In der Lausitz ist es noch recht frisch an diesem Morgen, doch wir wollen zeitig aufbrechen. Unsere geplante Tour ein ganz schöner Ritt wird. Deshalb fällt auch das Frühstück kürzer aus als gewohnt.
Das Innenfutter lassen wir lieber in unseren Anzügen und auch die etwas dickeren Handschuhe kommen zum Einsatz. Noch weiß das Wetter nicht so recht, wie es werden soll. Der Plan für unsere Tour wurde am Vorabend ausgearbeitet. Zuerst rollen wir in Richtung Polen, um dann im Dreiländereck die deutsch-polnische und anschließend die tschechische Grenze zu überqueren.
Erstes Zwischenziel – das Isergebirge. Der Aufenthalt dort soll nur sehr kurz ausfallen, denn das Riesengebirge lockt bereits und seinem Ruf folgen wir nur zu gern. Weiter geht es in Richtung Harrachov und zur Spindlermühle, um danach noch einen Blick zur Schneekoppe zu erhaschen. Je nachdem, wie flott wir unterwegs sind, wollen wir den Rückweg über Jablonec und das Zittauer Gebirge nehmen. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Allerdings ahnen wir noch nichts von unserem „Glück“. Also machen wir uns gut gelaunt auf den Weg durch die gerade aus dem Winter erwachende Oberlausitz. Die Wiesen trennen sich gerade vom ollen Wintergrau und färben sich langsam wieder grün. Vereinzelt kann man auch schon etwas Farbe an Bäumen und Sträuchern erkennen.
Für Fotos ist die spärliche Vegetation nicht sonderlich schön, aber es juckt uns mächtig in den Fingern, wollen wir doch endlich wieder Motorradfahren! Über Cunewalde und Schönbach südlich von Löbau führt die Straße in Richtung Herrnhut. Glücklicherweise herrscht wenig Verkehr und gelegentlich lugt die Sonne zwischen einzelnen Wolkenfeldern hervor. So genießen wir die Silhouette der romantischen Oberlausitzer Berghügel. Bevor wir scharf nach links abbiegen, erhaschen wir noch einen Blick auf das polnische Kraftwerk mit dem schönen Namen PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A., Oddział Elektrownia Turów.
Ja genau! Nachdem wir das geklärt haben – ich gebe zu, dass ich selber erst einmal nachschlagen musste – geht es zügig weiter, um kurz vorm Berzdorfer See auf die andere Seite der Grenze zu wechseln. Schon nach wenigen Kilometern befinden wir uns in einem dünn besiedelten Landstrich. Brachliegende Felder und nur alle paar Kilometer ein einsames Bauerngehöft – das wars.
Erstaunlich, was für eine Wirkung diese Gegend auf mich hat. Man kommt sich nicht mehr vor, als wäre man inmitten Europas, sondern eher wie in der Steppe Russlands. Der zweite „Grenzübertritt“ verläuft unspektakulär und hätte Frankie nicht angehalten, wären wir völlig achtlos von einem Land ins nächste gefahren.
Nur zwei Grenzsteine am Rande der Schotterpiste weisen die Staatsgrenze zur Tschechischen Republik aus. Unser nächstes Zwischenziel: Friedland in Böhmen. Dort wird uns die Weiterfahrt von einigen leuchtenden Hinweisschildern verweigert und wir sind zum Abbiegen gezwungen. Also schwenken wir nach Osten und suchen uns einen anderen Weg nach Hejnice. Glücklicherweise meint es Petrus gut mit uns und die wärmende Sonne kommt heraus.
Einige Kilometer später sitzen wir in dem katholischen Wallfahrtsort vor der Kirche „Maria Heimsuchung“, 1722–1729 im Stil des Barock erbaut, und lassen uns einen Kaffee schmecken.
