Göttliches Kreta: Hochgebirge mitten im Meer

Kreta dürfte zu den kurvenreichsten Inseln dieser Erde gehören. Sie bietet Höhenflüge auf gutem Asphalt, eine grandiose Gebirgskulisse und Mittelmeerstrände.
 Frank Klose
 Frank Klose
„Kreta macht süchtig, denkt daran!“ So warnt Silvio, El Greco, unser Tourguide auf Kreta, der dort herrliche Enduro- und Straßentouren anbietet. Aber wir sind mutig, nehmen mögliche Risiken und Nebenwirkungen in Kauf und wollen die Sonneninsel unter die Lupe nehmen. Bevor man sich dem Motorradfahren hingibt, könnte man eine Exkursion in die steinalte Geschichte der Insel starten. Knossos war vor mehr als 3.000 Jahren die Hauptstadt der Minoer und damit die Wiege aller europäischen Kulturen. Man muss sich das einmal vorstellen: Zu einer Zeit, als unsere mitteleuropäischen Vorfahren noch mit Keulen durch die Wälder liefen, gab es hier bereits Häuser mit Warmwasserheizung, Sitzbadewannen und Toiletten mit Wasserspülung!

Kurven naschen und die landschaftliche Schönheit der Insel genießen

Bleibt die Frage, wie die Hochkultur urplötzlich untergehen konnte. War eine Epidemie schuld? Gab es ein verheerendes Erdbeben? Nein. Heute scheint sicher, dass die Minoer vor rund 3.630 Jahren regelrecht aus den Annalen der Geschichte gespült wurden. Ein Tsunami, für den der Wissenschaftler I. Yokojama eine gigantische Wellenhöhe von rund 50 Metern errechnete, traf Kreta, nachdem die nur einhundert Kilometer nördlich gelegene Vulkaninsel Santorin (Thira oder Thera) explodierte. Über zehn Milliarden Kubikmeter Magma sollen dabei ausgetreten sein. Dadurch leerte sich die unter der Vulkaninsel gelegene Magmakammer, es drang Meerwasser ein und der Vulkankomplex Santorin kollabierte. Der Mega-Tsunami zerstörte sämtliche Häfen Kretas samt aller Schiffe der Minoer. So war man nicht in der Lage, sich einer Invasion der Achäer zu Beginn des 14. Jahrhunderts vor Christus zu erwehren, die alles zerstörten und niederbrannten, was die gewaltige Flutwelle übrig gelassen hatte.

Unser Basisquartier würde hoch genug liegen, sollte das wieder passieren. Aber daran denken wir nicht. Wir wollen Kurven naschen und die landschaftliche Schönheit der Insel aufsaugen. Gut, dass Tourguide Silvio gleich zu einer ersten Entdeckertour lädt. Der Berganturn, der uns auf fast 1.000 Meter über das Niveau des Mittelmeeres hievt, führt in eine weite, fast kreisrunde Hochebene, die inmitten schroffer Bergriesen in saftigem Grün erstrahlt.
Kreta ist mit etwa 8.331 Quadratkilometern Fläche, sowie 1.040 Kilometer Küstenlinie die größte griechische Insel sowie die fünftgrößte Insel im Mittelmeer.
Die berühmte Lasithi-Hochebene besteht aus einer Vielzahl bunt durcheinander gewürfelter Felder. Mittendrin verteilen sich alte, teils verfallene Windmühlen (es sollen einmal rund 10.000 gewesen sein), die früher zur Förderung des Grundwassers genutzt wurden. Heute sorgen meist Elektropumpen dafür, dass es hier ausschaut, wie im sprichwörtlichen Paradies. Immer noch wird zudem ein von den Venezianern entwickeltes Kanalsystem benutzt, welches das Wasser über die äußerst fruchtbare Fläche verteilt. Silvio erzählt mir obendrein, dass man hier oben schon seit über 5.000 Jahren Landwirtschaft betreibt. Die seither entstandenen Dörfer liegen allesamt am Rande der Hochfläche, weil diese Jahr für Jahr durch die Schneeschmelze nahezu komplett überflutet wird.

Qual der Wahl: nach Agios Nikolaos oder Mochos kurven

Anschließend haben wir die berühmte Qual der Wahl. „Wir könnten hinab nach Agios Nikolaos kurven, das Fahrzeug wechseln und zur Insel Spinalonga schippern“, erzählt Silvio. Wäre schon spannend, denn dort wurde 1579 von den Venezianern zum Schutz ihres Hafens in Elounda eine Festung errichtet, die auch noch lange, nachdem die Türken den Rest Kretas erobert hatten, verteidigt werden konnte. Mit ihren starken Kanonenbatterien galt die Insel als uneinnehmbar. Erst durch einen Vertrag kam sie viel später in türkischen Besitz. Nach dem Abzug der Türken, der nach Jahrhunderten der Besetzung 1897 stattfand, wurden dann Kretas Leprakranke nach Spinalonga gebracht. Sie übernahmen die Häuser der Türken, durften die kleine Insel bis zu ihrem Ableben aber nicht mehr verlassen. Erst 1957 wurde die Leprasiedlung aufgelöst, nachdem die Medizin die schreckliche Krankheit endlich besiegt hatte.

