Das Telefon klingelt. Die Redaktion: Frank! Mal hören, was er hat. „Du, wir zwei können eine tolle Motorradtour ab Frankfurt starten, und zwar durch Mitteldeutschland.“ Wieder Stirnrunzeln meinerseits: „Mitteldeutschland? War da früher nicht mal was? Ostdeutschland, Mitteldeutschland, Westdeutschland?“ Na, ganz Unrecht habe ich nicht, aber Frank meint natürlich die aktuelle Mitte Deutschlands und er wird ein wenig ungeduldig. Eigentlich wollte er ein „Ja, gute
Idee“ von mir hören. An Informationen kann ich gerade noch erhaschen, dass wir Montag um 6.00 Uhr mit dem Vierrad starten, um in Griesheim zwei Victorys zu übernehmen. Das gefällt mir ausgezeichnet, wenn man mal von dem Start mitten in der Nacht absieht.
Montagmorgen, 5.45 Uhr: Frank hupt. Eine neue Art von Pünktlichkeit. 15 Minuten vor der Zeit … na ja, ich werde ihn später mal wieder daran erinnern. Kaffee runtergestürzt. Mir fehlen 15 Minuten. Rüstung und Kulturbeutel in das Vierrad. Ab geht’s, und zwar Richtung Süden. Wir wollen um 9.00 Uhr bei Victory sein, allerdings bremst uns ein Stau mächtig ein. Die Niederlassung in Griesheim erreichen wir also etwas später, macht aber gar nichts, denn die zwei wundervollen Test-Motorräder warten auf uns. Mein erster Gedanke: Ich will die nackte – bloß keine Scheibe. Mein Untersatz wird eine Vegas 8-Ball – Glück gehabt! Frank nimmt auf einer „Cross Country“ mit Koffer und Scheibe Platz. Er hat zumindest kein Problem sein Gepäck unterzubringen. Ich frage dann lieber nach, bevor ich meine Rolle mit der Gepäckspinne am Kotflügel befestigen kann. „Klar doch, ist massives Blech“, bekomme ich als Antwort. Bei meinen zweirädrigen Japsen zu Hause wäre das nicht möglich.
Neidisch werde ich aber richtig als die Motoren zünden. Meine Vic verfügt über einen Serienauspuff Marke „Flüstertüte“, die quasi verstummt, als Frank startet. Fetter V2-Sound entweicht einem Custom-Rohr und zaubert ein breites Grinsen in Franks Gesicht, das ich mir auf dieser Tour öfter ansehen darf.
Endlich geht es los. Frank an der Spitze. Mit seinem Garmin sucht er den Weg. Mal sehen, wie lange, denn die Vics haben keine Steckdose und so läuft das Navi auf Akku. Aber für den kürzesten, genauer gesagt schnellsten Weg aus dem Rhein-Main-Gebiet hinaus in den Spessart reicht der Strom. Und dort benötigt Frank kein Navi mehr, denn der wandelnde Atlas in Persona – ich muss darüber immer wieder staunen – kennt sich auch hier aus und findet souverän die schönste Strecke über die Rhön zum Etappenziel im Thüringer Wald. Aber der Reihe nach. Wir verlassen Griesheim per B 26 und folgen ihr über Darmstadt nach Aschaffenburg. Die Bundesstraße ist dabei genau richtig, um uns mit den amerikanischen Drehmomentboliden fix vertraut zu machen. Den Muff der morgendlichen Autobahnanreise auf vier Rädern fahren wir uns so zügig aus dem Anzug. Leider wird in den ersten Orten im Spessart, die wir durchfahren, mehrmals meine Sicherheit gefährdet, weil Passanten fasziniert vom Sound hinter Franks Vic herschauen und mir fast vors Krad laufen. Besser ist, wir tauschen die Positionen – Frank grinst nur, dreht am Hahn und stellt fest, dass sich die Testboliden einfach supergut fahren lassen.
Rund um das Werratal eröffnet sich ein einzigartiges Schräglagenparadies
Genau dort, wo der Spessart sich mit seinen Eichen- und Buchenwälder öffnet, werden wir zu Räubern, na ja Kurvenräubern. Erst wedeln wir flott über die Asphaltpisten, dann wird es langsam. Frank sucht passende Motive für Fotos. Das bedeutet, dass er mehr neben als auf die Straße schaut. Da muss man Geduld haben, was mir schwerfällt. Wenn ich aber meckere, lässt er mich fürs perfekte Bild ein paar Mal mehr seinen Standort passieren.
