Köstliche Cevennen

Schleichend setzt sich das Virus „laissez-faire“ fest, brennt sich innerlich ein und beherrscht lieblich umschmeichelnd alle Sinne. Frankreich wird zur Sucht.
 Kai Sypniewski
 Kai Sypniewski
Immer öfter zieht es uns in seinen Bann und umgarnt Motorradspaß, mit großartigen Landschaften und den Gaumen immer wieder mit neuer, unbeschreiblich köstlicher Nahrung. Ein Eldorado aller Sinne eröffnet sich. Am Horizont strecken majestätisch die Berge ihre graublauen Gipfel in den Himmel. Einem Lindwurm gleich stürzen wir in kühnen Schwüngen bei St.Chinian in die Tiefe. Das erste Schild „Kurvenreiche Strecke“ weist den richtigen Weg, um Kilometer mit Schräglagengarantie zu machen. Anschließend wird die erste Hochebene gequert. Eine Windböe nach der anderen zerrt an unseren Lenkern. Der flache, schräge Baumbewuchs zeigt hier die stets vorherrschende Windrichtung deutlich an.
Bei St.Chinian beginnt unser Kurvenspaß
Bei St.Chinian beginnt unser Kurvenspaß
Von der Causse de Blandas gleitet der Blick atemberaubend in die Tiefe. Wie ein steinerner Trichter liegt der Cirque de Navacelles zu Füßen. Fast 400 Meter tief hat sich der Fluss Vis in den hellen Kalk gegraben und der kleine Ort Navacelles befindet sich inmitten dieses imposanten Talkessels.
Ein atemberaubender Blick in die Tiefe
Vor Tausenden Jahren floss die Vis in einer weiten Schleife durch das Tal, änderte dann jedoch sukzessiv ihren Lauf und zurück blieb fruchtbarer Schwemmboden, der zur Gründung des kleinen Dorfes führte. An einer winzigen Steinmauer als Sicherung kurven wir steil in die Tiefe hinab, um auf der anderen Seite mit unzähligen Serpentinen und kühnen Schräglagen dieses majestätische Flecken Erde zu verlassen. Kurve um Kurve bringt uns weiter voran. Über kleinste Straßen werden die äußersten Reifenflanken abgerubbelt, dabei stetig Höhe gewinnend. Ein letzter weiter Bogen lässt uns endlich den Gipfel des höchsten Berges der südlichen Cevennen erreichen.
Serpentinen aus Navacelles
Raues Klima schlägt auf der kahlen Fläche gegen das nun sorgsam geschlossene Visier. So stürmisch sich das Wetter auf 1567 Metern auch zeigt, so präsentiert der „Mont Aigoual“ doch eine grandiose Weitsicht. Wehmütig gleitet der Blick bis zum Mont Blanc und schweift über die fernen Bergketten der Pyrenäen. Im Dunst der Ferne lässt sich das Mittelmeer erahnen. Auf dem Rücken der Bergketten rollen die Motorräder nordwärts und lassen den Berg des Wassers im Rückspiegel schnell kleiner werden.
Abfahrt von Les Bondos
Machtlos unterliegen wir dem unendlich erscheinenden Kurvenspaß und rollen am späten Abend im Hotel „Gorges du Tarn“ in Florac ein. Die Abendkarte liest sich wie ein Gedicht und lässt zu später Stunde augenblicklich die Gaumenfreuden Achterbahn fahren. Auf der abgeschiedenen D135 rollen unsere Motorräder dem Kalkplateau „Les Bondos“ mit kräftigen Schräglagen entgegen.
Die Straßenbauer überzeugen mit ordentlichen Kurvenradien
Die Motoren verstummen für eine kurze Pause auf einer einsamen Hochebene. Mit 154 Granit-Menhiren, vier Dolmen und etwa 30 Grabhügeln befindet sich an diesem von Weitsicht geprägten Ort die zweitgrößte Konzentration an Megalithmonumenten Europas. Hier fällt auch eine weitere geologische Sehenswürdigkeit auf: Zwei Bergkuppen aus schwarzem Mergel, Namens „Truc de Miret“ und „Truc des Bondons“.
Wir genießen die vielen Schräglagen
Diese haben der ewig nagenden Erosion widerstanden und überragen weit das Tal der Tarn. Wir satteln wieder auf und folgen der D998. Diese gleicht wahrlich einem Korkenzieher. Die Straßenbaumeister folgten dem wilden Hin und Her der Tarn und trumpfen mit runden Straßenradien mächtig auf. Das Sirren der Bremsscheiben lässt den Wettlauf mit dem schönen Teerband innehalten.
Le Pont-de-Montvert - ein Dorf aus Bruchsteinhäusern
Mächtig spannt sich die steinerne Brücke über den noch jungen Fluss in Le Pont-de-Montvert. Die Motorradstiefel poltern schwer durch die engen Gassen, welche von romantischen Bruchsteinhäusern gesäumt sind. In der alten „Grand Rue“ treffen wir Yves vor dem Vereinslokal „L´Arbre aux Abeilles“. In deutscher Sprache berichtet er ausführlich über den Erhalt der traditionellen Honigproduktion.
