindestens zweimal im Jahr gedreht werden müssen, sonst klumpen die Austern zusammen. Liegt sie schräg in ihrer Austernbank, öffnet sie sich kurz, um zu peilen, ob sie an Land ist oder im Wasser.
„Austern sind wie eine Frau“, doziert Fredoche augenzwinkernd. „Sie sind neugierig. Sie müssen gut liegen. Und es gibt sie in allen Größen.“ Faustregel: je älter, desto größer, desto teurer. Von den lütten „4er-Austern“ kosten bei ihm sechs Stück 6,50 Euro, die großen „1er“ gibt es für drei Euro mehr. Zehn Crevetten oder sechs Meeresschnecken dazu, macht noch einmal fünf Euro on top. Dazu ein Fläschchen fruchtiger Muscadet für 14 Euro – und, hach, das Leben ist dein Freund. Und das Moped bleibt stehen.
Am Tag drauf wartet die nächste lokale Spezialität auf uns: Sardinen in der Büchse. Klingt schrecklich, schmeckt aber köstlich. Wie bei der Austernzucht gilt fürs Lagern der kunstvoll bemalten Dosen: regelmäßig wenden. „Sonst setzt sich das Öl auf einer Seite ab und die andere trocknet aus“, weiht uns Sophie Buissez ein. Sie arbeitet im Sardinen-Delikatess-Shop „La Perle des Dieux“ (www.laperledesdieux.com). In einem exponierten Schränkchen, hinter einer verschlossenen Glastür, posieren die Jahrgangsdosen. Bis zu 30 Euro kosten die letzten Büchsen ihrer Art, beispielsweise von 2004. Die 2018er-Dosen gibt es ab circa sieben Euro, los geht es mit frischer Ware bei 3,60 Euro. Aber nix überstürzen: „Immer ein, zwei Jahre lang lagern“, rät Sophie. „Das macht sie noch leckerer.“
Tag 5: Saint-Gilles-Croix-de-Vie – Noirmoutier
Zeit für den nächsten und letzten Ortswechsel: Kurs Noirmoutier. Die Halbinsel ist im September ein Rentnerparadies, scheint es. Wohnmobil reiht sich an Caravan, das macht die Fahrt über die große Brücke, die das Eiland mit dem Festland verbindet, etwas mühsam. Zurück sind wir schlauer, weil pünktlicher. Die „Passage du Gois“ führt mitten durchs Meer. Im Rhythmus der Gezeiten ist sie täglich für rund zwei Stunden geöffnet. Und echt ein Erlebnis. Ein Rest Salzwasser steht auf der dammartigen Rumpelpiste, die Bikes sind nach der Überfahrt komplett eingesaut. Egal, der nächste Hochdruckreiniger kommt bestimmt.
Entlang des geteilten Meeres parken Hunderte von Autos. Die ausgestiegenen Passagiere stehen gebückt im Watt und sammeln Krebse und jegliches Meeresgetier, das nicht rechtzeitig mit der Flut entfleucht ist. Alle paar Dutzend Meter ragen verrostete Rettungstürme in die Höhe. Auf die kann sich flüchten, wer zu lange mit dem Buddeln beschäftigt war – und dem daher bald das Wasser bis zum Halse steht. Von seinem Fahrzeug darf sich derjenige bei der Gelegenheit schon mal verabschieden: Salzwasser kennt bekanntlich keine Gnade mit Blech und Polsterstoff. Dieses Risiko umgeht natürlich, wer die Brücke nutzt. Die funktioniert im 24/7-Modus und hat auch was, so nicht gerade Stoßzeit ist. Unser Ziel ist das hippe Hotel La Chaize in der wohlklingenden Avenue de la Victoire (www.hotel-noirmoutier.com). Zehn Minuten auf unseren Triumph-Maschinen davon entfernt, erwartet uns Marie Bruley vom örtlichen Office de Tourisme. Wir hüpfen in ihren Kompaktwagen und lernen „die Insel unter dem Meeresspiegel“ kennen. Ein Großteil der Inselfläche liegt faktisch tatsächlich unter Meeresniveau. Der Frühkartoffel scheint das zu gefallen: „Bereits Ende März sprießen hier die ersten Kartoffeln Frankreichs“, frohlockt Marie. Ohne Schale, eher fruchtig, eine lokale Spezialität.
