Keine Lust mehr auf graue Tage und genug von der buckeligen Verwandtschaft? Hier kommt die passende Gelegenheit, um dem wichtigsten aller Vorsätze ...
Vom Nebel, ins Vergnügen – Kroatien im Spätherbst
Statt in Deutschland im Winterblues zu versinken, verlängern wir in Kroatien die Saison. Eine Motorradtour, einmal die ganze Küste runter, bis nach Montenegro.
Gerrit Reichel
Gerrit Reichel
Rrrummms! Das hat gesessen. Erst scheppert die Tür von links an den Kopf, dann knallt die rechte Schläfe gegen den Türrahmen. Ich fühle mich wie Kater Tom, nachdem Jerry Maus ihm mit dem Nudelholz eins übergebraten hat. Fehlen eigentlich nur noch diese kleinen Vögelchen, die zwitschernd über mir im Kreis fliegen, während ich am Boden liege. Herzlich willkommen in Kroatien!
Was ist passiert? Während meines kurzen Blicks aus dem Wohnmobil hat der Wind die Tür aus der Halterung gerissen und mit voller Wucht auf Knock-out-Geschwindigkeit beschleunigt. Das kam unerwartet. Hätte ich mich mal besser vorbereitet. Dann wäre mir die Gefahr bewusst gewesen. Denn dieser krasse Wind ist typisch für die Region und er hat einen Namen: die Bura. Mit Böen bis zu 250 km/h fegt sie von den Bergen über die Küste aufs Meer hinaus. Und jetzt, im November, ist es am schlimmsten.
Aber daran denkst du ja nicht, wenn du dir im fiesesten aller Monate bei sechs Grad und Nieselregen einen Kroatien-Urlaub erträumst. Du willst einfach nur weg. In die Sonne, ans Meer, an die Adria. Die Moped-Saison noch ein bisschen verlängern. Lecker essen, am Strand liegen. Die Wärme genießen. Serpentinen fahren! Bloß die 1.500 Kilometer Anreise, brrrr …, die würdest du natürlich gerne überspringen. Eine Idee blitzt auf, ein Bild. Ein Wohnmobil mit Heckgarage. Motorrad rollt auf der Rampe aus dem Wohnmobil heraus. Sonne scheint, Moped läuft. Das wär's. „Mensch, der Kalle, der hat doch so ein Ding …! Ob der mir das vielleicht …?“
Ja, der Kalle ist ein echter Freund. Rückt für zwei Wochen seinen neuen 4,5-Tonnen-Camper raus. Aber als es dann so weit ist, müssen wir doch ganz schön tricksen. Denn normalerweise ist ein Wohnmobil dieser Klasse nicht für Motorradfahrer gedacht, sondern für rüstige Rentner, die in der Heckgarage ihre Pedelecs parken. Wir dagegen versuchen, eine ausgewachsene Royal Enfield Continental GT 650 in das enge Abteil zu quetschen. Die Spiegel müssen runter, logo. Dann den Kopf einziehen beim Reinschieben, den Lenker etwas einschlagen, sonst passt es nicht. Vorderrad in den Ständer, vier Ratschengurte dran. Uff. Steht wie eine Eins, die Kiste.
Die Paklenica-Schlucht ist ein Paradies für Kletterer und Wanderer. Die einen krallen sich mit ihren gekalkten Händen an den rauen Karstfelsen fest, die anderen stapfen zu ihren Füßen fröhlich durch die Buchen- und Kiefernwälder. Allgegenwärtig: der gute alte Winnetou. 1962 mussten sich der Häuptling der Apachen und sein Kumpel Old Shatterhand erst mit den Jungs vom Stamm der Utahs kloppen und dann dem fiesen Banditen Brinkley das Handwerk legen. Am Ende — wer weiß es noch? — versinkt der Schurke mitsamt Schatz vom Silbersee jämmerlich in einem Schlammloch. Heute ist am Eingang des Parks gefühlt jeder zweite Stein markiert als Wegweiser zu den Drehorten des hier produzierten Films. Wir wandern lieber weiter in den Park hinein. Pluspunkt: Im November sind wir praktisch unter uns. Das dürfte in den Sommermonaten anders sein. Als wir nach anderthalb Stunden eine Hütte erreichen, erfreut uns eine heiße Tasse Kaffee, landestypisch aufgegossen mit dem Pulver in der Tasse. Noch eine Hütte weiter serviert uns ein altes Mütterchen einen Teller Nudel-Gulasch, den wir auf einer Terrasse mit Blick ins Tal verputzen. Großartig.