Außerdem soll ich auch fotografieren und da muss er Geduld haben, denn in diesem Punkt bin ich absoluter Novize. Erst als auch in meiner Kamera druckfähige Bilder gespeichert sind, geht es weiter. Was sagte ich meiner Frau: „Mit Frank auf Tour zu gehen, ist harte Arbeit.“ Warum glaubt sie mir eigentlich nicht? Frank meint nur, dass ihm das genauso geht, weil man ja immer in wundervollen Urlaubsregionen die schönste Art der Fortbewegung erlebt.
Also ergeben wir uns weiter unserem Schicksal, denn wir müssen ja Motorrad fahren. Kurz hinter Jossa werde ich obendrein von dem Kurvenpotential der Strecke dort genauso positiv überrascht wie vom Fahrwerk meiner Victory. Alles bestens, die Fußrasten verlieren beständig an Substanz und ich suche neue Herausforderungen. Die bestehen zunächst allerdings wieder aus Fotostopps und der Ermittlung des Benzinverbrauchs unserer Edeleisen, die Vics benötigen 6,3 Liter/100 Kilometer.
Was ich brauche, danach wird allerdings nicht gefragt, langsam unterzuckere ich. Wobei ich das schon von anderen Touren kenne, denn unser Motto (Alles Urlaub, oder was?) lautet: erst die Fotos, dann das Vergnügen. Außerdem weiß ich auch, ohne dass Frank mich darauf hinweist, dass heute wegen meiner Fotografie alles deutlich länger dauert. Obendrein wissen wir, dass heute Abend im Hotel ein Grillbuffet wartet, eine bessere Durchhalteparole gibt es gar nicht.
Zwischen unseren Foto-Workshops nähern wir uns auch mit riesigen Schritten dem Thüringer Wald. Zuvor passieren wir mit unseren V-Twins Bad Rodach, hier logierte ich früher schon mal in einem Hotel. Habe allerdings keine guten Erinnerungen daran, ziemlich muffiger und düsterer Laden. Frank lacht und meint: „Na, da ist es ja gut, dass wir ein anderes Hotel haben!“ Dort werden wir von der Hotelchefin und passionierte Motorradfahrerin herzlichst empfangen. Ihr zweiter Blick fällt auf unsere Maschinen: „Womit seid Ihr denn da?“ Tja, nach einem hervorragenden Essen, zwei entspannenden Saunagängen im Wellnesstempel namens Badehaus und einem Bierchen habe ich ihr dann die Vorzüge unserer Victorys erläutert. Meine Überzeugungskraft reicht nicht ganz, aber immerhin wollen wir am nächsten Tag zusammen mit ihr und ihrer Gummikuh auf Tour gehen: „Alles klar, Start um 10.00 Uhr!“ Hört sich gut an, finde ich. Frank schließt sich meiner Meinung an: „Top, dann können wir ja um 6.00 Uhr – vor dem Frühstück noch ein paar Spitzenfotos machen.“ Meine Gesichtszüge versteinern und in Gedanken frage ich mich, ob man nicht noch ein wenig der legendären Bar eine Etage tiefer einen Besuch abstatten könnte. Derweil wünscht mir Frank eine gute Nacht und verschwindet in seine Gemächer. Okay, okay, inzwischen ist mir auch klar, dass man so das beste Licht in die Linse bekommt. So trolle ich mich ins Bett, träume von den verschiedensten Fotoperspektiven und nicht nur ich erlebe am nächsten Morgen um 5.45 Uhr, natürlich wieder 15 Minuten vor der Zeit, den Weckruf seiner Victory. Wir erfahren dann später, dass alle Motorradgäste des Hotels heute sehr früh zum Frühstücksbuffet kamen.
Als wir wieder das Hotel erreichen, starten die Gäste ihre Tour, aber erst als sie sich ausführlich erkundigt haben, was für einen Auspuff Frank da hat. Kaum jemand mag glauben, dass das alles seine Richtigkeit hat und die Tüten aus dem original Zubehörregal von Victory stammen. „Morgen starten wir später“, grinst Frank und stapft ins Restaurant. Dort wartet Christel schon und wir können ausgiebig frühstücken, bevor unsere Tourguidin uns in Richtung Fränkische Schweiz lotst.