Traditionelle Imkerei
So stellt er heute wieder neue Bienenstöcke aus gehöhlten Kastanienstämmen nach uralter Tradition her und belebt diese mit den kleinen fleissigen stacheligen Bienen. Ein paar Schräglagen später findet sich am Ortseingang von Saint-Maurice-de-Ventalon an einer langgestreckten Kurve die erste traditionelle Imkerei.

Weiter rollen die Räder nordwärts über die D 906, welche ohne Zweifel als Kracher des französischen Straßennetzes bezeichnet werden kann. Am Lac Altier klebt das Asphaltband am steilen Abgrund und windet sich durch die in den Fels gehauenen Gassen immer höher.
Neben der Fahrbahn geht es steil abwärts!
Im Bilderbuchdorf La Garde-Guérin muss dem Gleichgewichtsorgan einfach eine Pause gegönnt werden, und so erfreuen wir uns an kulinarischen Gaumenfreuden. Einspurige Straßen führen an einem einsam gelegenen Stausee vorbei. Am Motorradtreffpunkt im La Bleymard wird der Blinker auf links gesetzt, um dem Col de Finiels entgegenzustürmen. Rechts von uns erhebt sich der 1699 Meter hohe Gipfel des Sommet de Finiels. Dieser ist vor dem Mont Aigoual der höchste Gipfel der Cevennen. Das Tal verengt sich spürbar und die Tarn wird zum ständigen Begleiter.
Das Dorf Castelbouc
Hinter dem Flußlauf schmiegt sich das kleine Dorf Castelbouc mit seinen schmalen Gassen an die steilen Felsen und kann nur zu Fuß erkundet werden. Ein paar Schaltvorgänge später taucht Sainte Enimie vor dem Lenker auf und lädt, mit Steinen aus der Tarn gepflasterten Gassen zum Verweilen ein. Hier eines aus vielen Dörfern zum schönsten Frankreichs auszuwählen ist nahezu unmöglich, denn schon lädt am linken Tarnufer Saint-Chély-du-Tarn zum nächsten Boxenstopp ein. Zwei Quellen stürzen unterhalb des Weiler als Wasserfall in die Tarn und setzen so einen besonderen Akzent auf die traditionelle Architektur dieses Dorfes. Die Motoren kommen einfach nicht auf Betriebstemperatur! Imposant lädt umgehend das Château de la Caze, direkt am Tarnufer gelegen, zum köstlichen Genuss aller Sinne ein. Das Schloss aus dem 15. Jahrhundert konnte seinen Glanz aus der damaligen Zeit bewahren. Lautlos rudern unzählige Freizeitkapitäne vorbei.
Saint-Chély-du-Tarn – ein weiteres imposantes Dorf mit traditioneller Architektur
So entern wir in La Malène eine historische Barke und lassen uns von den Batelieèrs de la Malène durch die eindrucksvolle Schluchtenlandschaft chauffieren. In herrlicher Ruhe gleitet das Boot im türkisblauen Wasser dahin. Nach der Entschleunigung zu Wasser spüren die Profilblöcke wieder Asphalt. In Les Vinges wird die imposante Tarnschlucht auf schmalem Teerband verlassen, und folgen ein Stück der RD 16 in lichte Höhen. Nach kurzer Zeit werden wir von einer Wandergruppe ausgebremst. Stolz werden uns von Isabelle, ihre vierbeinigen Begleiter vorgestellt. So trägt jeder Esel einen Namen und wird zum Wandern durch die Berge als Lastentier mitgeführt. Unsere eisernen Rösser wollen ebenfalls weiter. Mit einigen steilen Serpentinen wird schnell an Höhe verloren. Steile Abhänge ohne Sicherung mahnen zur Vorsicht. Umgehend blockiert ein Auto den schmalen Weg. Glücklicherweise befinden wir uns am Hang und flüchten an die Felswand. Zentimeter um Zentimeter knirschen die Pkw-Reifen am Abhang vorbei.
Imposant – das Château de la Caze
Die Straße des Todes erscheint mir bildlich vor den Augen. Deutlich entspannter kurvt es sich durch die „Gorges de la Jonte“, um in Meyrueis ein Nachtquartier zu beziehen. Ein köstlicher „Liqueur Crème de Chataigne“ eröffnet das Gaumenfeuer, und der Motor für Leib und Seele hat heute Abend drei Gänge aus der Küchenbox. Die Motoren inhalieren den feuchten Duft der Morgenstunde. Über das wasserarme Kalksteinplateau „Causse Méjean“ zieht es uns wieder zum fantastischen Canyon zurück.