Eigentlich steht noch ein Abstecher in den Norden der Insel auf dem Plan. Dort tobt im Sommer die Party-Szene. Der Strand bei Zrće hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht als Festival-Location für junge Leute. Die kommen dann aus ganz Europa her, um zu Tausenden in Bikini und Badehose in den Open-Air-Clubs im Wasser zu stehen und Cocktails zu schlürfen, während ihnen die DJs ordentlich was auf die Ohren geben. Yeah, Baby. Doch es ist schon 15 Uhr und wir merken, wie die Sonne bereits an Kraft verliert. Deshalb planen wir um und belassen es lieber bei einem Trip an die Westküste, wo wir den Nachmittag entspannt am Bilderbuch-Strand von Simuni ausklingen lassen. Auch hier: kein Mensch da. Statt sonnenölgetränkter Glitschkörper, Kindergeschrei und Handylärm nur glasklares Wasser und — Stille.
Inzwischen haben wir uns eingegroovt. Die Enfield erfreut uns jeden Tag. Mit ihrem schnörkellosen Retro-Look passt sie perfekt hierher, chromblitzend und klassisch, dabei ordentlich motorisiert mit 48 PS. Koffer? Tankrucksack? Brauchen wir alles nicht. Auf unseren Touren reisen wir mit leichtem Gepäck, mehr als einen kleinen Rucksack haben wir nie dabei. Sehr praktisch, wenn du die engen Sträßchen einer kopfsteingepflasterten Altstadt ansteuerst. Einfach bis ins Zentrum fahren und gratis parken. Lässiger geht's nicht.
Aber es kommt noch besser. Nach dem Besuch bei Andrea schlagen wir unser nächstes Basislager mitten unter Olivenbäumen auf, bei Makarska, wo wir einen traumhaften Campingplatz mit Meerblick entdeckt haben. Das bezaubernde Panorama währt jedoch nicht lange, da geht die Sonne auch schon wieder unter, kurz nach fünf. Merke: Im November sind die Tage verflixt kurz, auch im Süden Kroatiens. Dann wird es schlagartig frisch. Und stockfinster. Zeit, um den nächsten Tag zu planen. Von hier wollen wir mit der Fähre auf die Insel Brac übersetzen, wo sich einer der berühmtesten Strände Dalmatiens befindet, der Zlatni Rat, was übersetzt so viel heißt wie „Goldenes Horn“.
Über kurvige kleine Sträßchen schwingen wir uns vom Meeresspiegel hinauf in die Berge. Das dauert länger als gedacht. Und wieder droht uns der frühe Sonnenuntergang zu überraschen. Doch wir schaffen es gerade noch rechtzeitig, bevor der große Stern im Meer versinkt. Oben angekommen, stehen wir an einem sensationellen Aussichtspunkt und blicken komplett ergriffen in dieses Tieforange-Licht. Zu unseren Füßen erkennen wir die Umrisse des Postkartenstrandes, in der Ferne versinken weitere Inseln, dahinter schweift das Auge übers offene Meer. Irgendwo da hinten muss Italien liegen. Stoppok, alter Ruhr-Rocker. Das hier ist für dich. Im Kopf summen wir deine Melodie mit dem Text, der uns den Soundtrack liefert für diesen Moment: „Mal dein Herz mit Farbe an, möglichst bunt, steck 'ne Rose dran. Dann stell dich auf den höchsten Berg, breit die Arme aus und zeig der Welt dein Werk.“ Herzhüpfen: Check.