Rund 10.000 Einwohner zählt die 48 Quadratkilometer große Halbinsel offiziell, im Sommer bevölkern sie ruckzuck 100.000 Menschen. Viele Familien haben hier ihren Sommersitz, erfahren wir. Auch Filmcrews kämen gern, weiß Marie, „wegen der schönen Kulisse“. Unter anderem wurde hier „César und Rosalie“ (1972) gedreht, eine französische Romanze mit Romy Schneider und Yves Montand. Die reich verzierten Altbauvillen und der Plage des Dames mit seinen bunten Holzkabinen dienten als willkommene Statisten. Von April bis September fahren alle Besucher der Insel kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das macht es uns einfach, die Hotspots abzuklappern. Der Verkehr ist übersichtlich, die Straßen verströmen den Blues des Spätsommers. Wir besuchen Cathy Guerin. Mit strengem Blick mustert sie uns. Zweimal täglich empfängt sie im Juli und August und manchmal auch im September Besucher auf ihrer Salzplantage. Noirmoutier ist eine Hochburg für „Fleur de Sel“. Nur ein Prozent der gesamten Salzernte wird zu dieser Spezialität, die ausdrücklich nur für den Einsatz auf dem Teller gedacht ist – „und niemals nie nicht zum Kochen“, schärft uns Cathy mit der Güte einer Domina ein. Ansonsten, daran lässt ihr Blick keinen Zweifel: Kopf ab!
„Wind, Sonne, Hitze – das sind die Zutaten des Fleur de Sel“, predigt Cathy. „Fehlt eins davon, gibt es kein Fleur de Sel.“ Basta. Das war schon immer so. Ihre Großmutter, ihre Mutter, sie, ihre Töchter – wer auch immer dieser Familie entstammt, macht Salz. Februar, März, April sind die Monate der „Nettoyage“, der Reinigung des Salzes. Algen, Dreck, Viecher: „All das muss weg“, sagt Hohepriesterin Cathy, die in ihrer Liebe und Hingabe zum Salz durchaus das Niveau von Austern-Papst Fredoche erreicht. Im Mai beginnt dann die eigentliche Versalzung, lehrt sie uns. Und erklärt unumstößlich: „Der Regen ist unser Feind.“ Kommt zu viel von oben, kann unten kein vernünftiges Salz entstehen – „und schon gar kein Fleur de Sel“. In richtig guten Jahren recht sie drei Tonnen des kostbaren Meersalzes zusammen. Einhundert Gramm kosten mindestens drei Euro. Lebensart und Gaumenfreude haben halt ihren Preis. Abends beim Abschlussessen im Restaurant Le Transat im Hafen von Noirmoutier-Stadt lernen wir: Der Westfranzose versteht unter „Bruschetta“ nicht etwa drei bis vier zarte Stückchen Baguette, sondern zwei fingerdicke Scheiben Weißbrot, jede von der Größe eines ausgewachsenen Wiener Schnitzels und dazu eine XXXL-Portion Pommes. Das soll uns als Preload-Wegzehrung für den kommenden Tag wohl reichen. Die Hauptspeise storniere ich – bloß nicht zu viel Ballast. Morgen früh geht es zurück. 1.050 Kilometer. Fester Entschluss: Dieses Mal fahren wir durch.
Motorradtour La Vendée – Infos
2.200 km durch Frankreich in sechs Tagen. Auf Naked Bikes von Triumph, nur mit Jeans und Lederjacke. Ziemlich kühner Plan? Nicht, wenn das Ziel La Vendée heißt. Die kleine Schwester der Bretagne ist eine echte Perle für Motorradtouren. Sauschön. Wenig los. Und am Ende tost vor dir das Meer.
Allgemeine Infos
Das französische Département Vendée liegt in Westfrankreich zwischen den Städten Nantes und La Rochelle. Westlich erstreckt es sich entlang des Atlantiks. 250 Kilometer geschützte Küste, davon 140 Kilometer feiner Sandstrand, machen das nach dem Fluss Vendée benannte Département in der Region Pays de la Loire zum idealen Urlaubsspot. Les Sables-d’Olonne, größter der insgesamt 18 Badeorte des Vendée, ist Start und Ziel der berühmten Weltumsegelung Vendée Globe. 14 Jachthäfen sprechen eine klare Sprache: Wassersport wird hier großgeschrieben. Rund 1.800 Radwegkilometer führen durchs Hinterland. Jährlich kommen rund fünf Millionen Besucher, gut 85 Prozent davon sind Franzosen. Bedeutet: Wer französisch sprechen kann, ist klar im Vorteil.
Anreise
Von Deutschland (Saarbrücken) aus zum Beispiel über Metz, Troyes, Orléans, Tours nach Les Epesses. Alternativ von Norden aus: über Luxemburg, Paris, Le Mans, Angers. Auf den Autobahnen in Frankreich gilt ein generelles Tempolimit von 130 km/h bzw. 110 km/h bei Regen. Auf den Landstraßen dürfen Pkw und Motorräder 80 oder 90 km/h schnell fahren (je nach Region). Innerorts gilt wie bei uns Tempo 50, falls nicht anders ausgeschildert.
Beste Reisezeit
Das französische Département Vendée liegt in Westfrankreich zwischen den Städten Nantes und La Rochelle. Westlich erstreckt es sich entlang des Atlantiks. 250 Kilometer geschützte Küste, davon 140 Kilometer feiner Sandstrand, machen das nach dem Fluss Vendée benannte Département in der Region Pays de la Loire zum idealen Urlaubsspot. Les Sables-d’Olonne, größter der insgesamt 18 Badeorte des Vendée, ist Start und Ziel der berühmten Weltumsegelung Vendée Globe. 14 Jachthäfen sprechen eine klare Sprache: Wassersport wird hier großgeschrieben. Rund 1.800 Radwegkilometer führen durchs Hinterland. Jährlich kommen rund fünf Millionen Besucher, gut 85 Prozent davon sind Franzosen. Bedeutet: Wer französisch sprechen kann, ist klar im Vorteil.
Verpflegung
Essen in Frankreich – muss man nicht viel zu sagen, oder? Sie können es einfach, die Franzosen. In der Vendée stehen Fisch (Seezunge, Kalmar, Rotbarsch) und Meeresfrüchte (Austern, Krebse) naturgemäß ganz oben auf der Empfehlungsliste. Die Preise sind oft moderat im Vergleich zu französischen Restaurants in Deutschland. Es gibt sieben Sterneköche, bei denen man allerdings oft monatelang im Voraus reservieren muss – und etwas Luft im Dispo benötigt.
Für die große Fahrt und kleine Abstecher. Die MARCO POLO Länderkarten bestechen durch eine leicht lesbare Kartografie, in der durchgängig landschaftlich schöne Strecken und Orte markiert sind. Schon in der, im Kartendeckel befindlichen, ausklappbaren Übersichtskarte sind die schönsten Orte mit "Marco Polo Highlight-Sternen", sowie gelbenmehr oder grünen Markierungen unterlegt, um unterwegs auch wirklich nichts zu verpassen. Die wichtigsten Ballungsraumkarten und Citypläne in den Karten sorgen zusammen mit dem praktischen Zoom-System für die beste Orientierung auch in den Städten
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Reisen: Pays de la Loire: La Vendée; Engemehr Flusstäler in Schwaben: Lauter-, Lachert- und Donautal; Großglockner: Der höchste Pass Österreichs
Das „Massif Central“, so benannt wegen seiner zentralen Lage in der Mitte Frankreichs, ist Ziel dieser faszinierenden Motorradreise. Für Liebhaber atemberaubender Landschaften und...