Wilde Serpentinen führen erneut ins Tarntal
In wilden Serpentinen erreichen wir den Fluss Tarn. Heute wird der Kurventanz ohne Fahrtunterbrechung bis zum Point Sublime genossen. Tief ragen die steilen Felsen mehrere hundert Meter in die schwindelerregende Tiefe hinab und bieten eine berauschende Sicht auf die eindrucksvolle Schluchtenlandschaft. Fasziniert von dieser grandiosen Landschaft wird der Tag in typischer französischer Gangart zelebriert, am gigantischen Abgrund werden Crêpes genossen und Kaffee geschlürft.
Steile Abhänge mahnen zur Vorsicht
Gestärkt donnern wir im Sturzflug wieder in die Schlucht hinab und folgen den unendlichen Windungen der Tarn nach Millau. Im Boulevard des Gantières lädt feines Leder zum Besuch ein. Die Fabrik „Causse Gantier á Millau“ hat sich weltweit einen hervorragenden Ruf als Handschuhproduzent verdient. Viele namhafte Designer und Prominente zieren sich mit dieser edlen Fingerkleidung. Nach dem Probetragen entscheiden wir uns doch wieder für unsere Stadler Handschuhe. Umgehend rauschen wir zum nächsten Superlativ.
23 Meter höher als der Eiffelturm - Viaduc de Millau
Das „Viaduc de Millau“ spannt sich 2,5 Kilometer über die Tarnschlucht. Der mächtigste Pfeiler erhebt sich 343 Meter über dem Fluss. Mit dieser Höhe muss sich selbst der Eiffelturm um 23 Meter geschlagen geben. Ehrfürchtig umrunden wir auf kleinen Straßen die weltweit höchste Brücke. Zum beeindruckenden Erlebnis wird die Querung dieses Schrägseilmonuments. Der Tag verrinnt und so bitten wir an der mächtigen Tür des „Château de Creissels“ um Unterkunft. Ein wehmütiger Blick zur licht umfluteten Brücke folgt.
Bei Nacht ziert das Viaduc de Millau den Horizont
Wir folgen gerne dem Slogan des Châteaus: „Schönheit, Charme und Komfort“ und lassen den Tag genussvoll mit französischem Wein ausklingen.

Nebel wabert am frühen Morgen durch die Luft. Kein Wetter, um aufzustehen, geschweige abzufahren. Widerwillig werden die Motoren zum Leben erweckt. In wilden Orgien zirkeln die Kurven in die Höhe. Langsam tasten wir uns dem Himmel entgegen. Plötzlich erscheint eine ungewöhnliche Lichtstimmung. Die Tauchfahrt durch den Nebel belohnt uns mit strahlend blauem Himmel. Die Pylonen des Viadukts scheinen sich im weißen Nichts des Nebels zu verlieren.
Die Pylonen des Viadukts werden von Wolken umschmeichelt
Ein umwerfender Blick gleitet zurück auf diese scheinbar unwirkliche Szenerie. Weiße Watte trägt die filigrane Brückenkonstruktion über die Weite des Tals. Einige flotte Schräglagen lassen den Tau des Morgens von den Motorrädern verfliegen. Einsame, naturbelassene Gebiete werden zügig durchflogen. Menschenleer geben sich die Straßen um Sainte-Eulalie-de-Cernon. Nur unzählige neugierige Lacaune Schafaugen blicken herüber. Ununterbrochen kauend scheint ihr Blick zu sagen: Ihr stört uns in der Milchproduktion! Mit vorsichtigem Zug am Gaskabel surfen wir von dannen und lassen die Motoren in Roquefort verstummen. Hier befindet sich ein weltbekannter Abnehmer der Wolle tragenden Milchproduzenten.
Der Blauschimmelkäse aus Roquefort-sur-Soulzon
Eine kulinarische Spezialität aus dieser Region ist der Blauschimmelkäse aus Roquefort-sur-Soulzon. Dass das Verschimmeln von Käse ein Ereignis sein kann, wird uns gerne unter Beweis gestellt. Cathrin führt uns durch ein unüberschaubares Labyrinth riesiger Lagerhallen und erklärt ausdrucksvoll die Entstehung des grün-blau marmorierten Blauschimmelkäses aus roher Schafsmilch. Nach vollmundigem Austesten der besten Geschmacksrichtung wandert ein Käse aus den Höhlen von Roquefort in die dunklen Tiefen der Seitenkoffer. Nach dem Ausreizen der Geschmackssinne fordert das Gleichgewichtsorgan seine Gleichberechtigung ein und kommt wieder in den Genuss unzähliger Kurven. Das nächste Ziel, der „Canyon de la Dourbie“, hört sich nach Schräglagengarantie an und lässt uns umgehend ein paar kleine Straßen zusammen klöppeln. Schleichend kommt der Abschied näher. Die Weideflächen des „Causses de Sauveterre“ und des „Causses Mèjan“ werden im Rückspiegel schnell kleiner. Es ist ein spektakulärer Abschied. Der Genuss unendlicher Kurven bringt uns wieder in das Tal der Tarn und ist ein würdiger Abschied dieser Reise.

#Cevennen#Frankreich#Tour
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