Dubrovnik selbst erleben wir als eine Art Disneyland für Mittelalter-Fans. Faszinierend, prachtvoll, aber auch irgendwie unwirklich wie eine Kulisse für Touristen. Eine wuchtige Mauer umgibt die vor einem steilen Bergrücken unmittelbar ans Wasser gebaute Altstadt. Betritt man das Zentrum durch eines der Stadttore, fällt der Blick auf eine Tafel mit einer Übersicht der Zerstörungen im Kroatien-Krieg Anfang der Neunzigerjahre. Eine schwer erträgliche Vorstellung, dass hier noch vor gut dreißig Jahren eine regelrechte Belagerung stattfand. Allein am 6. Dezember 1991 feuerte die jugoslawische Armee 600 Granaten auf dieses Weltkulturerbe — obwohl sich dort überhaupt keine militärischen Ziele befanden. Von den Schäden ist nichts mehr zu erahnen, abgesehen vielleicht von den auffallend gleichmäßig sanierten Dächern. Einen grandiosen Blick auf die Stadt hat man von der schmalen Einbahnstraße aus, die von der Nordseite hinauf zur Umgehungsstraße führt, vorausgesetzt, man findet die Abzweigung.
Der Weg durchs montenegrinische Bergland zieht sich, macht aber Laune. Wir flitzen über ein schier endloses Kurvenband, das sich mal weiter aufspannt, dann wieder haarnadelspitz verengt und absolut grandiose Landschaften durchzieht. Endlich kann die Enfield mal richtig fliegen. Und dann liegt sie plötzlich vor uns, die Đurđevića-Tara-Brücke. Ein spektakuläres Bauwerk, 85 Jahre alt. Wow. Für diesen Anblick hat sich der Weg gelohnt. Das Gleiche gilt für den letzten Punkt unserer Reise, die Stadt Kotor. Sie liegt in einer überwältigenden, mehr als 1.000 Meter tief eingeschnittenen Bucht. Die schnelle Abfahrt aus den Bergen hinab ans Wasser fährt sich wie eine MotoGP-Simulation. Ein rasantes Abenteuer mit Extraportion Adrenalin. Aber bitte lesen Sie die Informationen in den Gesundheitswarnungen durch, bevor Sie dieses Produkt verwenden. Ein Abflug in der Kurve endet erst ein paar Hundert Meter weiter unten. Leitplanken? Fehlanzeige!
Endlich dann, nachdem die Sonne schon hinter den Bergen verschwunden ist, erreichen wir Kotor. Die Hände schon steif vor Kälte, aber die Reifen auf Temperatur. Was für ein Ritt. Als wir am nächsten Morgen die Heimreise antreten, liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff am Kai. Betagte Touris aus Asien und den USA quellen heraus und ergießen sich wie ein zäher Brei in die historische Mitte, um die 900 Jahre alte Kirche zu sehen. Gut, dass wir schon vor ihnen da waren.
#Adria #Kroatien #Montenegro #Royal Enfield #Tour
Was ist passiert? Während meines kurzen Blicks aus dem Wohnmobil hat der Wind die Tür aus der Halterung gerissen und mit voller Wucht auf Knock-out-Geschwindigkeit beschleunigt. Das kam unerwartet. Hätte ich mich mal besser vorbereitet. Dann wäre mir die Gefahr bewusst gewesen. Denn dieser krasse Wind ist typisch für die Region und er hat einen Namen: die Bura. Mit Böen bis zu 250 km/h fegt sie von den Bergen über die Küste aufs Meer hinaus. Und jetzt, im November, ist es am schlimmsten.