Die Victory zieht dabei einige neugierige Blicke auf sich und das fachkundige Publikum weiß von alten Jawas und BMWs der Nachkriegszeit zu berichten. Ein nettes Völkchen wohnt hier, auch wenn sich die Verständigung etwas holprig gestaltet. Wir kommen auf unsere weitere Tour zu sprechen und erfahren dabei nichts Gutes. Die gesperrte Straße, die uns zum Umweg zwang, soll nicht die einzige bleiben. Die erhoffte Überquerung des Isergebirges ist nicht möglich. Der Grund: Schnee. Zwei, drei Tage vor unserer Ankunft hat es einen heftigen Wintereinbruch in der Region gegeben, mit Neuschneemengen von einem Meter und mehr. Da das Isergebirge ein Naturschutzgebiet ist und somit auch von Räumfahrzeugen „verschont“ bleibt, versichern uns die Einheimischen, dass eine Passage unmöglich sei. Selbst wenn wir es wagen wollten – das Risiko wäre einfach zu groß. Unsere Enttäuschung ist es auch. Die Tour abzubrechen, kommt trotzdem nicht infrage, da sind wir uns einig.
Wir müssen also eine Alternative finden, schließlich sind wir nicht hierhergekommen, um schon nach wenigen Kilometern umzukehren. Ein Blick auf die Karte hilft nicht wirklich weiter, also beschließen wir, einfach „draufloszufahren“. Möglicherweise wird die Alternativroute ja ganz nett. Und vielleicht gelangen wir über ein paar „Schleichwege“ doch noch zum Ziel oder bekommen wenigstens ein paar Bergstrecken unter die Räder. Doch nach wenigen Kilometern stehen wir bereits vor der nächsten Sperrung und ein paar junge Leute die gerade aus dem Wintersportgebiet rund um Harrachov kommen, vesichern uns, dass wir uns den Weg sparen können, wenn wir nicht gerade ein Snowmobil griffbereit hätten.
Also fahren wir unsere Nebenroute weiter. Einige Kurven später öffnet sich eine grandiose Aussicht auf die schneebedeckten Gipfel des Riesengebirges, doch bedauerlicherweise finden wir keinen Platz für einen Fotostopp. In der Hoffnung auf eine neuerliche Chance, den hochalpinen Charakter der weit über 1000 Meter hohen Berge auf unsere Speicherkarten zu bannen, fahren wir weiter. Unsere Hoffnung erfüllt sich leider nicht. Die nach den Alpen und den Karpaten dritthöchste Bergkette Mitteleuropas entzieht sich erfolgreich unseren neugierigen Blicken. Selbst die Schneekoppe mit ihrer Höhe von über 1600 Metern zeigt sich an diesem Tag nicht mehr. Dafür werden die Straßen auf unserer Suche nach einer alternativen Route immer abenteuerlicher. Von löchrig, holprig, über losen Untergrund und Schotter, bis hin zu ganz schmalen Straßen ist alles dabei.
Mit der dicken Victory unterm Sitzfleisch gleichen einige der befahrenen Streckenabschnitte eher einem Hindernisparcours mit körperlicher Ertüchtigung als einer entspannten Motorradausfahrt. Stellenweise sind die Sträßchen so schmal, dass mir schleierhaft ist, wie hier überhaupt Autos entlangfahren können. Die Wege führen weiter bergan. Auf einigen Höhenzügen glitzern Schneereste am Wegesrand.
Überall warten Wintersportanlagen auf die nächste Saison – so ganz ohne die weiße Pracht sehen sie ziemlich trostlos aus. Andererseits können wir uns über einen Mangel an zackigen Kurven nicht beklagen. Und unser eleganter Bogen um Liberec herum bietet viel Abwechslung. Sehenswert stehen die alten, verfallenen Herrenhäuser, Kirchen und Villen am Wegesrand, die von einer reichen, aber längst vergangenen Zeit zeugen.