„Andererseits könnten wir in Richtung Mochos kurven“, meint Silvio lächelnd. „Ich kenne da eine nette Taverne, wo man ganz leckeren Moussaka (Auberginenauflauf) serviert.“ Die höchst demokratische geführte Diskussion dauert nur kurz und der Sieger ist: Moussaka!
Auf „alpinen“ Straßen kurven wir auch an der etwa 2.000 Jahre alten Platane von Krasi vorbei.
Auf dem Weg zum fälligen Boxenstopp besuchen wir die Platane von Krasi. Der rund 2.000 Jahre alte Baum hat einen Umfang von rund 20 (!) Metern im Wurzelbereich. Zwei große Äste sind zusammen gewachsen und wirken so als Stütze. Als wir Mochos nach dem Essen verlassen wollen, möchte der Wirt unbedingt noch Raki kredenzen. Allerdings hat dieser auf ganz Kreta, meist schwarz gebrannte und oft nur in Wasserflaschen ohne Etikett unter den Ladentheken gehandelte Trester­schnaps, mit dem türkischen Raki lediglich den Namen gemein. Kretischem Raki wird näm­lich kein Anis zugesetzt und daher ähnelt er sehr dem italienischen Grappa. Da sich aber Alkohol und Motorradfahren nicht vertragen, muss ein herzliches Jammas (heißt auf Deutsch: Prost) warten, bis wir wieder im Hotel sind.

Am nächsten Morgen startet die zweite Tour. Zunächst sausen wir in Richtung Heraklion. Dort folgt der Schwenk ins Hochgebirge. Auf einer guten und mit Kurven durchsetzten Straße schrauben wir uns über Anogia zum Nida-Plateau, welches vom Psiloritis überragt wird, der auf 2.456 Meter über dem Libyschen Meer gipfelt und damit der höchste Berg Kretas ist. Hier gibt es einige Schotterpisten, die sich für Offroad-Fans regelrecht anbieten. Eine davon führt zur Höhle des Zeus, wo die griechische Mythologie mit der Geburt des Göttervaters ihren Ursprung hat.
Eine Schotterpiste führt zu einer Höhle, die als Geburtsort von Zeus gilt.
Nachdem wir uns ein wenig ausgetobt haben, startet Silvio einen weiteren Höhenflug, der an einer Sternwarte endet. Bei gutem Wetter hat man hier eine gigantische Aussicht und so muss der Tourguide schon zweimal zum erneuten Aufbruch bitten. Auf Asphalt zwirbeln wir wieder bergab, wobei der schmalen Straße bald erneut die staubfreie Oberfläche ausgeht. Macht aber nichts, denn das Geläuf präsentiert sich als fest und lässt sich auch mit meiner V-Strom gut fahren.

Ziemlich genau dort, wo wir wieder Asphalt unter die Räder bekommen, geht es bergab. Wer Alpenpässe mag, der wird mit der Zunge schnal­zen, da sich die Straße wie ein Korkenzieher in die Tiefe windet. Außerdem muss erwähnt werden, dass sich die meisten Strecken auf Kreta meist autofrei präsentieren. Wer so viel erlebt, braucht auch mal eine Pause. Wir stoppen im Tal in Zaros am See und nehmen kalte Getränke und einen kleinen Imbiss zu uns, bevor wir den Rückweg ins Hotel antreten, wo wir auf den Tag an der Poolbar mit einem begeisterten „Jammas“ anstoßen.