Aber daran denkst du ja nicht, wenn du dir im fiesesten aller Monate bei sechs Grad und Nieselregen einen Kroatien-Urlaub erträumst. Du willst einfach nur weg. In die Sonne, ans Meer, an die Adria. Die Moped-Saison noch ein bisschen verlängern. Lecker essen, am Strand liegen. Die Wärme genießen. Serpentinen fahren! Bloß die 1.500 Kilometer Anreise, brrrr …, die würdest du natürlich gerne überspringen. Eine Idee blitzt auf, ein Bild. Ein Wohnmobil mit Heckgarage. Motorrad rollt auf der Rampe aus dem Wohnmobil heraus. Sonne scheint, Moped läuft. Das wär's. „Mensch, der Kalle, der hat doch so ein Ding …! Ob der mir das vielleicht …?“
Wandern, wo Winnetou kämpfte
Mittlerweile sind wir weitergefahren. Unsere erste Nacht haben wir bei Senj verbracht, hundert Kilometer hinter der slowenischen Grenze. Jetzt wollen wir in südlicher Richtung der Bura entfliehen. Denn bei diesem Höllenwind ist an Motorradfahren nicht zu denken. Angeblich wurde schon mal ein Reisebus ins Meer geweht. Da müssen wir nicht die Helden spielen. Nach gut zwei Stunden gemütlicher Fahrt über die kurvige Küstenstraße erreichen wir den Ort Starigrad. Hier möchten wir die ersten Ausflüge starten: einen Tag den Nationalpark Paklenica erkunden und einen weiteren Tag auf der Insel Pag direkt gegenüber verbringen.Insel Pag: baumlose Mondlandschaft
Von ganz anderem Charakter präsentiert sich beim nächsten Ausflug die Insel Pag. Nachdem wir mit der Enfield die Betonbrücke über die Meerenge von Ljubačka Vrata überquert haben, tauchen wir auf der D106 ein in eine vollkommen baumlose, steinerne Mondlandschaft. Wäre es Juli oder August, wir würden eingehen vor Hitze. So aber ist es mit 20 Grad angenehm warm, statt quälend heiß. Der Paralleltwin bollert zufrieden vor sich hin. Wir erreichen das kleine Städtchen, dessen Namen die Insel trägt, spazieren ein paar Runden durch die Gassen. Pag hat eine fast tausendjährige Geschichte. Von der ursprünglichen Stadt ist allerdings nichts mehr übrig, sie wurde vor 500 Jahren nach einer heftigen Pest-Epidemie niedergebrannt.Antike Weltkultur, hoch dosiert
Aber wir sind noch längst nicht am Ziel. In zwei Wochen, so unser Plan, müsste man es doch locker bis ganz in den Süden schaffen, bis Dubrovnik. Und vielleicht sogar noch weiter. Bosnien. Montenegro. Schaun mer mal. Davor jedoch wollen wir uns natürlich Split ansehen, für eine schnelle Stunde Geschichtsunterricht. Muss ja. So ein UNESCO-Weltkulturerbe lässt man schließlich nicht aus. Wegen Diokletian. Dio wer? Klingt wie ein Durchfallmedikament. Weil wir schon lange nicht mehr mit Reiseführern hantieren, muss ein Blick ins Handy reichen: „Der Diokletianspalast ist ein antiker Baukomplex, der als Alterssitz für den römischen Kaiser Diokletian diente.“ Eine etwa 30.000 m² große Anlage, nach außen gesichert durch starke Mauern mit viereckigen Türmen. Nicht schlecht für ein privates Altenheim. Wir schlecken ein Eis, während wir unter Palmen die zum Meer gewandte Südfassade entlang schlendern. Hübsch gemacht, alter Knabe, Respekt. Und gut in Schuss, wenn man bedenkt, dass die Einweihungsparty rund 1.700 Jahre her ist.Offroad-Tipps vom Local Guide