Durch den Hainich
Als wir diese Traumtour erleben, wird mir klar, dass man nicht in die Ferne schweifen muss, um tolle Kurven zu finden. Rund um Masserberg gibt’s mehr als genug Möglichkeiten, die Fußrasten zu schreddern. Frank ist ebenfalls begeistert und freut sich wie ein Schneekönig, dass wir heute so gute Bilder – auch ich – in unsere Kästen bekommen. Das darf gefeiert werden und wir erleben einen toffen Abend in der Bar, wo mal wieder der Bär steppt. „Abfahrt morgen um 11.00 Uhr“, meint Frank lächelnd, da darf er auch eine halbe Stunde vorher startklar sein.
Am nächsten Morgen, na ja, späten Vormittag nehmen Frank und ich leicht wehmütig Abschied vom Hotel. Mir hat es hier richtig gut gefallen. Christel, die inzwischen weiß, dass die Vics absolut kurventauglich und für ihr Eldorado, den Thüringer Wald, bestens geeignet sind, sagt noch „Tschüss“ und dann brabbeln die V 2 Motoren wieder. Und zwar in Richtung Harz zum Hotel, somit wird die Strecke jetzt auch für mich zum Heimspiel. Zunächst muss ich aber noch ein paar Wörter zur Strecke von Masserberg nach Oberhof verlieren, denn hier werden auf der genialen Kammstraße über den Thüringer Wald wieder alle meine Kurventräume wahr. So rauschen wir dahin, ohne dass Besichtigungen (Steine gucken) den Rhythmus stören. Leider hört ganz großer Spaß immer dann auf, wenn er gerade am schönsten ist. In Ohrdruf verlassen wir den Thüringer Wald und sausen Richtung Werratal. Frank findet eine flotte Strecke an Eisenach vorbei und Kurven haben wir auch bald wieder. Den dritten Tag sind wir nun unterwegs, über 600 Kilometer auf den Victorys: Schön ist dabei, dass man mit diesen Motorrädern völlig entspannt touren kann. Kein Muskel schmerzt. Handgelenke und Halswirbel geben ebenfalls keine verspannten Rückmeldungen. Pausen müssen also nur gemacht werden, wenn es wieder um Fotos geht, wie in Creuzburg, wo die alte im Jahr 1223 erbaute Werrabrücke für „Steinegucker“ genau das Richtige ist.
Eine Burg – sicher eine lohnenswerte Alternative zur Wartburg in Eisenach – lockt hier ebenfalls, sie wurde 1170 fertiggestellt und ist dem Publikumsverkehr seit 1991 wieder zugänglich. Das Werratal weist dann unseren weiteren Weg, und zwar über Mihla in Richtung Mühlhausen, wo das passiert, was wir nun gar nicht brauchen.
Gerade als wir dort – heute brauche ich keine Unterzuckerung – auf die Schnelle noch beim Motorradclub (oder wofür steht MC?) Donald´s einkehren, macht Frank weiter nördlich eine megaschwarze Wolkenwand aus. Seinen Kommentar dazu, kann ich hier leider nicht wiedergeben, denn unser Magazin soll jugendfrei bleiben. Außerdem kommt letztlich doch nur Wasser, wenn auch eimerweise vom Himmel. So dampfen die nassen und verdreckten Victorys über Hundeshagen nach Duderstadt, der ehemaligen Grenzstadt am antiimperialistischen Schutzwall der längst vergangenen DDR. Gerade als der Harz zum Greifen nahe kommt, entwischen wir auch der Sintflut. Auf plötzlich wieder ganz trockener Piste nehmen wir die wundervolle Kurvenpartie zwischen Rhumspringe – wo es eine sehenswerte Quelle zu bestaunen gibt – und Pöhlde unter die Räder.
An der Werra entlang
Die Vegas 8-Ball macht richtig Spaß. Dauernd denke ich darüber nach, wie sie in mein Portfolio passt. Außerdem: Wie erkläre ich das meiner Liebsten? Das Beste ist wohl, dass ich ihr mein neues Objekt der Begierde einfach mal präsentiere. Bevor ich was sagen kann, meint sie nur: „In der Garage gibt es keinen Platz!“ Sie kennt mich halt. Also überlege ich sofort, wie sich unsere heimische Garage fix vergrößern lässt, während wir unser nur noch fünf Kilometer entferntes Etappenziel im Oberharzer Lerbachtal ansteuern. Dort – scheint mal wieder die Sonne – werden wir mit zwei kühlen Weizen (natürlich alkoholfrei, aber das sieht man in den Gläsern nicht) begrüßt. Später gibt es eine deftige Schützenpfanne. Zwischendurch tüfteln wir noch an der Rücktour, obwohl auch beschlossen wird, dass den Victorys noch die wundervollen Motorradpisten im Harz gezeigt werden sollen.