Kurvenreich durch die Olivenbäume übersäte Messaraebene

Nach dem Frühstück geht es ab in den Süden von Kreta. Quer über die Insel, fahren wir durch die mit unzähligen Olivenbäumen übersäte Messaraebene nach Matala, einen der spirituellsten Orte von Kreta. Gerade jene weltberühmten Höhlen, wo Zeus mit der von ihm entführten Göttin Europa an Land gegangen sein soll, prägten die Geschichte des kleinen Fischerdorfes, das seinen unverwechselbaren Charme bis heute nicht verloren hat. Richtig bekannt wurde es in den 1960er-Jahren, als die Höhlen von Matala als Blumenkinder-Paradies galten. Damals lebte man hier eine Weile lang, unterstützt von der nahezu unendlichen kretischen Gastfreundschaft, im friedlichen Protest gegen den Vietnam-Krieg nach dem Motto: „Make love - not war.“ Um damit verbundenen Sitten wie Nackt­baden, Drogen­konsum und anderem Herr zu werden, wurden die Höhlen aber einige Jahre später zur archäologischen Ausgrabungsstätte erklärt und eingezäunt. Sei es drum, wir lassen uns erst mal am Strand nieder und vertreiben die Zeit mit Dösen in der Sonne und Baden im Meer.
Wundervoll: Die Bucht vom Matala am Libyschen Meer.
Überraschend wirken dabei die Unterschiede in der Wassertemperatur, denn hier dürfte das Wasser rund 3° Celsius wärmer sein, als an der Nordküste, die dort rund 25° Celsius beträgt. „Selbst im Winter kann man hier planschen“, meint El Greco Silvio, der natürlich auch das beste Restaurant in Matala kennt. Die Zeit vergeht dabei wie im Fluge, die Sonne versinkt langsam hinter den Bergen und so erleben wir die Kurverei zurück zur Nordküste in einem wunderbaren Farbenspiel, dass kurz vor dem Erreichen des Hotels die Farbe Schwarz annimmt. „Gut, da können wir ja gleich zur Bar ...“ meint Rudi, denn morgen gibt es keine Tour, sondern Sonne, Strand und mehr. Natürlich ist es wunderschön, wenn man am Strand relaxt, aber der Motorrad-Bazillus sitzt tief. Einige Unentwegte starten gegen Mittag die Motoren, um die nähere Umgebung zu erkunden. Gerade das kleine, von Oliven umgebene Dorf Sissi mit seinem Fischerhafen begeistert. Ganz in der Nähe könnte man auch die Höhle von Milatos – vor Sissi rechts – besuchen.
Einfach schön: Der Fischerhafen von Sissi.
Die ältesten archäologischen Funde dort stammen aus der Jungsteinzeit. Bekannt wurde die Höhle aber wegen der Belagerung durch osmanische Truppen während der Griechischen Revolution. 1822 landete Hassan Pascha mit einem Heer auf Kreta bei Neapoli, um den Aufstand der Griechen zu beenden. Mehrere Tausend griechische Christen – darunter einige wenige bewaffnet – suchten in der Höhle Zuflucht. Im Februar 1823 ließ Hassan Pascha den Höhleneingang so lange mit Artillerie beschießen, bis die Flüchtlinge kapitulierten.

Alle Männer der Be­siegten wurden sofort getötet. Priester landeten auf Scheiterhaufen, ältere Frau­en ließ man von der Kavallerie töten, jüngere Frauen und Kinder wurden versklavt. Aber das ist lange her, geben wir also wieder Gas.

Super Berg- und-Talfahrt ans Libyschen Meer

Die nächste Tour führt nach Agios Nikolaos. Nach einer kurzen Pause im Hafen rollen die Motorräder auf der nördlichen Küstenstraße weiter. Dort, wo Kreta am schlanksten ist, wird die Insel gequert. In Koutsouras braucht es nicht nur wieder Badesachen, auch hier kennt Silvio eine nette Taverne. Gut gestärkt geht es danach zurück zum Basisquartier, von wo aus auch die letzte Tour Richtung Ursprünglichkeit führt. Im Süden gibt es nur wenig Orte, die dem Massentourismus erlegen sind. Selbst der Weg dahin ist einmalig, denn wir erleben eine super Berg- und Talfahrt, die letztlich in Tsoutsouros am Libyschen Meer durch eine Pause unterbrochen wird.
Genial: Die Kurvenpiste hinüber nach Tsoutsouros.
Das Grinsen unserer Truppe ist selbst durch die Visiere zu erkennen und abends heißt es nicht „Jammas“, sondern: „Wir lieben Kurven!“ Aber bis dahin dauert es noch, denn zunächst folgen wir der Südküste nach Keratokambos. Dort hat Silvio den nächsten Einkehrschwung vorgesehen. Und was für einen! Erst gibt es Salate, Zaziki und Brot, dann folgt gegrilltes Fleisch in verschiedenen Variationen und zum Schluss zieren Platten mit leckerem Tintenfisch samt frischen Riesenkrabben den Tisch. Ach ja, Dessert kommt auch noch: frisches Obst und – natürlich – Raki! Den heben wir uns aber wieder für den Abend auf, als es zum vorerst letzten Mal heißt: „Jammas!“ Aber wir wissen es ja: „Kreta macht süchtig!“ Silvio lacht und fragt, wann wir uns das nächste Mal auf der Insel der Götter treffen? „Bald, sehr bald“, antworten alle.

#Griechenland#Reise
» Tourdaten anzeigen
Motorrad & Reisen Ausgabe 126 inklusive Hotel- und Reisespecial 2025
Die Suzuki Katana im Modelljahrgang 2025

Mit aktueller Euro-5+-Homologation und in zwei Farbvarianten präsentiert sich die Suzuki Katana in der Saison 2025.

Erwischt – Erlkönig KTM 690 Rally

Die KTM 690 Rally basiert auf der 690 Enduro mit 250 mm Federweg, überarbeitetem LC4-Einzylinder und zusätzlichem Fronttank für mehr Reichweite.

Sport kann’se, die Transe – Honda XL750 Transalp 2025

Honda hat seinen Bestseller XL750 Transalp vortrefflich nachgeschärft fürs Modelljahr 2025. Bissiger, entschlossener, moderner – so fährt die neue ...

LiveWire S2 Alpinista – für den Quickie in die Berge

Livewire präsentiert mit der neuen S2 Alpinista nach der Del Mar ein weiteres Elektromotorrad auf Basis der S2-Plattform

KTM 390 SMC-R – Driftiger Grund

Für KTM ist aufgeben keine Option und präsentiert eine schicke Supermoto in der Einsteigerklasse zu einem attraktiven Preis. Die 390 SMC-R könnte f...