Was die Enfield allerdings nicht so gut kann, ist offroad. Logisch. Aber Bock hätten wir natürlich schon. Allein schon aus Abenteuerlust. Eine, die uns dazu etwas erzählen kann, ist Andrea. Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Marina betreibt sie eine halbe Stunde südlich von Split die Agentur Funmoto-Adventures, eine Kombination aus Motorradverleih und Tourenbegleitung. Sie selbst arbeitet als Guide und nimmt ihre Kunden auf die schönsten Pfade im Hinterland mit. „Auf der Küstenstraße kannst du im Sommer nicht fahren“, sagt sie, „die ist komplett dicht.“ Besser – und schöner – seien die unbefestigten Wege durch die Berge, entlang längst verlassener Dörfer. „Von da hast du auch die schönsten Ausblicke aufs Meer“, klärt sie uns auf. Für ihre Kunden, darunter auch reine Frauengruppen, hält sie eine kleine Honda-Flotte bereit. Handliche 250er-Crossmaschinen, die dich auch auf losem Untergrund nicht im Stich lassen. Während sie spricht, serviert uns Marina eine dieser köstlichen Vorspeisenplatten mit Krabben, Tintenfisch- und Lachs-Carpaccio, Anchovis und eingelegten Zwiebeln, dazu verschiedene Käsesorten und süße Feigenmarmelade. Unwiderstehlich. Hatten wir erwähnt, dass wir auf einer Terrasse direkt am Strand sitzen, bei strahlend blauem Himmel?Aber es kommt noch besser. Nach dem Besuch bei Andrea schlagen wir unser nächstes Basislager mitten unter Olivenbäumen auf, bei Makarska, wo wir einen traumhaften Campingplatz mit Meerblick entdeckt haben. Das bezaubernde Panorama währt jedoch nicht lange, da geht die Sonne auch schon wieder unter, kurz nach fünf. Merke: Im November sind die Tage verflixt kurz, auch im Süden Kroatiens. Dann wird es schlagartig frisch. Und stockfinster. Zeit, um den nächsten Tag zu planen. Von hier wollen wir mit der Fähre auf die Insel Brac übersetzen, wo sich einer der berühmtesten Strände Dalmatiens befindet, der Zlatni Rat, was übersetzt so viel heißt wie „Goldenes Horn“.
Postkartenidyll auf Brac
Warum der Strand berühmt ist? Ein weiterer Blick ins Handy gibt Aufschluss: „Der Strand hat die Form einer Sichel oder eines Horns. Er ragt von der Insel einige Hundert Meter ins Meer hinaus und besteht aus kleinen, runden Kieselsteinen, die sich mit der Strömung über längere Zeit bewegen. Dabei verändert sich die Form des Strandes so, dass die Spitze mal in die eine, mal in die andere Richtung zeigt.“ Um ehrlich zu sein: Was auf Postkarten und im Internet atemberaubend wirkt, sieht in Wirklichkeit dann eher aus wie ein, na ja, Hörnchen. Und selbst im November zieht es für unseren Geschmack noch zu viele Menschen hierher. Diesen Franzosen zum Beispiel, der mit seinem Handy am Selfiestick um uns rumläuft und sich dabei filmt, wie er sein affektiertes Content-Creator-Gelaber absondert. Enfield anwerfen und nichts wie weg.Über kurvige kleine Sträßchen schwingen wir uns vom Meeresspiegel hinauf in die Berge. Das dauert länger als gedacht. Und wieder droht uns der frühe Sonnenuntergang zu überraschen. Doch wir schaffen es gerade noch rechtzeitig, bevor der große Stern im Meer versinkt. Oben angekommen, stehen wir an einem sensationellen Aussichtspunkt und blicken komplett ergriffen in dieses Tieforange-Licht. Zu unseren Füßen erkennen wir die Umrisse des Postkartenstrandes, in der Ferne versinken weitere Inseln, dahinter schweift das Auge übers offene Meer. Irgendwo da hinten muss Italien liegen. Stoppok, alter Ruhr-Rocker. Das hier ist für dich. Im Kopf summen wir deine Melodie mit dem Text, der uns den Soundtrack liefert für diesen Moment: „Mal dein Herz mit Farbe an, möglichst bunt, steck 'ne Rose dran. Dann stell dich auf den höchsten Berg, breit die Arme aus und zeig der Welt dein Werk.“ Herzhüpfen: Check.
Komplizierter Grenzverlauf bei Dubrovnik
Langsam geht unser Roadtrip auf die Zielgeraden. Drei Highlights warten aber noch: Dubrovnik, Tarabrücke, Kotor. In Entfernungen gesprochen je eine Etappe über 160, 190, 180 Kilometer. Dazu zwei Grenzübertritte, weil die zwei letzten Spots in Montenegro liegen und der Weg dorthin durch Bosnien-Herzegowina führt. Der Grenzverlauf in dieser Gegend ist insgesamt sehr speziell. Im Süden Dalmatiens, in Höhe der Halbinsel Pelješac, zertrennt der Neum-Korridor, ein schmaler Streifen bosnischer Küste, das kroatische Festland. Der äußerste Süden des Landes, in dem Dubrovnik liegt, ist deshalb ohne Grenzübertritt nur mit einem Umweg übers Meer erreichbar. Hierzu wurde im Jahr 2022 die Pelješac-Brücke eingeweiht. Die Überfahrt ist von einem mulmigen Gefühl begleitet, denn die Region liegt in einem Erbebebengebiet und die eingangs erwähnte Bura muss mit Windschutzzäunen in Zaum gehalten werden. Obendrein haben sich bereits Risse in den Stützpfeilern gebildet. Grüße gehen raus an die chinesische Brückenbaufirma.Dubrovnik selbst erleben wir als eine Art Disneyland für Mittelalter-Fans. Faszinierend, prachtvoll, aber auch irgendwie unwirklich wie eine Kulisse für Touristen. Eine wuchtige Mauer umgibt die vor einem steilen Bergrücken unmittelbar ans Wasser gebaute Altstadt. Betritt man das Zentrum durch eines der Stadttore, fällt der Blick auf eine Tafel mit einer Übersicht der Zerstörungen im Kroatien-Krieg Anfang der Neunzigerjahre. Eine schwer erträgliche Vorstellung, dass hier noch vor gut dreißig Jahren eine regelrechte Belagerung stattfand. Allein am 6. Dezember 1991 feuerte die jugoslawische Armee 600 Granaten auf dieses Weltkulturerbe — obwohl sich dort überhaupt keine militärischen Ziele befanden. Von den Schäden ist nichts mehr zu erahnen, abgesehen vielleicht von den auffallend gleichmäßig sanierten Dächern. Einen grandiosen Blick auf die Stadt hat man von der schmalen Einbahnstraße aus, die von der Nordseite hinauf zur Umgehungsstraße führt, vorausgesetzt, man findet die Abzweigung.
Schlussakkord: Montenegro
Noch zwei Tage, dann müssen wir wieder nach Hause. Immer dasselbe. Erst brauchst du zu lange, um herunterzukommen. Dann bist du gechillt, aber die Zeit ist rum. Wir verdrängen den Gedanken an unser Dasein in November-Deutschland und freuen uns auf Montenegro. Für uns ein unbekanntes Land. EU-Ausland. Genau wie Bosnien, das wir durchqueren müssen. Vorurteile: arm, rückständig, schlechte Straßen, vielleicht schlechte Alltagsversorgung. Aber ehrlich, Leute, das ist Quatsch. Auch im bosnischen Supermarkt sind die Regale voll, der Sprit ist spottbillig. Und in Montenegro sind die Straßen sogar besser als vielerorts bei uns. Außerdem reisen wir ja nicht als Premiumbürger rein, die hier mal die Lage bewerten sollen. Sondern, weil wir diese Wahnsinns-Schlucht am Fluss Tara sehen wollen. Und natürlich die berühmte Brücke, die sich in 150 Metern Höhe darüber spannt.Der Weg durchs montenegrinische Bergland zieht sich, macht aber Laune. Wir flitzen über ein schier endloses Kurvenband, das sich mal weiter aufspannt, dann wieder haarnadelspitz verengt und absolut grandiose Landschaften durchzieht. Endlich kann die Enfield mal richtig fliegen. Und dann liegt sie plötzlich vor uns, die Đurđevića-Tara-Brücke. Ein spektakuläres Bauwerk, 85 Jahre alt. Wow. Für diesen Anblick hat sich der Weg gelohnt. Das Gleiche gilt für den letzten Punkt unserer Reise, die Stadt Kotor. Sie liegt in einer überwältigenden, mehr als 1.000 Meter tief eingeschnittenen Bucht. Die schnelle Abfahrt aus den Bergen hinab ans Wasser fährt sich wie eine MotoGP-Simulation. Ein rasantes Abenteuer mit Extraportion Adrenalin. Aber bitte lesen Sie die Informationen in den Gesundheitswarnungen durch, bevor Sie dieses Produkt verwenden. Ein Abflug in der Kurve endet erst ein paar Hundert Meter weiter unten. Leitplanken? Fehlanzeige!
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