Wieder geht es quer durch lichte Laubwälder. Lange wird es nicht mehr dauern, bis der Frühling endgültig die Oberhand gewinnt und aus den dürren Ästen die ersten Blätter sprießen. Dann wird es hier sicherlich noch viel schöner aussehen. Unsere Tour führt über enge Wege, bis plötzlich die Straße vor uns aufhört. Zumindest auf den ersten Blick gibt es kein Weiterkommen. Einige Meter weiter folgt dann die Aufklärung. Ein scharfer Rechtsknick, direkt durch einen gemauerten Torbogen gesäumt von zwei Türmchen, gibt den Weg vor.
Der Eindruck, auf einem Privatgelände unterwegs zu sein, will nicht aus meinem Kopf verschwinden. Es stellt sich jedoch heraus, dass die kleine, aber durchaus öffentliche Umgehungsstraße, durch den großflächigen Park der Oranžerie Sychrov führt, der zum Schloss Sychrov gehört. Wer etwas Zeit mitbringt, kann sich in der gepflegten Anlage umschauen. Ein kleines Café lädt zum Verweilen ein.
Wiederum wird unsere kleine Gruppe, insbesondere die Victory Cross Country Tour, zum Hingucker für einige Schaulustige. Allerdings verstehen wir dieses Mal jedes Wort. Es handelt sich um deutsche Touristen, die hier ihr Urlaubsparadies gefunden haben. Nach einem kurzen Plausch mahnt die Uhr zur Weiterfahrt. Auf unserer schnelleren Alternativroute wollen wir die gewonnene Zeit nutzen, um der berühmten Bikerhöhle Pekelné doly einen Besuch abzustatten. Sie gehört mittlerweile zum Pflichtprogramm unserer Touren in der Region und ist als Motorradtreff der besonderen Art weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Auf der Anfahrt genießen wir einige wunderbare Kurvenkombinationen und satte Schräglagen in der hügeligen Landschaft.
Vorbei am 1012 Meter hohen Jeschken, einem weit bekannten Ausflugsziel mit futuristischer Bergbaude, führt unser Weg in Richtung Lausitzer Gebirge. Nach etlichen Kurven und Kilometern erreichen wir unser letztes Ziel: die berühmte Bikerhöhle.
Die Temperaturen sind mittlerweile auf sommerliche Werte geklettert und unser Flüssigkeitshaushalt will ausgeglichen werden. Die Pause in den kühlen Felsen, die leckeren Windbeutel und ein, zwei Getränke machen uns wieder zu normalen Menschen. Die Entstehung der Höhle kann nicht exakt zurückdatiert werden. Eines steht aber fest: die Glashandwerker benötigten für ihre Zunft Unmengen an Sand. Dieser wurde ursprünglich in der Höhle abgebaut. Im Zweiten Weltkrieg hat man das Labyrinth weiter vergrößert und zur Munitionsherstellung genutzt. Heute betreibt der Motorradclub „Pekelné doly“ eine unterirdische Motorradkneipe, die mit der eigenen Maschine befahren werden kann. Idealerweise nimmt man dann auch nicht auf irgendwelchen Barhockern Platz, sondern genießt sein Getränk direkt am Tresen auf der eigenen Schüssel! Saucool. Nach einem kleinen Schnack mit ein paar anderen Motorradfahrern, übrigens aus dem tiefsten Bayern, wenden wir uns der letzten, kurzen Etappe zu. Zügig kommen wir an die deutsche Grenze und düsen über Großschönau und Seifhennersdorf nach Neugersdorf, wo wir abermals die „Seiten“ wechseln, um auf tschechischer Seite über Sluknov nach Sohland, wiederum nach Deutschland einzureisen.
Der Katzensprung zu unserem Ausgangslager ist letztendlich nur noch eine Sache von wenigen Kilometern. Obwohl wir nicht so konnten, wie wir ursprünglich wollten, sind wir mit der zurückgelegten Strecke sehr zufrieden. Und obwohl der Tag doch recht anstrengend war, sitzen wir noch bis spät in die Nacht und lassen einige Bilder dieser doch sehr außergewöhnlichen Frühlingstour Revue passieren.