Nach dem verlängerten Wochenende in Thüringer Wald und Umgebung, das uns so gut gefallen hat, bleiben wir noch ein paar Tage im Höchsten im Norden. Für Fotos fallen die Tage allesamt aus – kein Bilderbuchwetter. Das geht gar nicht, denn wir arbeiten für ein Reisemagazin und nicht bei einer Hörbuchproduktion. Aber dann hat die Sonne ein Einsehen, also brechen wir zur letzten Etappe auf. Klar, um 6.00 Uhr (also 5.45 Uhr) brabbeln die Motoren. Frank liebt frühe Bilder, das Licht ist weicher. Weich wäre auch noch mein Kopfkissen gewesen, aber ich habe der Argumentation nichts entgegenzusetzen und werde meine zukünftigen Fototage ebenfalls in aller Herrgottsfrühe starten: Morgenstund’ hat Gold im Mund. Bald stürmen wir durchs Eichsfeld mit seinen Hügeln in Richtung Werratal. Immer wieder stehen flotte Schräglagen an, der grundsolide V2-Motor mit 140 Nm Drehmoment fühlt sich pudelwohl und wir genießen das. Um die Burg Ludwigstein als Fotomotiv zu erhaschen, wechseln wir etwas später kurz auf die B 80. Unser Tempo sinkt, denn hier wird zur Aufbesserung des Solidaritätszuschlags andauernd geblitzt. Nicht mit uns, denn fürs Fotografieren sind wir zuständig! So wirkt es fast als Befreiung, als wir die B 80 verlassen und uns auf Nebensträßchen dem Hohen Meißner nähern.
Der Monte Kali
Wir sind also wieder im Land der Hessen angekommen. Auch hier werden Kurven gekostet: „Ritsch“, meint die rechte Fußraste und mit „Ratsch“ schließt sich die Linke an. Beide verlieren weiter an Material. Auf dem Meißner legen wir dann wieder eine kurze Rast ein, um den Blick über Eschwege ins Werratal, nach Thüringen und zum heimischen Harz hin zu genießen. Frank inspiziert derweil die Fußrasten an meiner Vegas und meint: „Mmh, ist halt ein Verschleißteil!“ Durch Waldhessen düsen wir dann weiter nach Süden, bis ein imposanter weißer Bergriese vor dem Visier auftaucht. Das ist der Monte Kali bei Heringen, eine Abraumhalde, die aus Überresten des Kalibergbaus in den vergangenen 30 Jahren entstand. Einige Zeit wird die Megahalde noch im Rückspiegel zu sehen sein. Wir streifen dann Rhön sowie Vogelsberg und nähern uns unserem Ausgangspunkt im Rhein-Main-Gebiet. Auch jetzt fasziniert Franks Streckenführung. Die kurvenreichen Nebenstraßen erscheinen so, als wären sie speziell für uns gebaut. Mit einem weinenden Auge gebe ich dann die Victory Vegas 8-Ball zurück. Niemals hätte ich im Vorfeld vermutet, dass mir als eingefleischtem Naked-Bike-Piloten, mit Hang zum Supersportler, ein Cruiser, ein Chopper so viel Freude bereitet. Ich muss dringend mit meiner allerliebsten über unsere Garage reden!
Mitten in Deutschland finden sich herrliche Motorradstrecken. Kein Wunder, denn Spessart, Rhön, Thüringer Wald, Hainich, Harz und kleine, meist unbekannte Höhenzüge dazwischen sorgen für den ganz großen Motorradspaß.
Diese Mittelgebirgstour zeigt, dass Deutschland ein richtig gutes Motorradland ist. In der Mitte der Republik konzentrieren sich herrliche Kurvenstrecken, die meist wenig Verkehr kennen. Warum also in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah.
Diese Tour startet in Frankfurt beziehungsweise dem Rhein-Main-Gebiet und das ist bekanntlich aus allen Richtungen sowie mit den verschiedensten Verkehrsmitteln erreichbar.
In den letzten Jahren konnte man die Mitteldeutschlandtour immer so ab etwa Anfang April starten und bis Mitte Oktober fahren. Besonders schön erlebt man die Runde im Mai, wenn die Bäume grün sind. Aber auch der Herbst bietet sich für diese Tour an. Gerade wenn bunte Blätter die Landschaft verfärben, erlebt man oft richtig konstante Wetterverhältnisse.
Die folgenden M&R Motorradhotels befinden sich im oder in der näheren Umgebung des Routenverlaufs dieser Motorradtour: